Kultur: Gogo mit Gauguin
Tor zum Westen: Ein ukrainischer Oligarch will Kiew mit einem Kunstmuseum europafähig machen
Es brennt! Gerade noch hatte Viktor Pinchuk mit großer Geste eine Styropor-Fassade eingerissen: Achtung, hier kommt die neue Kunst. Nach dem Museum of Modern Art, dem Guggenheim-Museum und dem Centre Pompidou eröffnet nun in Kiew das „Pinchuk Art Center“, verkündet ein Trailer. Feuerwerk. Lasershow. Trommeln. Und viel Qualm. Die Flammen dort auf der Bühne – gehören sie zur Show? Erst als die Musiker beginnen, eilig ihre Instrumente in Sicherheit zu bringen, erst als Sicherheitskräfte mit Feuerlöschern vergeblich versuchen, die brennenden Styropor-Mauerstücke zu löschen, begreifen die meisten den Ernst der Situation. Schwarzer Qualm füllt den Raum, die Partygäste drängen zum Ausgang, die Mikrofonanlage fällt aus, und am Ende steht Pinchuk allein auf der Bühne und versucht, die Menge zum Bleiben, zum Tanzen zu bewegen. Vergeblich: Die Eröffnungsparty ist vorbei.
Ein bezeichnender Start. Vor Schutt und Trümmern stand Viktor Pinchuk mit seinem Projekt, der Ukraine das Tor zur internationalen Kunstwelt zu öffnen, schon einmal. Der zweitreichste Mann der Ukraine und Schwiegersohn von Ex-Präsident Leonid Kutschma hatte für sein Gegenwartsmuseum den passenden Ort gefunden,„den schönsten Ort in ganz Europa“, wie er noch heute schwärmt. Ein altes Arsenalgebäude, direkt gegenüber dem Klosterkomplex Pecherska Lavra, Touristenattraktion Nummer eins in Kiew. 13 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, im Inneren Ruinencharme, vergleichbar dem seit Jahren von der Biennale in Venedig genutzten Arsenale. Der Bau war dem Verteidigungsminister abgerungen und dem Kulturministerium übertragen, die Zusage an den damaligen Parlamentsabgeordneten Pinchuk stand.
Dann kam: die orangene Revolution. Die Neuwahl mit dem Sieg Juschtschenkos. Pinchuk, der nicht mehr fürs Parlament kandidierte und inzwischen für eine strikte Trennung von Politik und Wirtschaft plädiert, gehörte plötzlich zur alten Garde. Die neue Regierung entschied, das Arsenal für eigene Museumspläne zu nutzen. Noch ist nicht viel passiert, das rosafarbene Gebäude eingerüstet, kein Arbeiter in Sicht. Doch Viktor Pinchuk ist aus dem Spiel. Und sitzt nun hemdsärmlig in dem Ersatzquartier in der Innenstadt und grollt: Er hätte große Pläne mit dem Arsenal gehabt, eine Kiew-Biennale hätte hier entstehen können, es hätte der wichtigste Kunstort zwischen Prag und Moskau sein sollen. Noch gibt er das Spiel nicht verloren: „Ich plane, nein, ich träume weiter.“
An Selbstbewusstsein mangelt es dem Oligarchen, der sein Geld im Stahl- wie im Mediengeschäft macht und seit einigen Jahren die gemeinnützige „Victor Pinchuk Foundation“ betreibt, nicht. Das erste Museum für Gegenwartskunst der Ukraine soll gleich in der obersten Liga mitspielen. Die großen Namen der klassische Kunst, von Leonardo bis Gauguin, hat man auf der Eröffnungsparty als Überschriften für Käfige gewählt, in denen sich Gogo-Girls räkeln. Damen in RokokoKostümen drohen mit Kalaschnikows. Und ein contergangeschädigtes Kind, das in Pinchuks Education-Programm mit den Füßen schreiben lernte, drückt zum Start auf den Knopf.
Doch das Museum ist nur eine Notlösung, ein erster Schritt: Zwei Etagen eines Büro- und Kaufhauskomplexes plus aufgestockter Sky Bar, hat der französische Architekt Philippe Chiambaretta zwar geschickt umgebaut, doch den Büroflair haben die niedrigen Räume nicht ganz verloren. Sicher, teuer war hier alles, der wie Parkett verlegte Granit, die in der Wand versteckte Technik, die aufreizend halb verspiegelten, halb durchsichtigen Toiletten und natürlich die komplett in weißem Leder gehaltene Milchbar mit Blick über Kiew. Auch die Kunst, zur Hälfte ukrainische, zur Hälte internationale Künstler, wartet im von Nicolas Bourriaud zusammengestellten internationalen Teil mit Top Names auf, von Olafur Eliasson bis Philippe Parreno, von Thomas Ruff bis Sarah Morris. Man habe nach einer Erstpräsentation auf der Venedig-Biennale 2005 die Erwerbungen möglichst schnell öffentlich machen wollen, erklärt Pinchuk. In zehn Monaten stand das Museum.
Das Ziel ist eher politisch als kunstsinnig. Es gehe darum, auch in der Kunst die gleiche Sprache zu sprechen wie die westeuropäische Welt, erklärt Pinchuk seine Motivation. Der Traum einer Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union war Vater des Projekts: „Jede moderne europäischen Großstadt hat ein Museum für Gegenwartskunst“, so der Gründer. Pinchuk sammelt privat zwar russische und ukrainische Kunst des 19. Jahrhunderts, doch den politischen Wert von Gegenwartskunst hat er erkannt. Das Sammeln läuft dann so: „Auf der Biennale in Venedig habe ich Bilder von Thomas Ruff gesehen, die haben mir gefallen.“ Nun hängen vier Ruff-Fotografien im Museum. Auch ein Hang zum Technischen, den Arbeiten von Xavier Veilhan, Carsten Höller oder Carsten Nicolai bedienen, ist der Biografie des Mäzens geschuldet, der vor allem Stahlrohre fabriziert.
Die Ukrainer, darunter arrivierte wie Boris Michailow, Oleg Kulik und Sergej Bratkow, aber auch Neuentdeckungen wie das „Institut der instabilen Gedanken“, das unter Schwarzlicht anzüglich Reißverschlüsse auf- und zuratschen lässt, halten sich im Vergleich nicht schlecht: Das Außenseiter-Gefühl teilen sie mit Künstlern aus Indien, Thailand oder Vietnam, die Vorliebe für großformatige Malerei mit der Leipziger Schule. Als Nächstes will das „Pinchuk Art Center“ unbekanntere Künstler präsentieren.
Die tummeln sich derweil in Hinterhöfen in Kiews Unterstadt Podil. Die Galerie Zech, vor zwei Jahren in einer Garage eröffnet, präsentiert die Gruppe „Revolutionary Experimental Space“ mit einer Videoinstallation. Menschen in Tschernobyl-Schutzanzügen treten vor die Kamera und verkünden: „Das offizielle Kulturleben der Ukraine ignoriert das Phänomen zeitgenössischer Kunst.“ – „In den Lehrplänen höherer Schulen kommt zeitgenössische Kunst nicht vor.“ – „Den meisten Menschen in Kiew bleibt zeitgenössische Kunst verschlossen, unverständlich und marginal.“ – „Zeitgenössische Kunst in der Ukraine ist ein künstliches Phänomen.“ In Viktor Pinchuks Museum hat man solche Töne nicht gehört.
Pinchuk Art Center, Kiew, Informationen unter www.c-artpinchuk.org
Christina Tilmann
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