Berliner Brücken (13): Geschichte im Gegenlicht: Die Jannowitzbrücke
Die Jannowitzbrücke ist Nord-Süd-Nadelöhr – und lädt zu Zeitreisen ins alte Berlin ein. Der Baumwollfabrikant Christian August Jannowitz ließ sie 1822 bauen und verlangte eine Maut.
Irgendwann hat mal jemand damit angefangen, jetzt ist eine schöne Mode daraus geworden: auf sanierten Berliner U- Bahnhöfen historische Fotografien aufzuhängen. Es sind Zeitfenster, die das eigene Erleben, den Moment relativieren. Auch den U-Bahnhof Jannowitzbrücke schmücken solche Bilder. Auf einem schickt sich ein im Gegenlicht fotografiertes, elegant gekleidetes Paar an, die Spree in der strahlenden Morgensonne zu überqueren: sie mit Hut, er in Knickerbockers, es müssen die 30er Jahre sein. Auffällig anders sah die Brücke damals aus: Eine mächtige Stahlkonstruktion spannte sich stützfrei über den Fluss. Lange her. Heute ist die Jannowitzbrücke als Bauwerk überhaupt nicht mehr auffällig. Klar, da sind die hohen Hängelaternen. Aber eigentlich könnte man beim Drüberhuschen glatt übersehen, dass man sich auf einer Brücke befindet. Anders ausgedrückt: Die Jannowitzbrücke erschöpft sich in ihrer reinen Funktion, eine Form hat sie nicht.
Aber sie ist eminent wichtig. Wer sich Pläne des Berliner Altstadtkerns anschaut, erkennt sofort den Sinn dieser Brücke. Sie nimmt den ganzen Verkehr auf, der von Norden, vom Alexanderplatz her kommt, und stellt die wichtigste Verbindung der Stadt mit den Gebieten südlich des Flusses dar. Jeder, der bei Trost ist, würde genau an dieser Stelle eine Brücke bauen. Eigentlich seltsam: Wieso entstand die Jannowitzbrücke erst 1822? Was haben die denn im Mittelalter gemacht?
Des Rätsels Lösung: In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich eine andere Brücke, die Waisenbrücke, die heute nicht mehr existiert – und die jahrhundertelang die Funktion innehatte, Berlin mit dem Süden zu verbinden. Der nördliche Pfeiler ist noch gut zu erkennen: als Ausbuchtung des Rolandufers, auf der einige Bänke stehen. Im Krieg zerstört, wurde die Waisenbrücke anschließend nur als provisorische Holzkonstruktion wiederaufgebaut und 1960 ganz abgerissen – ironischerweise, weil man sie wegen der nur 200 Meter entfernten Jannowitzbrücke nicht mehr brauchte.
1822 ließ der Baumwollfabrikant Christian August Jannowitz hier erstmals eine Flussquerung errichten – auf eigene Rechnung. Das Geld bekam er wieder rein, indem er eine Maut von sechs Pfennig nahm. 1881, mitten in der Boomphase der Reichshauptstadt, wurde die schlichte Holzkonstruktion durch eine dreibogige Eisenfachwerkbrücke ersetzt, die bis in die 1920er Jahre Bestand hatte. Schließlich entstand im Zuge des Baus der heutigen U-Bahn-Linie 8 die Eisenträgerbrücke, über die dann einige Jahre später auch das schöne Paar im Gegenlicht lustwandeln sollte.
Diese dritte Jannowitzbrücke dürfte die eleganteste und anmutigste gewesen sein. Sie wurde in der Schlacht um Berlin zerstört, von den Deutschen selbst, als „Verteidigungsmaßnahme“. In den 50er Jahren entstand das gegenwärtige, herzlich wenig aufregende Bauwerk. Zwischen 2005 und 2007 war die Brücke für unendlich erscheinende zwei Jahre wegen Bauarbeiten gesperrt. Sie sah danach – wie das oft bei Berliner Baustellen der Fall ist – genauso aus wie vorher.
Ein Blick auf die Umgebung suggeriert, dass Berlin erst in den letzten 50 Jahren entstanden sei. Obwohl dies eigentlich mittelalterliches Stadtgebiet ist. Das Südufer ist das spannendere: Hier wetteifern Jannowitzcenter und Chinesische Botschaft darum, hässlichstes Gebäude Berlins zu sein. Das erste sieht so klapperig und heillos zusammengewürfelt aus, dass man fürchtet, ein Luftstoß würde es zerlegen. Das zweite wurde noch kurz vor der Wende für den FDGB errichtet und trägt heute eine Fassade, die billig wirkt – was sie nicht daran hindert, mit monumentaler Geste einzuschüchtern. Gegenüber der Botschaft demonstrieren regelmäßig Angehörige der in China verbotenen Falun-Gong-Bewegung.
Das Viertel, das sich unmittelbar südlich an die Brücke anschließt, ist überhaupt völlig kurios. Ein höchstens 800 Meter breites Stück Stadt, in dem sich gründerzeitliche Bebauung erhalten hat, eingequetscht als Sandwich zwischen Spree und den Plattenbauten an der Heinrich-Heine-Straße. Die Brückenstraße ist die Achse, um die sich alles dreht. Ein schmaler Korridor, durch den sich der ganze Verkehr zwischen Alexanderplatz und Moritzplatz quetscht, unten rumpelt auch noch die U8.
Unglaublich, aber auch hier leben Menschen. Eine Bar trägt den Namen „Melancholie 1“, sie steht leer. Asia-Supermärkte, Sushi-Läden, Spätis, dazwischen sogar die eine oder andere klassizistische Stadtvilla im italienischen Stil, fröstelnd in norddeutscher Kühle. „Gitti's Bierbar“ hält die Stellung mit vergilbter Schultheissromantik, die Schilder an „Mittmann's Restaurant“ schreien verdächtig laut: „Urgemütlich! Seit 100 Jahren!“ Ein einsamer „Coffee Roaster“ deutet dezent an, dass sich auch diese Ecke gentrifiziert. Am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße, wo Sage Club und Tresor liegen, wissen die Betreiber, was die Stunde geschlagen hat: Mit einem großen Plakat erinnern sie Investoren daran, dass hier seit Jahrzehnten Berliner Clubkultur existiert. Ein Milieu in der Defensive.
Zurück zur Brücke und unter dem S-Bahnhof hindurch. Die Nordseite ist radikal anders, aber kaum weniger eigenwillig. Von der historischen Bebauung – immerhin verlief genau hier die Stadtmauer, die heutige S-Bahn-Trasse folgt ihrem Verlauf – ist fast nichts geblieben. Quadratkilometerweise nur Plattenbauen und Punkthochhäuser. Bei den Bewohnern beliebt, dennoch: gemordete Stadt. Peripherie im Zentrum. Dann lieber noch mal in den U-Bahnhof runter. Dort ersteht ein völlig anderes Berlin wieder auf: Kähne, Boote, Dampfer. Wuselnder Verkehr auf der Brücke, Passanten im Gehrock, Taxis, Pferdedroschken, Busse. Und Reklame: „Restaurant Belvedere“, „Strumpfwaren“, „Strickgarn“. Fahnen über Dächern, die ratternde S-Bahn Richtung Alex. Eine mediterrane Kleinteiligkeit und Dichte, explodierende Urbanität – alles auf einer Fotografie der Jannowitzbrücke von 1895. Sie zeigt, was verloren ging. Aber auch, was noch da ist. Wie die Anlegestelle der Stern- und Kreis-Schiffahrt, im Sommer ist sie eine Strandbar. Und auch Reklame wird hier natürlich immer noch gemacht: „Befrei dich vom Tarifballast!“ Die Menschen haben heute andere Bedürfnisse als Strickgarn.
Udo Badelt
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