Wiederaufbau: Glücklich verkuppelt
In Dresden kommt der Aufbau des Residenzschlosses gut voran. Jetzt ist der Riesensaal eröffnet – eine Rüstkammer von Weltrang.
Manche nennen es ein Vorbild für den Bau des Berliner Schlosses und Humboldt-Forums, doch kann man den Wiederaufbau einer Kriegsruine wohl nicht mit einer Totalrekonstruktion vergleichen. Das Dresdner Residenzschloss, in dem die Sächsischen Kunstsammlungen von Weltrang in einem wunderbaren Ambiente und unter perfekten Bedingungen untergebracht sind, kehrt glanzvoller denn je ins Stadtbild und in das Bewusstsein der Bürger zurück. Inzwischen sind viele Teile des im Zweiten Weltkrieg ausgebrannten Gebäudes wieder in Gebrauch und ein Publikumsmagnet, vor allem natürlich die legendäre Kunstsammlung Augusts des Starken, das Grüne Gewölbe.
Die Wiedervereinigung war für das Schloss zur rechten Zeit gekommen. Engagierte Bürger und die Dresdner Denkmalpfleger hatten sich große Verdienste erworben, als sie der ideologischen Abrisswut der SED entgegentraten, mit eigenen Händen die Ruine sicherten und den Wiederaufbaubeschluss erwirkten. Indes war absehbar, dass das Schloss auf Jahrzehnte hinaus eine Baustelle bleiben würde.
Auch in anderer Hinsicht kam die Wende noch rechtzeitig, denn die Denkmalpflege, befeuert vom Publikumserfolg des Wiederaufbaus der Semperoper, hatte sich auf dem Gebiet der Rekonstruktion zu weit vorgewagt. Unverantwortliche Rekonstruktionen mancher Partien, die es schon seit dreihundert Jahren nicht mehr gibt, verschwanden dann wieder von der Agenda. Fragwürdig bleibt die im Bau befindliche Neuerfindung des Schlingengewölbes in der Schlosskapelle. Schon August der Starke hatte die Kapelle nach seiner Konversion zum Katholizismus ausgeräumt, weshalb es außer zwei zufällig im Schutt gefundenen Rippenbruchstücken eine verlässliche Dokumentation nicht gibt.
Ein weiteres Vorhaben ließen sich die für den Wiederaufbau Verantwortlichen in Staatsregierung und Denkmalpflege leider nicht ausreden. Der große Schlosshof wird nach wie vor mit prächtigem Sgraffitodekor des 16. Jahrhunderts ausgeschmückt. Das Problem dabei ist: Wie der 1701 ausgebrannte Hof ausgesehen hatte, weiß man nur ungefähr von zeitgenössischen Gemälden. Reste am Bau gaben immerhin Auskunft über Material und Duktus der Darstellungen. Dresdner Künstler bemühen sich nun um die Neuerschaffung des Renaissancedekors. Freilich, je perfekter die Illusion gelingt, desto näher kommt sie auch der Fälschung. Besonders kurios wird es, wenn die Wände des Ostflügels mit Renaissance dekoriert werden, denn die stammen aus dem 19. Jahrhundert und haben eine ganz andere Fensteranordnung. Derlei „schöpferische Rekonstruktion“ hat mit verantwortungsvoller Denkmalpflege nichts zu tun. Doch das Publikum ist’s zufrieden, ist der falsche Glanz doch hübsch anzuschauen.
Ein großer Wurf ist die Überdachung des kleinen Schlosshofs durch den Kölner Architekten Peter Kulka mit einer gläsernen Flachkuppel, die von außen aus vielen Richtungen deutlich wahrzunehmen ist. Kulka ist mit dem überraschenden Blasendach, das er in aller Bescheidenheit gern mit der Louvre-Pyramide vergleicht, in Dresden erstaunlicherweise nicht auf Widerstand gestoßen. Der zusätzliche Foyer- und Erschließungsraum ist ein Segen , er ist immer belebt, hier sammelt und orientiert man sich und findet den Weg zu den verschiedenen Museen.
Eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Schloss
Eine wichtige Etappe konnte jetzt wieder abgeschlossen werden. Bei der schwer beschädigten „Englischen Treppe“ im Ostflügel ist der radikalmoderne Peter Kulka über den eigenen Schatten gesprungen und hat sie rekonstruiert, mit der reichhaltigen Ausstattung mit Putten und Stuckwerk. Oben angekommen, schließt sich nun der „Riesensaal“ an, benannt nach den überlebensgroßen Kriegern, die zur Renaissancezeit die Wände schmückten. Moritz von Sachsen hatte den prächtig ausgemalten Saal um 1550 errichten lassen. 1701 fiel der dem großen Schlossbrand zum Opfer. August der Starke ließ den Raum 1718 zum prunkvollen barocken Festsaal ausgestalten, doch schon 1733 ließ sein Sohn August III. Trennwände und Decken einziehen, für Wohngemächer und eine Kapelle.
Seit 1945 standen vom Ostflügel nur noch die Umfassungswände. Die Wiederaufbaupläne sahen eine „historisch getreue“ Rekonstruktion des vor 380 Jahren verschwundenen Saals vor. Nicht mit Kulka. Er versprach Moderne mit edlen Materialien und festlichen Farbkompositionen, aber keine Wandgemälde und rekonstruierte historische Formen.
Da macht sich heute beim Betreten des Raums doch ein wenig Ernüchterung breit. Das fahl-weiße Tonnengewölbe ist nach historischem Vorbild in Rauten unterteilt. Die Stirnwände, optischer Zielpunkt eines solchen gerichteten Raumes, sind nackte weiße Wandflächen – der Raum läuft ins Nichts. Den Seitenwänden hat Kulka eine „zweite Wandschicht“ vorgestellt, die jedoch nicht als solche Schicht erlebbar ist. Die schwere, anthrazitgraue Stucco-Lustro-Wand lastet gänzlich untektonisch auf gläsernen Vitrinen. Das Tonnengewölbe scheint sich nicht auf die eigentliche Wand zu stützen, weil das sie tragende Gesims verdeckt ist.
Die düstere Wandfarbe – sie soll an die Farbe der Wandgestaltung im Schlosshof draußen erinnern, wo die Turniere stattfanden, was niemand nachvollziehen wird – lassen nicht die versprochene festliche Stimmung aufkommen.
Aber vielleicht ist es gut so, dass der Saal wenig Aufmerksamkeit heischt, gut für die Exponate der Rüstkammer. Denn im Riesensaal präsentiert sich eine Sammlung von Weltrang, mit der sich nur jene der Hofburg in Wien und des Königsschlosses in Madrid vergleichen können. Kostbarste Rüstungen, Kostüme und Prunkwaffen, epochale Handwerkskunst aus dem 15. bis 17. Jahrhundert blinken aus den Vitrinen. Drei unterschiedliche Turnierarten mit elf lebensgroßen, geharnischten Pferden und Reitern sind bühnenreif in Szene gesetzt. Die großartige höfisch-zeremonielle Erlebniswelt ist nun eine kaum weniger attraktive Ergänzung zum Publikumsmagnet Grünes Gewölbe im selben Haus.
Das Projekt Residenzschloss ist nicht vollendet. Noch erinnern die Paradesäle im zweiten Obergeschoss in ihrem Rohbauzustand mit Resten des historischen Dekors an das Neue Museum in Berlin. Es wird verschiedene Grade der Rekonstruktion geben. Es gehe darum, die früheren Zustände je nach Befundlage und Dokumentation zu „inszenieren“, sie interpretativ darzustellen, mit den „Wunderkammern der Geschichte Emotionalität zu wecken“, wie es Museumsdirektor Dirk Syndram ausdrückt.
Die glückliche Lösung der Raumprobleme und die enormen Publikumserfolge haben die erbittert geführten Diskussionen um den Wiederaufbau abebben lassen. Das Projekt ist in ruhigem Fahrwasser, wie man es vielen Großvorhaben anderenorts wünschen möchte.
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