Kultur: Gold!
Der Preis steigt und steigt. Aber dauerhafte Krisen kennt das edle Metall ohnehin nicht. Denn Gold regiert die Welt
Wenn Inder heiraten, wird das Gold knapp. In den Monaten März bis Mai ist „Love Season“. Tausende junger Paare geben sich dann das Jawort, und Eltern, die es sich leisten können, zelebrieren das Fest im Goldrausch. Ohne Geschenke aus dem Edelmetall ist eine Hochzeit für jeden halbwegs wohlhabenden Inder undenkbar. Reiche Familien überhäufen die Braut mit bis zu drei Kilogramm Goldschmuck. Aber auch Familien aus der Mittelschicht wiegen etliche Gramm Gold in Diademen, Armreifen und Ringen ab.
Obwohl die Forderung einer Mitgift, indisch „stridhan“, seit 1961 verboten ist, hat sich der Brauch gehalten. Es gilt als unfein, wenn Eltern der Braut nicht hohe Summen und Geschmeide in Gold mit auf den Weg geben. Wochen und Monate vor der Hochzeitssaison haben Juweliere und Goldschmiede deshalb jedes Jahr alle Hände voll zu tun. Tonnenweise ordern sie das edle Rohmaterial für die Hochzeitsgaben und treiben damit den Preis. 590 Tonnen Gold verbrauchte Indien im vergangenen Jahr, 60 Prozent davon entfielen allein auf Brautgeschenke.
Die Tradition macht das Land mit seinen 1,1 Milliarden Einwohnern Jahr für Jahr zum größten Goldabnehmer der Welt. Aber nicht nur die Inder sind auf den internationalen Rohstoffmärkten begeistert vom Gold. Denn Gold genießt dort wieder eine Wertschätzung, die sich in rasant steigenden Preisen niederschlägt. Mit rund 575 Dollar je Feinunze, das sind exakt 31,1035 Gramm , war Gold am 2. Februar so teuer wie seit 25 Jahren nicht mehr. Innerhalb von nur einem Jahr ist der Preis um mehr als 36 Prozent gestiegen. Zwar sind die Notierungen zuletzt etwas gesunken, weil Anleger die Gewinne kassierten. Doch Experten halten den Aufwärtstrend für stabil.
Gold! Kein Naturstoff ist gleichermaßen begehrt und verklärt. Öl mag ebenso begehrt sein, verklärt ist es nicht. Dabei ist Öl produktiv, Gold ist erst einmal nichts. Ein Mineral ohne Nährwert, ohne Brennwert, ohne Energie. Aber was für eine Strahlkraft! Es ist die Farbe, der Schein, die Wärme — Gold versteckt sich in Schlamm und Stein und leuchtet doch wie die energiespendende Sonne. Mystisch verbirgt sich hinter Gold immer das Erhabene, weswegen zum Beispiel in der Ikonographie Gold mit der göttlichen Macht übersetzt wird.
Und Gold ist rar, hat, nüchtern gesprochen, sehr seltene physikalische Eigenschaften, durch die es sich formen, ziehen, pressen, teilen, einschneiden und walzen lässt. Zudem ist es beständig und oxidiert nicht. Damit wird es ewig. Wer würde sich nicht gerne schmücken mit dem Glanz der Ewigkeit?!
An der Strahlkraft hat sich bis heute nichts geändert. Auch wenn Gold heute sehr profan und sehr, sehr teuer im Weltwirtschaftskreislauf eingebunden ist. Preistreiber sind nicht nur die Schmuckindustrie und die Spekulanten. Auch einige Notenbanken und Minengesellschaften, die zusammen den größten Goldschatz der Welt hüten, treten als Nachfrager auf. So haben Zentralbanken in China, Ostasien oder den Ölförderländern in den vergangenen Jahren ihre Dollarreserven massiv aufgestockt. Damit ist ihre Abhängigkeit von der US-Währung gewachsen – und zugleich die Angst, bei einem Schwächeanfall der Leitwährung mitgerissen zu werden. Der Umtausch eines Teils der Notenbankreserven in Gold würde diese Gefahr verringern.
Die Minenkonzerne wiederum, die den wertvollen Rohstoff aus der Erde holen, haben sich in den 90er Jahren mit Termingeschäften verspekuliert – und versuchen nun, den Schaden zu begrenzen. Damals sank der Goldpreis so stark und schnell, dass die Produzenten ihr Gold für Jahre im voraus zu festen Preisen verkauften. Nun, da der Preis wieder steigt, kaufen die Minen diese auf Termin veräußerten Goldmengen teilweise zurück – in drei Jahren fast 1150 Tonnen. So wird das knappe Gold noch knapper. 2500 Tonnen des Edelmetalls werden Jahr für Jahr gewonnen. Die Nachfrage von 3750 Tonnen (im Jahr 2005) kann damit bei weitem nicht befriedigt werden.
Die Optimisten unter den Goldexperten sehen den Preis für das Edelmetall deshalb schon in die Nähe des historischen Rekords klettern. Am 21. Januar 1980 kostete die Feinunze im Nachmittagshandel 843 Dollar. „Im laufenden Jahr wird die Feinunze im Schnitt 600 Dollar kosten“, glaubt Wolfgang Wilke, Rohstoffexperte der Dresdner Bank. Die US-Investmentbank Goldman Sachs setzt ein mittelfristiges Preisziel von 640 Dollar. Gold erstrahlt in neuem Glanz.
Gold! Arme träumen davon, Reiche baden darin. Künstler treibt es an die Leinwand oder den Schreibtisch, Gold weckt Träume und Fantasien. Nicht einmal vor der reinen Lehre mach es Halt, 400 Mal wird es in der Bibel erwähnt, Silber nur 300 Mal. Aber Gold macht auch gierig. Wer sich darauf einlässt, riskiert den Untergang: Dem mythischen König Midas wird zum Verhängnis, dass zu Gold wird, was er berührt – leider auch seine Speisen und Getränke. Selbst James Bond will nicht so recht glücklich werden mit Gold. 1964 verliert er in „Goldfinger“ seine Gefährtin, weil Gegenspieler Auric Goldfinger (Gert Fröbe) sie von Kopf bis Fuß vergolden lässt. Gold eignet sich demnach auch als perfides Mordwerkzeug.
Egal in welche Epoche man blickt: Blutige Kriege wurden geführt, Kulturen zerstört und Menschenleben geopfert, weil es ums Gold ging. Glück und Unglück, Reichtum und Armut, Unsterblichkeit und Tod – die Doppeldeutigkeit und Vielschichtigkeit machen den Reiz des Goldes aus. Selbst die Renaissance auf dem Rohstoffmarkt offenbart eine dunkle Seite: Gold wird dort nicht nur von Spekulanten gekauft, sondern auch von den „Gold Bugs“, den Apokalyptikern, die düstere Zeiten auf die Welt zukommen sehen: Inflation, Dollar-Verfall, Haushalts- und Schuldenkrisen. Wenn es auf dem Globus unruhig wird und Stürme aufziehen, dann wird im Gold Rettung gesucht.
6000 Jahre alt sind die frühesten Funde, die bezeugen, dass Gold seit Jahrtausenden die Menschen anzieht. 4000 v.Chr., so wird angenommen, war Gold das erste Metall, das überhaupt bearbeitet wurde. Die erste datierbare Ausgrabung stammt aus der vorägyptischen Zeit: ein mit Rohgoldperlen verzierter Goldschmuck aus dem Jahr 4200 v. Chr. Für eine Sensation sorgte im vergangenen Jahr ein Fund in Deutschland: Bei Grabungsarbeiten zum Ausbau einer Erdgaspipeline stießen Archäologen in Apfelstädt bei Erfurt auf Gräber aus der Jungsteinzeit. In einem Grab fanden sie goldene Schmuckstücke, darunter zwei Lockenringe aus der Glockenbecherkultur.
Legendär sind der Goldreichtum und die Kunstfertigkeit Ägyptens. Da Herrschaftssymbole und Schmuck für die Ägypter bis ins Jenseits von Bedeutung waren, wurden die Gräber ihrer Könige mit wertvollen Beigaben gefüllt. Allein in der Gruft des Pharaos Tutenchamun fanden sich über 5000 Einzelstücke. Als Götter verehrt, hatten die ägyptischen Könige das Goldmonopol. Für den Abbau des Edelmetalls waren andere zuständig: Sklaven, Sträflinge und Kinder. Und als die eigenen Goldadern zur Neige gingen, zog man in den Krieg, um neue Vorkommen zu erschließen.
Ein Muster, das sich in den Jahrhunderten danach wieder findet. Gold ist Maßstab für Macht und Herrschaft. Weil die Hellenen kein eigenes Gold hatten, schmückten sie Athen mit dem Gold, das ihnen die Perser als Tribut für einen verlorenen Krieg zahlen mussten. Die Römer lernten von den Griechen – nicht nur das kunstvolle Bearbeiten von Gold. Sie brachten 50 v. Chr. ihre ersten Goldmünzen in Umlauf, die die Ausbreitung des Handels erleichterten. Neros Kaiserpalast glich einem vergoldeten Tresor und zeugte von der Prunksucht des Imperiums.
Ein frühes „Eldorado“, das die Spanier später auf ihren Eroberungszügen im Süden Amerikas zu finden hofften. Tatsächlich stießen die Konquistadoren dort auf den märchenhaften Reichtum der Inka, Maya und Azteken. Deren Sonnenkult schmolzen die Eroberer ein: tonnenweise wurden Statuen, Schmuck und Kunstgegenstände zerstört, transportfähig gemacht und nach Europa verschifft. Dort fielen die Königshäuser in einen kollektiven Goldwahn. Kolumbus gelang es deshalb, seine Entdeckungsreisen vom spanischen König finanzieren zu lassen – indem er ihm von sagenhaften Schätzen in aller Welt vorschwärmte. Nicht nur im Süden Amerikas, in Venezuela, Kolumbien und Brasilien, schürfen und graben heute noch Gold-Digger in Flüssen und Urwäldern nach den begehrten Nuggets.
Die Vision einer riesigen Goldader, die man nur anzapfen muss, um märchenhaft reich zu werden, breitete sich Mitte des 19. Jahrhunderts aus – und sie steigerte sich zum größten Goldrausch der Neuzeit. Ihren Ursprung nahm sie im Westen Amerikas, am Fuße der Sierra Nevada, und – wenig später – in Alaska am Klondike River. Im „Golden State“ Kalifornien stieß der Zimmermann John Marshall an einem Januarmorgen des Jahres 1848 im Schlamm des American River auf ein acht Gramm schweres Goldstück. Obwohl der Finder die Nachricht zu verheimlichen suchte, war der Goldfund bald in der Welt. Bis nach Europa breitete sich das Fieber aus und erfasste die Glücksritter. Hunderttausende Menschen, die „Fourty-Niners“, machten sich im Jahr nach dem Fund auf den Weg in den Westen – getrieben von der Hoffnung, wie John Marshall ihr Glück zu finden. Mit dem Schiff um Kap Horn oder bis nach Panama, viele tausend Kilometer zu Fuß oder mit dem Wagen, durch die Prärie und das Gebirge – keine Route war zu hart, um an die Fundstellen zu gelangen. Fotos aus der Zeit zeigen lange Trecks von Goldsuchern, die sich durch die verschneiten Rocky Mountains quälen. Viele von ihnen erreichten das goldene Paradies nie, weil Cholera, Erschöpfung oder Indianer sie aufhielten. Und selbst bei denen, die ankamen, war die Enttäuschung häufig groß. Viele Claims waren schon abgesteckt, vielen fehlte das Geld, um sich in den chaotischen Kolonien der Goldgräber durchzusetzen. Einzig der Goldrausch, die unerschütterliche Hoffnung, doch noch einen Klumpen Gold in der Erde zu finden, hielt die Digger fest. Viele bis zu ihrem Tod.
Kalifornien wuchs in kurzer Zeit rasant, die Bevölkerungszahl explodierte. Schon kurz nach dem Goldfund wurde der „Golden State“ als 31. Bundesstaat in die Vereinigten Staaten aufgenommen. Die amerikanische Regierung finanzierte mit den Goldfunden aus Kalifornien nicht nur den Bau der transkontinentalen Eisenbahnstrecke, sondern auch den blutigen Bürgerkrieg gegen die Südstaaten. Die Eisenbahn erleichterte nicht nur den Aufbau der großen Handelszentren an der Westküste der USA, sondern sie vernichtete auch die Lebensgrundlage der Indianer.
Heute hütet die US-Notenbank in einem Tresor 24 Meter unter den Straßen Manhattans den größten Goldschatz der Welt, nach Angaben des World Gold Council gut 8100 Tonnen. Gefolgt von Deutschland, das noch gut 3400 Tonnen besitzt. Mit ihren großen Depots in Fort Knox und anderswo halten die Notenbanken den Glauben aufrecht, dass Gold als letzte Reserve Sicherheit verspricht. „Das ist eine mystische Angelegenheit, auf einer sehr realen Basis“, sagt Wolfgang Wilke. Es gilt: Vertrauen in eine Währung ist gut. Gold ist besser. Dass das Edelmetall zuletzt in allen wichtigen Währungen teurer geworden ist spricht für ein Aufleben des Währungscharakters des Goldes.
Währungspolitisch sind die Edelmetallreserven aber überflüssig. 1971 hob die US-Regierung die Goldeinlösepflicht des Dollar auf, sieben Jahre später beschloss der Internationale Währungsfonds dies für alle Währungen. Und dennoch: Wegen ihres riesigen Schatzes von insgesamt gut 28 000 Tonnen Gold könnten die Notenbanken auf dem Goldmarkt noch den Ton angeben. Das so genannte Washingtoner Abkommen verhindert allerdings, dass Zentralbankgold unkontrolliert auf den Markt kommt und den Preisanstieg beendet. Das Abkommen, wonach die Notenbanken zusammen pro Jahr nicht mehr als 500 Tonnen Gold verkaufen dürfen, wurde 2004 um fünf Jahre verlängert. Auch die deutsche Bundesbank hat sich bisher strikt dagegen gewehrt, sich von ihrem Goldberg zu trennen, zumindest, solange sie die Gewinne an den Finanzminister abtreten müsste. Peer Steinbrück (SPD), vom hohen Goldpreis stimuliert, unternahm zwar Anfang Februar einen neuen Versuch und kam der Notenbank mit einem Gesetzentwurf entgegen. Doch der Vorstoß verlief sich, das Papier wurde wieder zurückgezogen.
Weil Gold nicht wie im Märchen von den Sterntalern vom Himmel fällt, sondern immer tiefer in der Erde gesucht werden muss, wächst der Goldschatz der Menschheit nur langsam. Die großen Minengesellschaften stehen unter enormem Wettbewerbs- und Kostendruck. Der Mythos Gold, im täglichen Geschäft ist er ziemlich schmutzig geworden. Selbst die größten Konzerne wie der amerikanische Weltmarktführer Newmont, die südafrikanische Anglo Gold oder die Kanadier Barrick und Placer Dome mussten trotz steigender Preise Gewinneinbrüche hinnehmen. Die südafrikanischen Minen, aus denen etwa 40 Prozent der jährlichen Förderung von weltweit 2500 Tonnen Gold stammen, haben sich über Jahre immer weiter Richtung Erdmitte gebohrt. Heute wird der Rohstoff in bis zu 5000 Metern Tiefe abgebaut. Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Eine Tonne Gestein muss ans Tageslicht befördert werden, um zwei Gramm Gold zu gewinnen. Ein Unterfangen, das nur die kapitalkräftigsten Konzerne bewältigen. Und auch sie werden wohl nie kapitalstark genug sein, um das größte, nicht erfasste Goldreservoir der Welt auszubeuten: das in den Ozeanen im salzigen Wasser als Chlorid-Komplex gebundene Gold. Jede Methode, diesen Schatz zu heben, scheiterte bisher an der Unwirtschaftlichkeit.
Zwei Drittel der weltweit bekannten Reserven wurden in den 6000 Jahren des Goldabbaus aus der Erde geholt: „nur“ 155 000 Tonnen. Zwei Prozent davon dürften nach Schätzungen von Experten auf ewig im Bauch gesunkener Schiffe liegen, in Schatztruhen vergraben oder in der Verarbeitung vernichtet worden sein. Der Rest ist noch da. Und dieser Goldschatz ist viel kleiner, als man ihn sich vorstellt. Wegen seines hohen spezifischen Gewichts von 19,3 Gramm pro Kubikzentimeter hat ein Würfel von einer Tonne Gold nur eine Seitenlänge von 37 Zentimetern. Der mythische Rohstoff schrumpft auf weltliche Maße. Und wird dadurch nur göttlicher.
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