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Kultur: "Ghost World": Alles ist nichts

Enid (Thora Birch) und Rebecca (Scarlett Johansson) sind echte Teenie-Zicken - zutiefst überzeugt von der eigenen Überlegenheit. Und natürlich ganz, ganz anders als der Rest der Menschheit.

Enid (Thora Birch) und Rebecca (Scarlett Johansson) sind echte Teenie-Zicken - zutiefst überzeugt von der eigenen Überlegenheit. Und natürlich ganz, ganz anders als der Rest der Menschheit. Doch sobald jemand ihren Normen nicht entspricht, starren sie, kichern und denken sich Streiche aus.

"Ghost World" spielt im Sommer nach ihrem Schulabschluss. Jetzt oder nie werden sie die Welt aus den Angeln heben. Nur: Wogegen rebellieren, wenn die Lehrer und Mitschüler weg sind, wenn der Vater (Bob Balaban) in eine neue Ehe wieselt wie ein Nagetier ins Erdloch und die Freiheit sich darin erschöpft, Hot dogs zu verkaufen?

Enid lernt Seymour (Steve Buscemi) kennen - Seitenscheitel, Strickjacke, Hundeblick. Ihre anfängliche Herablassung weicht Neugier, dann Respekt. Seymour kennt sich aus mit frühem Jazz und Blues. Hier ist es, das Echte und Wahre, das Enid in den Shopping Malls vergeblich sucht. "Devil Got My Woman", 1931 aufgenommen von Skip James, ist rauer Blues. Von Regisseur (und Schallplattensammler) Terry Zwigloff wunderbar ruhig in Szene gesetzt, symbolisiert das Stück eine untergehende Kultur.

"Die Kultur ist auf der ganzen Welt im Verfall begriffen", sagt Zwigloff, "in Amerika passiert es nur schneller als zum Beispiel in Europa, wo die Traditionen tiefer wurzeln." Auf der Suche nach kultureller Selbstversicherung haben er und Ko-Autor Daniel Clowes ihren Figuren uramerikanische Ausdrucksformen gegeben: Seymour den Jazz und Blues, Enid die Comics, die sie zeichnet. "Ghost World" basiert auf Clowes gleichnamigen Roman in Comicform, der Titel spiegelt das Verschwinden der Unverwechselbarkeit, von den Kleidern bis zum Essen.

Enid, die in ständig wechselnden Outfits und Posen ihre Wirkung ausprobiert, muss feststellen, dass die Welt ihr wenig Interessantes zu bieten hat. Sie provoziert und provoziert - und merkt, dass sie eine lange Suche vor sich hat. Sie ist mutig, begabt, stark - und viel einsamer, als sie geahnt hat.

Thora Birch wirkt wie die rotzige kleine Schwester ihrer Schauspielerkollegin Christina Ricci. "Ghost World" hat Ähnlichkeit mit "American Beauty" (1999), wo Birch einen stilleren, aber ebenso unsicheren Teenager spielte. Beide Filme handeln von der Suche nach Schönheit in einer genormten Welt, sind visuell hoch stilisiert und in hervorragender Ensemblearbeit von Regie, Buch und Kamera über Ausstattung, Musik und Besetzung bis in die Nebenrollen entstanden.

Der Blues "Devil Got My Woman" wirkt hier so kostbar wie der gerettete gläserne Briefbeschwerer in George Orwells "1984" "Ghost World" ist eine Anti-Utopie, die in der Gegenwart spielt. Auch wenn die Menschheit nach dem 11. September andere Sorgen hat, als sie diesen in satten Friedenszeiten gedrehten Film grundieren: Haben wir es geschafft, die Welt zu normen, ganz ohne Diktatur?

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