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Das Ende des Prager Frühlings. 1968 marschieren sowjetische Truppen in die tschechische Hauptstadt ein, um die Reformationsversuche der dortigen kommunistischen Partei niederzuschlagen.
© dpa

Tagung zur Kommunismusforschung: Gewalt ist der Urgrund

Krieg, Exzess und Terror: Auf einer Tagung diskutierten Jörg Baberowski und andere Osteuropa-Historiker über die Gewalt im Kommunismus - und die geteilte, europäische Erinnerung daran.

„Nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche terrorisierten die Bolschewiki ihre vermeintlichen Gegner, nicht weil sie eine Mission zu erfüllen hatten, sondern weil sie keine andere Möglichkeit hatten, Macht durchzusetzen.“ Jörg Baberowski, Osteuropa-Historiker an der Humboldt-Universität, zog bei der Tagung „Blinde Flecken in der Geschichtsbetrachtung? Kommunismus im 20. Jahrhundert“, den die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung am vergangenen Wochenende ausrichtete, eine bittere Bilanz.

Dass der Kommunismus – auch derjenige sowjetischer Prägung – eine „Mission“, ein menschheitsbeglückendes Ziel gehabt hätte, ist bis heute die Überzeugung linksintellektueller Kreise. Baberowski hingegen sieht die Geschichte der Sowjetunion als eine Spirale aus Gewalt seit dem Bürgerkrieg, der ein „Krieg der totalen Entgrenzung“ gewesen sei. „Nicht Marxismus und Theorie, sondern Krieg und Exzess waren die Väter der bolschewistischen Kommandowirtschaft und ihrer autoritären Kultur“, schreibt Baberowski im Einleitungsaufsatz zum neuen „Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung“, herausgegeben gleichfalls von besagter Bundesstiftung. In seinem Tagungsbeitrag weitete Baberowski diese Perspektive auf eine Geschichte „der“ Moderne, die den modernen Interventionsstaat hervorbrachte, zwar in vielfältiger Gestalt, jedoch immer mit der Tendenz der Durchdringung des zuvor Privaten.

Die Kultur politischer Gewalt als zentrales Element kommunistischer Systeme

Mit Bezug auf Hannah Arendt beschrieb er den Terror als „Wesen der totalitären Herrschaft“. Deren „Gesellschaft wird in einer Weise organisiert, dass sie selbst die Bedingungen des Terrors erfüllt“. Erkennbar orientiert sich Baberowski an der Stalin-Zeit und dem Jahr 1937 als dem Höhepunkt des „Großen Terrors“ gegen jedermann. Genau dieses Jahres wegen werde die Sowjetunion heute noch verklärt, spitzte Baberowski zu: „Angesichts dieses grauenhaften Schreckens“ sei es „ein großer Fortschritt“ gewesen, als Chruschtschow und nach ihm Breschnew an die Spitze kamen. Das private Glück der Sowjetmenschen, das sich in ihren Regierungszeiten erstmals entfalten durfte, bildete den Gegenpol zur fortwährenden Überwachung durch die totalitäre Herrschaft. Gegen die Fokussierung auf die dreißiger Jahre wandte Juri Durkot aus dem ukrainischen Lemberg ein, die Sowjetunion habe weiterhin auf Gewalt beruht, nur nicht mehr auf extremem Terror: Doch sei „die Kultur der politischen Gewalt das zentrale Element kommunistischer Systeme“.

Zsuzsa Breier, die aus Budapest stammende, in Berlin lebende Kulturvermittlerin und zeitweilige Staatssekretärin in Hessen, hob die besonderen Erfahrungen der mittel- und osteuropäischen Länder hervor. Westeuropa habe „Erfahrung nur mit einem absoluten Übel gemacht, Osteuropa hingegen mit zweien“, sprach Durkot die Gleichzeitigkeit von Faschismus und Stalinismus an. Auf die „geteilte Erinnerung Europas“ hatte bereits Anna Kaminsky, die Leiterin der Bundesstiftung, in ihrem Vortrag aufmerksam gemacht.

Der Westen sollte endlich die Geschichte der ehemaligen Ostblockstaaten zur Kenntnis nehmen

Zsuzsa Breier unterstrich mit Verve, „der Westen“ solle „endlich unsere Geschichte zur Kenntnis nehmen“. Gegen die Geringschätzung des Nationalstaats im Westen – da muss sie wohl an die deutsche Bundesrepublik gedacht haben – stehe die Wiedererringung nationalstaatlicher Souveränität der Staaten des sowjetischen Machtbereichs nach dem Zerfall des Ostblocks. In Ungarn habe man nie „über Trianon“ – gemeint sind die Pariser Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg – sprechen dürfen: „Dabei hat Ungarn zwei Drittel seines Gebiets verloren. Wie kann es da eine gemeinsame Erinnerung in Europa geben?“

Eine große Frage blieb: Warum fällt es so vielen Menschen schwer, die Gewaltgeschichte des Kommunismus zur Kenntnis zu nehmen? Es muss wohl die Faszination der vermeintlichen Menschheitsmission sein, deren Protagonisten 1917 den Lauf der Geschichte mit aller Gewalt veränderten.

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2017. Hrsg. im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Metropol Verlag, Berlin 2017. 282 S., 29 €.

Bernhard Schulz

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