Kultur: Gier und Gewissen
Eine Ausstellung im Centrum Judaicum beleuchtet den Berliner Kunsthandel in der NS-Zeit
„Mein guter wie mein böser Engel“ nannte ihn der Bildhauer Ernst Barlach. Der Kunsthändler Bernhard Böhmer gilt bis heute als ambivalente Figur: Einerseits ließ er sich mit den Nazis ein und wurde zu einem der vier offiziell bestellten Verkäufer „entarteter“ Kunst im Ausland, die die enteigneten Werke für den Staat noch zu Geld machen sollten. Andererseits rettete er so manches Bild, das ansonsten bei der Verbrennung 1939 in der Feuerwache Lindenstraße vernichtet worden wäre. Barlach spürte sehr genau, dass der junge Mann, der ihm zunächst als Assistent im Atelier in Güstrow half und später in Berlin zu seinem Galeristen avancierte, undurchschaubar blieb.
Das Schillernde, nicht Schwarz, nicht Weiß, gilt für den Kunsthandel insgesamt im Dritten Reich. Fast kann man es nicht glauben, dass jetzt erst, über sechzig Jahre später, in dieser Grauzone genauer geforscht wird. Das Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. leistet hier Pionierarbeit. Unter dem Titel „Gute Geschäfte“ präsentiert das wohl kleinste Museum Berlins, das nur aus einer Geschäftsstelle mit einem einzigen Angestellten besteht, als Gast im Centrum Judaicum die Ergebnisse seiner zweijährigen Forschungstätigkeit. Ein Paukenschlag, denn wie zuletzt beim Auswärtigen Amt oder der Ärzteschaft treten auch in dieser Berufsgruppe in ungeahntem Maße Opportunismus, Gier, kriminelle Energie zutage, mit der die nur scheinbar den schönen Dingen zugewandte Branche plötzlich inmitten der NS-Politik steht.
Zugleich offenbaren sich Tragödien wie die von Alfred Flechtheim und seiner Frau Betti, der die Flucht nicht mehr gelang und die sich am Vorabend der Deportation das Leben nahm. Die Gestapo versiegelte darauf die Wohnung mit den in Berlin verbliebenen Werken klassischer Moderne, die bis heute unauffindbar sind. Das machte sich erst zuletzt ein Fälscherpaar zunutze, indem es seine Kopien mit dem Aufkleber Flechtheims versah und so getarnt als Sammlung Jägers auf dem Markt lancierte.
Vierzehn Fallbeispiele führt die Ausstellung auf – vom Täter, Mitläufer bis zum Opfer. Sie werden alphabetisch in Schautafeln mit Bildern, Texten, Zitaten ausgeführt, alle im goldenen Rahmen. Der Besucher soll sich selbst ein Urteil darüber bilden, was der Glanz jeweils symbolisiert: Talmi oder Edelmetall. Manche Galerie ging aus jüdischem Besitz in die Hände „arischer“ Mitarbeiter über – ob unter Druck oder zum Schutz, ist vielfach nicht mehr zu rekonstruieren. Auch der Titel „Gute Geschäfte“ lässt offen, ob der clevere Deal, das Schnäppchen, gemeint ist oder der anständige Laden. „Uns geht es nicht um Denunzierung“, so Christine Fischer-Defoy, die als Projektleiterin die zwölf ehrenamtlichen Provenienzforscherinnen koordinierte. „Der Skandal ergibt sich aus den Fakten.“
Den Anfang machte die fünfseitige Liste im Entschädigungsantrag der Tochter von Max Cassirer, der Fischer-Defoy bei ihren Recherchen für ein zurückliegendes Ausstellungsprojekt in die Hände gefallen war. Damals hatte sich das Aktive Museum die Verdrängung Berliner Stadtverordneter vorgeknöpft und war auf Max Cassirer gestoßen, der bei seiner Emigration nach England seine Sammlung mit Werken von Max Liebermann bis August Gaul zurücklassen musste. Wo sind die Bilder geblieben? Wer sind die Täter? Caroline Flick ist im Rahmen der neuen Ausstellung so manchem Werk auf die Spur gekommen, denn Cassirer ließ seine Wohnung vor der Auflösung fotografieren. Das Pfalzmuseum Kaiserslautern hat nun einen Restitutionsantrag der Familie auf dem Tisch.
Die Ausstellung im Centrum Judaicum mag letztlich ein großer Katalog auf Stellwänden sein, der es an Originalen mangelt – bis auf zwei Gemälde, die das Bundesamt für offene Vermögensfragen zur Verfügung stellte. Das Porträt von Anton Graff, das für Hitlers „Führermuseum“ in Linz einst vorgesehen war, und eine Ansicht der eingerüsteten Berliner Bauakademie von einem Schinkel-Schüler harren bis heute ihrer Besitzer, die unauffindbar sind. Sie stehen als Beispiele für all jene entwendete Kunst, mit der sich profitabel handeln ließ.
Das Erschütternde der Ausstellung besteht darin, wie reibungslos die Weiterverwertung funktionierte. Bis 1938 war die Branche arisiert, 312 Mitglieder mussten den Berufsverband verlassen. Doch der Handel florierte weiter, denn die Sammlungen jüdischer Emigranten überschwemmten den Markt. „Hoffentlich belebt sich nun auch dein Geschäft und ich wünsche Dir, dasz Du recht viele Rembrandts und Tizians verkaufst. Denn nun, wo die jüdische Schleuderkonkurrenz abgehängt wurde ... wird doch auch der Altkunsthandel aufblühen,“ schrieb George Grosz gallig aus den USA an Eduard Plietzsch, der sich später als Einkäufer für das „Führermuseum“ andiente und beim Aufspüren von Kunst in den Niederlanden ordentlich Provision kassierte.
Den gewieften Händlern stand eine neue Käuferschicht gegenüber: Nazi-Prominenz, die sich mit alter Kunst behängte, und kleine Leute, die sich günstig mit Haushaltswaren eindeckten. In Auktionslisten ist bis zur Butterdose und den Damastservietten aufgeführt, wer sich an der Verschleuderung bereicherte. Der Besucher kann selbst in Versteigerungskatalogen blättern, die für die Ausstellung im Internet erworben wurden.
Ein neues Geschäftsfeld tat sich auf. In den Dreißigern gründeten sich mehrere Auktionshäuser, die sich auf Wohnungsauflösungen spezialisierten. So manche Versteigerung fand sogleich vor Ort statt, in den von ihren Bewohnern kurz zuvor verlassenen Häusern. Leo Spik etwa, der 1919 als junger Mann seine erste Kunsthandlung eröffnete, stieg 1934 ins Auktionsgeschäft ein und annoncierte 1941 ganz ungeniert in einer „Weltkunst“-Ausgabe die „Versteigerung von Petschek-Besitz“ mit Abbildungen von Tapisserien, Rokoko-Möbeln und Holländischen Meistern. Die Darstellung dieses Fallbeispiels endet mit dem lakonischen Hinweis, dass das Auktionshaus bis heute existiert und erst im März seine 637. Versteigerung durchgeführt hat.
Belangt wurden die Kunsthändler, die sich als Hehler betätigten, selten oder nie. Einzige Ausnahmen: Hans Joachim Quantmeyer, der im sowjetischen Gefangenenlager verstarb, und Karl Haberstock, gegen den die Verfahren jedoch eingestellt wurden. Der Chefeinkäufer für das „Führermuseum“, der nach dem Krieg seinen Kunstbesitz dem Augsburger Museum stiftete, galt bis in die neunziger Jahre als Humanist und Mäzen. Erst ein US-Forscher deckte seine Vergangenheit auf. Nun endlich müssen sich auch seine Kollegen stellen.
Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28-30, bis 31.7.; So-Mo 10-20, Di-Do 10-18, Fr 10-17 Uhr. Katalog 20 €.
Nicola Kuhn
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