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Im Salon der Moderne: Geschwister Stein-Sammlungen werden in New York gezeigt

Matisse, Picasso, Cézanne: In New York werden die Sammlungen der Geschwister Stein zusammengetragen.

Ohne Händler und Sammler keine (große) Kunst – diese Erkenntnis ist nicht neu, hat aber den Ausstellungsbetrieb erst in jüngerer Zeit so recht erfasst. Nicht mehr allein die Entwicklung eines künstlerischen Œuvres ist Thema musealer Recherchen, sondern ebenso das Zustandekommen und die Präsentation privater Sammlungen.

Mit den Geschwistern Stein ist eine der berühmtesten derartiger Geschichten Gegenstand einer Ausstellung, die nach ihrer ersten Station im Pariser Grand Palais nun ins New Yorker Metropolitan Museum weitergewandert ist. Denn die drei Kinder der wohlhabenden Familie Stein, Leo, Gertrude und Michael – sowie des Letzteren Ehefrau, Sarah – kamen zu einer Zeit nach Paris, als dort die Moderne entstand, jedenfalls diejenige Pariser Zuschnitts, und begeisterten sich für Picasso und Matisse. Amerikanisches Geld, französische Kunst – das war und ist eine Verbindung, die bis heute für allergrößte Aufmerksamkeit im Kunstbetrieb bürgt.

Die Eltern Stein – der Vater war deutscher Abstammung – lebten nahe Pittsburgh, wo auch die Kinder aufwuchsen. Der Vater war später am Bau der Cable Cars von San Francisco beteiligt und legte den Grundstock zu einem Vermögen, das der älteste Sohn Michael vermehrte und so schon in jungen Jahren sich sowie Leo und Gertrude ein sorgenfreies Leben in Paris ermöglichen konnte.

Kurz nach der Jahrhundertwende 1900 kamen sie in die Seine-Metropole, lernten die noch unbekannten Künstler Picasso und Matisse kennen und bauten im Laufe der Jahre Sammlungen auf, die schließlich um die 600 Werke umfassten. Während die beiden Brüder auf Matisse setzten, befreundete sich die Schwester mit Picasso. Leo und Gertrude sammelten zunächst gemeinsam, teilten jedoch 1913 ihre Bestände auf. Der Älteste der drei, der als Familienoberhaupt die Finanzen führende Michael, verkaufte nach dem Ersten Weltkrieg etliche Werke an Albert C. Barnes, den eigensinnigen Pharmamillionär aus Philadelphia, der seine Sammlung von vorneherein als Museum anlegte.

Gertrude Stein hat als radikal moderne Dichterin – „A rose is a rose is a rose“ – ein künstlerisches Werk eigenen Ranges geschaffen. Sie begegnete den Künstlern auf Augenhöhe. Das Porträt, das Picasso 1906 von ihr malte, gehört zu den Inkunabeln der Pariser Moderne – und zudem seit dem Tod von Gertrude als Erbstück dem Metropolitan Museum, das nun mit den nachweislichen Sammlungsobjekten der Steins einen Publikumsmagneten anbietet. Bereits im Grand Palais hatten sich die Besuchermassen durch die streng nach den künstlerischen Dioskuren Matisse und Picasso getrennten Ausstellungsetagen geschoben.

Das dürfte das glatte Gegenteil der geselligen Atmosphäre gewesen sein, die Gertrude Stein in ihrem mit Leo geteilten Appartment in der Rue de Fleurus 27 verbreitete, wo sie sonnabends ihren Salon abhielt. Die „Expats“ der folgenden lost generation wie F. Scott Fitzgerald haben das Bild der thronenden Hausherrin ebenso verewigt wie zuvor Picasso in einem monumentalen Porträt. Das wirkt durch die erhöhte Perspektive nur noch massiger und betont den scharf geschnittenen Kopf. Gertrude behielt das Konterfei ihr Leben lang, wie auch die anderen Picassos. Leo hingegen nahm bei der Sammlungsteilung 1914 die Matisse-Gemälde an sich, gab jedoch unter anderem das Hauptwerk des Malers, das „Lebensglück“ von 1906, in den Handel. So gelangte es zu Barnes, der jede Ausleihe testamentarisch untersagte, so dass ausgerechnet dieses Gemälde in der Stein-Schau fehlen muss.

Gegenüber seinen Geschwistern kommt Michael etwas zu kurz weg, dabei waren er und seine Frau Sarah die begeistertsten Matisse-Sammler. Erstaunlich, wie sehr sie noch nach dem Krieg dem ewig lebenstrunkenen Matisse anhingen, so als dieser 1919 das Postkartenbild der „Bucht von Nizza“ malte. Kaum bekannt ist, dass das Ehepaar Michael-Sarah am Puls der Zeit blieb, als es 1926 Le Corbusier mit dem Bau einer Villa bei Paris beauftragte, die als Villa Stein-de Monzie in die Architekturgeschichte eingegangen ist. Im voluminösen Katalog ist zu sehen, dass das Interieur der Villa genauso fin-de-siècle-mäßig eingerichtet und überladen war wie in den vorangehenden Pariser Appartments der beiden. Interessant.

Überhaupt hingen die Gemälde bei den Steins in hergebrachter Weise dicht übereinander an den Wänden, über Sofas, Türen und Bücherschränken, und konkurrierten mit Teppichen, Kunstgewerbe und Möbeln um die Aufmerksamkeit der Besucher. „Das Abenteuer der Steins“, wie die Ausstellung in Paris betitelt war, ist in New York zu „Die Steins sammeln“ ernüchtert worden, und in der Tat ist ein volles Jahrhundert nach den engagierten Ankäufen der Geschwister ein distanzierterer Blick am Platz.

Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und sie besaßen den rechten Enthusiasmus, um sich ganz in den Dienst ihrer Künstler zu stellen. Aber eine museale Sammlung aufzubauen und regelrecht zu konstruieren, wie es – bei allem kunsthistorischen Eigensinn – ein Jahrzehnt später Albert Barnes bewerkstelligte, das war ihre Sache nicht. So hat denn die Paris – New Yorker Ausstellung, die immerhin ein Drittel der Stein-Kollektion versammelt, auch etwas Ermüdendes, ja geradezu Kleinkrämerisches. Besser, man behält die tiefe Freundschaft in Erinnerung, die Picasso mit seiner Mäzenin Gertrude verband, die ihm und seiner Kunst im entscheidenden Augenblick zum Durchbruch verhalf.

New York, Metropolitan Museum of Art, bis 3. Juni. Katalog, 492 S., 50 US-Dollar. In Paris: französische Ausgabe 50 €.

Bernhard Schulz

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