Feminismus in Ägypten: der Film "Kairo 678": Gewalt und Gegenwehr
Ein Ägypter dreht einen feministischen Spielfilm? Aber ja. Mohamed Diabs "Kairo 678" ist ein Protestschrei, der sich aus konkret verbürgten Fällen speist - von der sexuellen Belästigung im Bus bis zur vollzogenen Vergewaltigung.
Mit dem Bus 678 fährt Fayza (Bushra Parwani) nach der Arbeit quer durch Kairo nach Hause. Lieber würde sich die erschöpfte junge Frau ein Taxi leisten, doch das Schulgeld für zwei Kinder will bezahlt sein, und der Mann verdient mit Gelegenheitsarbeiten nicht genug.
Fayzas Kleidung verhüllt Körper und Haar, sie erfüllt das Bild der züchtigen Frau nach dem Denkschema ihrer Kultur vollkommen, dennoch wird sie im Bus sexuell belästigt und verfolgt. Der übliche Trick der Täter: Sie drängen sich mit einer Zitrone in der Hosentasche an eine Frau heran – und nutzen deren Schockstarre für umso intimere Übergriffe im Schutz der Menge. Jede laute und direkte Abwehr wäre zwecklos, sie würde allein die Frau als Schuldige bloßstellen. Die Fahrgäste ignorieren solche Vorfälle, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Fayza bleibt nur die Flucht aus dem Bus, bis sie eines Tages einem Angreifer im Affekt eine Nadel aus ihrem Schleier in die Genitalien jagt. Immer mehr solche Männer, die beredt über den Hergang schweigen, landen im Hospital. Ein Kommissar enthüllt das peinliche Geheimnis. Anhand der Zitronen, die er in ihren Hosentaschen findet, überführt er die vermeintlich Ahnungslosen und schließt auf den Racheakt einer Frau.
Der Ägypter Mohamed Diab schrieb die Drehbücher zu einigen Erfolgsfilmen seines Landes. Sein Debüt als Filmregisseur wollte er jedoch einem Thema widmen, das ihm in den Jahren vor der Revolution 2011 immer wichtiger geworden war. „Kairo 678“, entstanden bereits 2010, ist der erstaunlich deutliche feministische Appell eines ägyptischen Autorenfilmers, sich mit dem Albtraum der Gewalt gegen Frauen in seiner zutiefst gespaltenen misogynen Gesellschaft auseinanderzusetzen.
„Kairo 678“ ist Sozialdrama, Beziehungsfilm, Krimi und Gerichtsdrama, in der Fülle noch ohne Balance, doch seine Hommage an Frauen, die sich öffentlich zu wehren wissen, setzt Zeichen. Den Hintergrund für die verbreiteten sexuellen Attacken sieht der Regisseur nicht allein in einem übersteigerten, religiös legitimierten Männerkult, sondern auch in sozialer Not und Verrohung: Viele Ägypter können aus Kostengründen erst spät heiraten, und außereheliche Sexualität ist kaum lebbar. So sucht sich die tiefe Frustration und Aggressivität einer Generation ihr Ventil auf Kosten der Frauen.
„Kairo 678“ führt drei unterschiedliche Protagonistinnen zusammen, deren Geschichten auf authentischen Fällen beruhen. Die heimlich militante Fayza, eine Frau in den Zwängen des tradierten Frauenbildes, sucht Seba (Nelly Karim) auf, eine allein lebende Künstlerin. Auch sie erlebte das Stigma doppelter Entwürdigung. Bei einem Fußballspiel mitten in der Öffentlichkeit von enthemmten Fans gekidnappt und vergewaltigt, wird sie von ihrem Verlobten verlassen, dessen Ego die „Schande“ nicht erträgt.
Seba gewinnt Fayza, indem sie im Fernsehen für ihre Selbsthilfekurse wirbt, in denen sie Frauen bestärkt, sich dem Erlebten überhaupt zu stellen. Nelly (Nahed El Sebaï), die dritte Protagonistin, repräsentiert den Typ der behüteten Tochter in einer nur vordergründig modernen Familie. Ein fremder Autofahrer versucht, sie auf offener Straße in sein Fahrzeug zu zerren. Als sie die Polizei einschaltet, um den Täter vor Gericht zu bringen, kollidiert dieser Schritt mit dem traditionellen Ehrbegriff der Eltern und provoziert fast den Bruch.
„Kairo 678“ entfaltet den feministischen Diskurs wie das moralische Muss einer angemessenen Gegenwehr als komplexe Episoden-Erzählung. Darin werden die kontrastierenden Milieus der drei Frauen ebenso ausgemalt wie die Rückblenden, die ihre Schockerfahrungen spiegeln, und die Dauerdispute mit den Männern, die ihnen nahe stehen.
Im Mittelpunkt dieses labyrinthischen Streifzugs steht das schwierige Freundschaftsverhältnis zwischen Fayza, Seba und Nelly. Sie streiten sich, doch der Film spielt ihre unterschiedlichen Waffen – Nadelstiche, Karatekurse oder die Erzwingung eines Gerichtsprozesses – nicht gegeneinander aus.
Diab kennt das Ressentiment, Frauen signalisierten durch ihre Kleidung und ihr Verhalten doch bloß, dass sie die Attacken „gewollt hätten“. Sein Film schildert, wie diese Schuldzuweisung das Verhältnis der Komplizinnen trübt. Doch am Ende gibt er ihrer Solidarität eine größere Chance als den religiös begründeten Kleidervorschriften.
In den Berliner Kinos fsk und Zukunft (beide OmU)
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität