Kultur: "Gespenstersonate": Dinner for Martha
Aribert Reimanns "Gespenstersonate" ist zurückgekehrt. Nach sage und schreibe 19 Inszenierungen seit der triumphalen Uraufführung vor 16 Jahren wurde sie am selben Ort, im Hebbel-Theater, als Produktion der Zeitgenössichen Oper Berlin erneut ein umjubelter Erfolg.
Aribert Reimanns "Gespenstersonate" ist zurückgekehrt. Nach sage und schreibe 19 Inszenierungen seit der triumphalen Uraufführung vor 16 Jahren wurde sie am selben Ort, im Hebbel-Theater, als Produktion der Zeitgenössichen Oper Berlin erneut ein umjubelter Erfolg. Im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Münchner Premiere des neuesten Reimann-Opus, "Bernarda Albas Haus" (Premiere am 30. Oktober), hätte man das düster-fantastische Kammerspiel nach August Strindberg gar nicht besser platzieren können: Anziehungspunkt für eine illustre Fangemeinde. Kultursenator Christoph Stölzl wurde allerdings nicht gesichtet, dem angesichts des 12-köpfigen, multifunktional agierenden Orchesters wohl nur entfahren wäre: "Na bitte, es geht doch!"
In der Tat geht alles prächtig, was jedoch weniger zum Beweis für explodierende Kreativität unter strangulierenden Bedingungen dienen sollte als vielmehr der Möglichkeit, auch mit dem Risiko des zeitgenössischen Musiktheaters sein Publikum zu finden und zu fesseln. Sabrina Hölzer setzt auf ein bewusst zurückhaltendes, der hochexpressiven Musik den Vortritt lassendes Regiekonzept. Wie ein Pfeil fährt die Fassade des Hauses, in dem sich Verrückte und Verstorbene, Ehebrecher und Mörder zum Gespenstersouper treffen, in den dämmrigen Vorplatz hinein. In diesem Ambiente (Bühne: Etienne Pluss) von unterschwelliger Aggression und zunehmender Enge, hinter wechselnd erleuchteten Fenstern, erscheinen Vexierbilder: Die Verlobte des greisen, vampirhaften Direktor Hummel, die nach 60 Jahren immer noch Brautkleid und Myrthenkranz trägt, der tote Konsul, der seine Kränze zählen will, das in einer Welt von Hyazinthen lebende, immer durchscheinender werdende Fräulein.
Teils sind dies reale Gestalten, teils Tote, wie das Milchmädchen am Brunnen, (Luisa Lossau), auch sie vom Alten (Adalbert Waller) gemordet. Doch Gespenster sind sie alle, im Netz abstruser Verstrickungen einander quälend, ohne Zukunft. Keiner ist, was er zu sein vorgibt - "gute Gesellschaft" mit ihren Enthüllungen und Gerüchten wie eh und je. Einzig der Student Arkenholz versucht dieses Gestrüpp zu durchdringen - "gut ist schuldlos bleiben" ist sein Schlusswort. Christian Baumgärtel versieht diese "Lichtgestalt" mit feinem, leichtem Tenorschmelz in weit ausgreifenden, höchste Höhen erklimmenden Girlanden.
Auch sonst sind die sängerischen Leistungen durchwegs hervorragend, darunter der bestrickende Sopran von Malin Byström als etwas zu gesundes Hyazinthenfräulein und Günter Neubert mit markigem Tenor als Oberst. Rüdiger Bohn führt das Orchester sicher durch die Klippen verwickelter Solopassagen namentlich der Bläser.
Doch das eigentliche Ereignis ist - wie auch schon zur Uraufführung - Martha Mödl in der Partie der "Mumie". Wie die mittlerweile in biblischem Alter stehende Sängerdarstellerin als Papagei Polly im Wandschrank girrt und plappert, mit plötzlicher Würde das Strafgericht des Alten unterläuft und selbst bedrohliche Machtfülle gewinnt, wie sie steht, geht und mit wunderbar klangvoller Stimme spricht - das schweißt die ganze skurrile Gesellschaft mit der Doppelbödigkeit zusammen, ohne die sie nur ein "Dinner for one" wäre.
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