Pop: Gold an der Decke, Rost in der Seele
Die beste Rockband der Welt: Ein Jahr nach ihrem Grammy-Gewinn bringen The Black Keys ihr siebtes Album „El Camino“ heraus - schon wieder ein Meisterwerk. Eine Berliner Begegnung mit dem Duo aus Akron, Ohio.
Anfang Oktober erscheint im Akron Beacon Journal eine Kleinanzeige. „Priced to sell – Grab the Keys and go! Contact Pat or Dan“ ist da zu lesen. Über tausend Anrufer hinterlassen ihr Gebot für einen Plymouth Grand Voyager, Baujahr 1994. Sie verstehen, dass es nicht irgendein Wagen ist, der da verkauft werden soll.
Es ist der Bandbus, mit dem die Black Keys ab 2002 kreuz und quer durch die USA fuhren. Als Gitarrist Dan Auerbach und Schlagzeuger Patrick Carney nur zwei Burschen mit bis zum Anschlag aufgedrehtem Verstärker und wüsten Beckenschlägen waren und es nicht so aussah, dass sich das je ändern würde. Hinter der Rückbank stapelte sich das spärliche Equipment, die mittlere Sitzbank war ausgebaut und durch eine Schaumstoffmatte ersetzt. Auf dem Fußboden liegen und schlafen, das sei das Praktischste gewesen, sagt Auerbach zehn Jahre später. Die dunklen Augenringe von damals ist er nie wieder losgeworden.
Nun war es wohl an der Zeit, ein Kapitel abzuschließen. Längst braucht das Duo aus Akron, Ohio, den schäbigen Van nicht mehr, der nun das Plattencover von „El Camino“ (Warner Music) ziert, dem siebten Black-Keys-Album. Erst recht nicht mehr nach dem Erfolg ihres vorausgegangenen, hochgelobten Albums „Brothers“, das 2010 erschienen ist, sich allein in den USA fast eine Million Mal verkaufte, ihnen drei Grammys bescherte und die beiden Blues-Minimalisten in andere Sphären katapultierte. Es sind jetzt First-Class-Tickets statt Schaumstoffmatratzen, mit denen sie reisen.
Aber das ist offenbar nur äußerlich eine Veränderung. Denn auf „El Camino“ sagen sie, was sie immer schon wussten, dass Reichtum nicht von Dauer ist und dass auch die Liebe als Sehnsuchtsraum keine Rettung darstellt. Man soll sich keine Illusionen machen, das ist die tief in Schuldgefühle verstrickte Stimmungslage des Blues, die sich in dreiminütigen Riff-Walzen austobt. Und keine Sekunde möchte man das als aufgesetzt oder künstlich überhöht empfinden. Wie schaffen sie das bloß?
Sie seien keine Bluesband, sagt Dan Auerbach. Wie er das sagt, in übermüdeter Rockstar-Lässigkeit halb liegend, halb abgewandt auf einem Berliner Hotelsofa, als habe er dieses Missverständnis schon viel zu oft geraderücken müssen, ist das eine ziemliche Enttäuschung. Und die Begründung ist es noch viel mehr. Er habe, fährt Auerbach fort, immer ganz unterschiedliche Musik gehört, und zählt auf: Hip-Hop, Soul, Gospel, Bluegrass.
Geschenkt. Aber den Blues gespielt, das haben die Black Keys auf all ihren Alben bisher mit großer Vehemenz. Neben den White Stripes, diesem anderen Gitarre-Schlagzeug-Duo, mit dem sie deshalb auch oft verglichen werden, hat kaum jemand so viel aus dem Granitgestein des Blues herausgeschlagen wie Auerbach und Carney. In ihrem Fall ist es die Wiederentdeckung der Einfachheit, die sie zu Meistern des großen Popsongs hat werden lassen. Aber nun das: „Wir sind keine Bluesband. Es ist lächerlich, uns dafür zu halten. Kommen wir etwa aus Mississippi?“
Wer will schon als Traditionalist dastehen, während die Welt der kurzen Kommunikationswege jedem halbwegs informierten Musiker heute so viel mehr abverlangt, als dass alte Blues-Schemata ein Ausweg wären? Aber hat uns der Britpop nicht ein Jahrzehnt lang weisgemacht, dass Rock’n’Roll Partymusik ist? Laut, mitreißend, aber zu gewollt, um ergreifend zu sein. Die Party ist vorbei.
Wenn es nur um Bluesmusik ginge, hätten es die Black Keys niemals zu Grammy-Ruhm und dazu gebracht, fürchten zu müssen, dass man ihnen nun das „Gold von der Decke“ stiehlt, wie es in einem Song heißt. Sie säßen nicht an einem kühlklaren Herbsttag in getrennten Hotelzimmern vor hektischen Kamerateams, die mit Halogenleuchten fuchteln. Diese Jungs sind plötzlich äußerst interessant. Denn ihre Musik gibt Antworten. Worauf? Und wer stellt die Fragen? Jeder, der wissen will, auf was man sich noch verlassen kann. Das sind derzeit ziemlich viele Menschen.
Patrick Carney sieht aber gerade jetzt nicht so aus, als mache ihn das besonders glücklich. „Wir sind nicht die Sorte Band, die so populär sein sollte, wie sie gerade ist“, sagt er. „Das macht für mich überhaupt keinen Sinn.“ Carney ist ein großer Junge mit hängenden Schultern, der mit einer Hand tief in der Hosentasche vergraben am offenen Zimmerfenster steht, um zu rauchen. Sei ja alles toll, das Herumgejette auf fremde Kosten. Aber was, wenn die Annehmlichkeiten ihm zu wichtig werden? Komfort sei der Einstieg in den Abstieg. Man wird weinerlich und beschwert sich. Mit dem Ethos der Arbeiterklasse ist das nicht zu vereinbaren.
Carney und Auerbach, beide Anfang 30, sind Kinder dieses Ethos’. Ihre Musik ist Krisenmusik. Sie hat den Niedergang verinnerlicht und das schlechte Gewissen gleich dazu. „Wir waren stets sehr kostenbewusst“, sagt Auerbach, angesprochen auf den alten Plymouth-Van. Aber das ist nur die harmlose Seite. Ein früheres Album haben sie einmal an einem Tag neu eingespielt, nachdem ihnen der professionelle Klang nicht behagt hatte, den ein Tontechniker ihnen in wochenlanger Studioarbeit verpasst hatte. Diese „Angst vor zu viel Sauberkeit“ (Auerbach) ist die andere Seite eines tief sitzenden Schuldkomplexes, der auch „El Camino“ prägt. Wieder sind die Verstärker bis zur Übersteuerungsgrenze aufgedreht, werden die Melodien von überlasteten Mikrofonen verzerrt.
Vielleicht konnte dieser Sound nur im Rostgürtel der USA überleben, aus dem sich die Schwerindustrie vor Jahrzehnten verabschiedet hat. In Akron gibt es weder gute Jobs noch eine Musikszene oder gar einen Plattenladen. „Bei uns nimmt man nichts als selbstverständlich hin“, sagt Auerbach. Sein Vater tingelt als Antiquitätenhändler durchs Land. Sein Geschäft, das ist ein Van, mit dem er alte Möbel aus den Häusern alter Menschen holt, um sie auf lokalen Kunstmessen weiterzuverkaufen. Sein Sohn stellte es zunächst ähnlich an. Ein Van, alte Musik und keine Hoffnung auf den großen Wurf.
Das Credo der Black Keys ist so einfach wie ihre besten Songs. „Wir leben nach dem Motto, Einfälle nicht zu überdenken“, sagt Auerbach. „Wir wollen die Aufregung erhalten, die ein Song am Anfang noch auslösen kann, wenn sich alles auf natürliche Weise ergibt.“ Wie einflussreich sie damit sind, demonstrierte 2009 ihr Blakroc-Projekt, als sie sich in einem New Yorker Studio einquartierten, und jeden Tag einen Rapper für eine Session einluden. „Wir haben schlicht auf Spontanität gesetzt“, erzählt Auerbach, der sich am Ziel seiner Träume gewähnt haben muss. Er, der Hip-Hop-Fan im Kreise seiner Idole, hatte etwas anzubieten, was denen längst abhanden gekommen war. „Einen Song an nur einem Tag einzuspielen, ist etwas, dass aus der Hip-Hop-Kultur verschwunden ist. Diese Kerle schicken sich Tracks zu, die sie wochenlang anhören, endlos bearbeiten. Diese Musik hat ihre Menschlichkeit eingebüßt.“
Um diese Menschlichkeit geht es den Black Keys. Und dass sie ziemlich laut und zerrupft daherkommt, macht sie so glaubhaft. Jede wirtschaftliche Krise hat Musik in den Vordergrund treten lassen, die etwas anderes sein wollte als ein kommerzielles Erfolgsmodell. Der Vietnamkrieg 1965 brachte Acid-Rock hervor, auf den Ölschock 1973 folgte Punkmusik. Der aktuelle Retro-Pop drückt die Sehnsucht nach unumstößlichen Werten aus, aber er verbreitet auch eine trügerische Nestwärme. Die Black Keys stehen im Freien.
„I’m a lonely Boy / I got a love that keeps me waiting ... a broken heart is blind ... I’ll run right back to her ... you’ll take it cause you don’t know what you want ...“, dies sind ihre Botschaften an den Verstand, sie handeln davon, dass man eigentlich keine Chance hat, glücklich zu sein. Das Gefühl sagt etwas anderes. Es bricht sich auf „El Camino“ Bahn in hymnischen Melodien („Dead And Gone“) und treibendem Seventies-Rock („Run Right Back“). Und sogar einen Led-Zeppelin-Moment gibt es, als eine Folk-Ballade plötzlich im Gekreische eines breitbeinigen E-Gitarren-Solos aufgeht.
Wenn es nach den Black Keys geht, war es ihr Fleiß, der ihnen den Status von Popstars beschert hat. Aber der geht weit über das hinaus, was Fleiß alleine bewerkstelligen kann. Ob sich die Band auch damit arrangieren kann, dass ihre Idee von Erfolg durch Leistung zu kleinbürgerlich ist, um noch mehr aus ihm zu machen? Die Musik hat es schon mal geschafft.
Kai Müller
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