Der Bauhäusler Herbert Bayer: Glamour und Geschäftssinn
Bauhauslehrer, Nazipropagandist, Emigrant: Eine Ausstellung beleuchtet die Berliner Jahre des Werbegrafikers Herbert Bayer. Der Avantgardist prägte die moderne Bildsprache zunächst am Bauhaus und bis zu seiner Emigration 1938 auch unter den Nazis.
So ist’s recht: Die Ikonen hängen gleich am Eingang. Ein junger Mann, der mit erschrocken aufgerissenen Augen feststellt, dass er seine Achselhöhle in Scheiben entnehmen kann. Zwei Hände, die vor einer Berliner Gründerzeitfassade in der Luft schweben und aus deren geöffneten Handflächen ebensolche Augen starren: das sind „Selbstportrait“ und „Einsamer Großstädter“, beide aus dem Jahr 1932, beide ausgesprochen surreal, Herbert Bayers bekannteste Fotomontagen.
Erstere begegnet zwingend jedem, der sich in irgendeiner Form mit Bauhaus-Fotografie beschäftigt. Letztere ist ein wortloses Zeugnis dafür, wie sehr Herbert Bayer, der als braun gebrannter Naturbursche, Skifahrer und Bergsteiger in den Alpen aufwuchs, mit dem wuseligen Berlin der Weimarer Republik fremdelte. Auch wenn er die dortigen Arbeitsmöglichkeiten und Vergnügungen sehr schätzte. Das englisch „Lonely Metropolitan“ betitelte Original wurde vor gut einem Jahr im Auktionshaus Sotheby’s für den Rekordpreis von knapp 1,5 Millionen Dollar versteigert und gilt damit als eine der teuersten klassischen Fotografien weltweit.
Um diesen Kunstmarktwert geht es im Bauhaus-Archiv, wo in der Ausstellung „Mein Reklame-Fegefeuer“ – Herbert Bayers Werbegrafik von 1928 bis 1938“ zur Zeit 200 Arbeiten des Bauhaus-Meisters zu sehen sind, allerdings nicht. Sie widmet sich seinen Berliner Jahren, der schillerndsten Zeit des 1900 im österreichischen Haag geborenen und 1985 im amerikanischen Santa Barbara verstorbenen Gestalters.
Ausstellungskurator Patrick Rössler, der als Kommunikationswissenschaftler der Universität Erfurt sechs Jahre lang Bayers Werk und Leben erforscht hat, nennt sie im Gespräch gar die entscheidenden Jahre. „Weil wie in einem Brennglas die ganze Widersprüchlichkeit der Person zutage tritt“. Damit ist auch die des Werks gemeint, wie sich im von ihm herausgegebenen, reichhaltigen Katalogbuch „Herbert Bayer – Die Berliner Jahre“ nachlesen lässt. Als Kurzeinführung genügt es aber, sich Bayers aufregende Werbegrafiken anzusehen.
Da findet sich ein an die erst noch zu erfindende Pop-Art erinnerndes Plakatmotiv von 1938 für eine Bauhaus-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art. Ein seinerzeit als „zu modern“ abgelehntes Plakatmotiv für den Berliner Pergamonaltar (1931). Seine vielen Titelblätter für die Zeitschrift „Neue Linie“. Oder ein unglaublich fortschrittlich aufgemachtes Werbeheft für die Hygiene-Ausstellung „Wunder des Lebens“ von 1935. In das Plakat für die Schau am Kaiserdamm – eine menschliche, von einer luftballonartigen Sphäre umgebene Gestalt – hat Herbert Bayer zwar die Bauhausfarben Rot, Blau und Gelb geschmuggelt, trotzdem bleibt ein erheblicher Schönheitsfehler: Sie propagierte die NS-Rassenideologie und ist eine von drei NS-Großausstellungen, für die Bayer Broschüren gestaltet hat. Die Plakate für „Deutsches Volk, deutsche Arbeit“ (1934) und „Deutschland“ (1936) sind ebenfalls im Bauhaus-Archiv zu sehen.
Den heimlichen „Star des Progapandaministeriums“ habe ihn denn auch Ise Gropius, die zeitweilig mit ihm verbandelte Frau des Bauhaus-Architekten Walter Gropius genannt, weiß der Kurator und ergänzt: „Die Nazis verstanden sich als Avantgarde. Die wollten Modernität zeigen, kein Dumpfbacken-Image.“ So war bis 1936/37 auch in der Gleichschaltung noch eine moderne Bildsprache möglich, wie Herbert Bayer sie – seiner Zeit immer voraus – schon als Leiter der Werkstatt für Druck und Reklame am Bauhaus Dessau prägte.
Mit seinen Fotografien und den von ihm entwickelten Typografien wie der Bauhaus-Kleinschreibung gehört Bayer zu den Protagonisten des Neuen Sehens in Deutschland. Sein Grundsatz der Effizienz in der Werbung passte gut zu den Zielen der NS-Propaganda, sagt Patrick Rössler, auch wenn das Bauhaus diesen ansonsten diametral entgegensteht. „Er wurde instrumentalisiert und hat sich instrumentalisieren lassen.“
Und das, obwohl Bayer beileibe kein Anhänger war und noch dazu mit der Jüdin Irene Hecht verheiratet, ebenfalls Bauhäuslerin. Mit ihr und der gemeinsamen Tochter teilt er in Berlin anfangs eine Wohnung in der Hardenbergstraße. Doch dann trennt sich das Ehepaar und der blendend aussehende Frauenschwarm frönt als Chef des Werbestudios Dorland am Kurfürstendamm einem von schönen Models, schnellen Autos und Champagner nur so prickelnden Junggesellenleben. Bald ist Herbert Bayer der bestbezahlte Gebrauchsgrafiker Deutschlands. Seine assoziative Bildsprache, seine Collagetechnik, seine Airbrush-Illustrationen setzen ästhetische Maßstäbe.
1937 jedoch wendet sich das Blatt für den erfolgreichen Sonnyboy. Vom Hofierten zum Verfemten. Die Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ zeigt seine Arbeiten. Er leidet zunehmend unter der Emigration seiner Freunde und Kollegen wie Marcel Breuer, Walter Gropius und László Moholy-Nagy. In Briefen und Tagebuch-Einträgen klagt er über die Verdummung des Landes, erzählt Patrick Rössler, scheute aber aus Furcht vor dem beruflichen Absturz die Emigration. Erst als Walter Gropius ihm in den USA Arbeit anbot, emigrierte er 1938, gefolgt von Frau und Tochter. In den USA reüssiert er – unterstützt von den Bauhaus-Kollegen – bald wieder als Gebrauchsgrafiker, lässt sich 1946 in Aspen / Colorado nieder und arbeitet sehr erfolgreich als bildender Künstler. In den Sechzigern nimmt er auch wieder an Ausstellungen in Deutschland teil, etwa an der Documenta III.
Die Werke und schriftlichen Zeugnisse der Berliner Jahre seien teils erst nach dem Tod von Herbert Bayers zweiter Ehefrau zugänglich geworden, sagt Patrick Rössler. „Die in der NS-Zeit entstandenen Werke hat er zu Lebzeiten bewusst zurückgehalten.“ Obwohl Bayer sich durchaus als Opfer, als aus Deutschland Vertriebener gefühlt habe. Der lächelnde Mann, der in einem in der Ausstellung laufenden Schwarz-Weiß-Film fröhlich mit der geliebten Tochter spielt, wird sich gedacht haben, das ist besser so. Die Rückschau lehrt: Die Widersprüchlichkeit seiner Berliner Jahre teilen unendlich viele Deutsche dieser Zeit.
Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Klingelhöferstr. 14, bis 24. Februar; Mi–Mo 10–17 Uhr; Katalog 29 €. Am 16. 2. findet ein Bauhaus-Brunch mit Führung statt, am 23. 2. der Familienworkshop „Bauhaus-Budenzauber“ (beide 11 Uhr).
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