Elbphilharmonie: Gesang der Sirenen
Die Elbphilharmonie feiert Richtfest: Hamburgs Prestigeprojekt wird immer teurer – und könnte Utopie bleiben.
Als sich die Berliner Philharmoniker im vergangenen September aufmachten, um zum krönenden Abschluss des Schleswig Holstein Musikfestivals in der Lübecker Kongresshalle zu spielen, war das nur eine Notlösung. Eigentlich hätten Simon Rattle und die Seinen nämlich eine Hansestadt weiter westlich auftreten sollen, beim Eröffnungsfestival der Elbphilharmonie. So zumindest hatten es sich die Hamburger in ihren kühnsten Träumen ausgemalt. Längst ist klar, dass auch der Ausweichtermin im Herbst dieses Jahres nicht mehr zu halten ist. Denn viel schneller als das Gebäude am Hafen wuchsen nach der anfänglichen Euphoriephase die Kosten in die Höhe. Intendant Christoph Lieben-Seutter plant derzeit die ersten Konzerte für Herbst 2013. Die Musikwelt lacht über den Hamburger Größenwahn.
Um wenigstens für einen Tag mal aus den Negativschlagzeilen herauszukommen, feierte die Elbphilharmonie nun am Freitag ein symbolisches Richtfest. Die Botschaft: Es geht voran – irgendwie. Steht man auf der sogenannten Plaza, 37 Meter über der Elbe, die das Konzerthaus an drei Seiten umspült, ist die Aussicht in den Tat fantastisch: Zur einen Seite erstreckt sich die Innenstadt, zur anderen breiten sich endlose Hafenanlagen aus. Von der Spitze des dreieckigen Komplexes schweift der Blick den Fluss hinauf, Richtung Mündung, Richtung Ferne.
Am besten genießt man dieses hanseatische Panorama natürlich von den Luxuswohnungen aus, die sich zehn Stockwerke über der Plaza stapeln, bis zur Höhe von 110 Metern. So absurd es angesichts der derzeitigen Kostenprognose von 500 Millionen Euro auch klingen mag – die Elbphilharmonie war am Anfang als sich selbst tragendes Investitionsobjekt gedacht. Darum musste auch der alte Kaispeicher A, auf den das Konzerthaus aufgepfropft wird, dran glauben: Von Werner Kallmorgens 1966 fertiggestelltem Lagerhaus ist nurmehr eine Kulisse übrig geblieben, das Innere wurde komplett entkernt, um den Bedürfnissen der kommerziellen Mieter gerecht zu werden. Ein Wellness- und ein Konferenzzentrum für das Hotel am Ostende des Hauses findet dort nun Platz, des Weiteren Keller für die Luxuswohnungen sowie eine Parkgarage, bei der die Besitzer großkalibriger Wagen nicht mehr um die eng nebeneinander gesetzten Pfeiler herumkurven müssen, auf denen früher die Last des Kakaospeichers ruhte.
Beton ist das beherrschende Element der Elbphilharmonie, nackt und roh zeigt er sich dem Baustellenbesucher auf allen 23 Etagen. Denn bis auf ein paar der blasenartig gewölbten Glasscheiben, die einst die wellenartige Außenhaut des Prestigebaus bilden sollen, ist Hamburgs Leib- und Magenschmerzenprojekt ein Skelett. Allerdings mit einem mächtigen Geschwür im Innern: Vieleckig verwinkelt wölbt sich über der Plaza eine gigantische Betonwanne gen Himmel, die irgendwann einmal die Konzerthalle aufnehmen soll. Noch ist das Dach offen – und ebenso die Frage, wie sich der ehrgeizige Plan realisieren lässt, einen Saal für 2150 Personen ohne direkten Bodenkontakt zu schaffen. Auf Stoßdämpfern nämlich wird der rund um das mittige Podium ansteigende Zuschauerraum liegen. Damit weder die Vibrationen der direkt am Gebäude vorbeifahrenden Riesentanker und Kreuzfahrtgiganten den Kunstgenuss beeinträchtigen noch das Tuten ihrer Schiffssirenen.
Hamburgs Elbphilharmonie ist ein Vorhaben, wie es in der Tat noch nie gewagt wurde – und eine Skandalgeschichte sondergleichen. 2001 hatte der Projektentwickler Alexander Gérard vorgeschlagen, den nicht mehr als Lagerhaus benötigten Kaispeicher A in ein Kulturzentrum umzuwandeln. Die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron legten dazu einen Entwurf vor, der alle entzückte: Eine gläserne Welle sollte auf den massiven Baukörper gesetzte werden. Ein neues Wahrzeichen für Hamburg!, jubelte die Bürgerschaft. Und der Projektentwickler versprach, dass dieses Wunderwerk die Stadt lediglich 77 Millionen Euro kosten würde. Der Rest käme von Mäzenen sowie einem Investorenkonsortium. Angetan von der Idee, bald einen der besten Konzertsäle der Welt in ihrer Stadt zu haben, spendeten wohlhabende Bürger tatsächlich 68 Millionen Euro.
Ruckzuck wird ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der Hochtief-Konzern gewinnt. Und los geht’s – obwohl das Projekt noch gar nicht komplett durchgeplant ist. Kein Wunder, dass sich bald das Kostensteigerungskarrusell zu drehen beginnt. Erst wird der öffentliche Anteil auf 95 Millionen angehoben, dann auf 114, mittlerweile spricht man von 323 Millionen. Damit würde das Prestigeprojekt insgesamt die Schallmauer von einer halben Milliarde Euro durchbrechen. Wenn es sich denn überhaupt realisieren lässt. 30 der bis jetzt verbauten 78 Federn, auf denen die Halle aufliegen soll, seien falsch eingebaut worden, monierten die Architekten. Yasuhisa Toyota, der weltbeste Akustiker, fordert Nachbesserungen bei der Lüftungsanlage, die laut Hochtief mindestens sechs Millionen Euro kosten werden. Gerade hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen.
Immer noch, so heißt es von staatlicher Seite, seien 60 Prozent der Hamburger für einen Weiterbau. Geradezu mantraartig wird der Vergleich mit dem berühmten Opernhaus von Sydney beschworen. Was dann doch etwas pikant wirkt. Genauso wie in Australien will man es in der Hansestadt auch haben! Wirklich? Die Realisierung von Jörn Utzorns spektakulärem Entwurf dauerte dort nicht nur zehn Jahre länger als geplant, sondern kostete den Staat auch vierzehn Mal so viel wie ursprünglich veranschlagt.
Rückwirkend betrachtet hat sich die Investition allerdings gelohnt. Nicht, dass seit der Eröffnung 1973 irgendwann mal Berichte von musikalischen Großtaten aus dem Opernhaus Sydney in die Welt gedrungen wären – dafür aber wurden die charakteristischen Riesenschuppen des Gebäudes zum Sinnbild für Australien. Und wer dort ist, will auch hinein. Über sieben Millionen Menschen nehmen jährlich an einer Führung durch den Kulturpalast teil, gerade einmal 1,2 Millionen erleben dort auch tatsächlich Aufführungen.
So wäre der Schaden für Hamburg gar nicht einmal übermäßig groß, falls sich herausstellen sollte, dass Herzog und de Meurons Idee mit dem freischwebend gelagerten Konzertsaal unrealisierbar ist. Mit der Fertigstellung der 16 000 Quadratmeter großen gläsernen Außenhaut und der Inbetriebnahme des Hotels und des Parkhauses sowie der Restaurationen auf dem 3200 Quadratmeter großen Promenadendeck wären die allermeisten Touristen absolut zufrieden. Und wohl auch die Immobilienentwickler, die rund um das Gebäude gerade einen neuen Stadtteil hochziehen. „Die Elbphilharmonie sorgte als Bekenntnis der Stadt zur Entwicklung der Hafencity für das nötige Zutrauen der privaten Investoren“, hat es der hanseatische Bürgermeister Ole von Beust ganz offen formuliert.
Eigentlich nämlich geht es darum: Hamburgs Innenstadt um 40 Prozent zu erweitern, aus dem Industriegelände südlich der Speicherstadt ein attraktives Quartier zu machen. 155 Hektar bebaubare Fläche stehen zur Verfügung, 12 000 Personen sollen hier eine neue Wohnung finden, mit garantiertem Wasserblick aus mindestens einem Fenster. Seit 2003 wird kräftig gebaut, der Logistikkonzert Kühne und Nagel, Unilever, Greenpeace sowie WWF haben hier neue Firmensitze bezogen, Parks werden angelegt, eine Schule gebaut, die U-Bahn-Linie 4 auf die Landzunge verlängert. Von einem Investitionsvolumen von bis zu sieben Milliarden Euro ist die Rede.
Darum fühlte sich die Hansestadt verpflichtet, den Bauherren ein paar Schnuckedönschen zu servieren, damit sie in ihren Verkaufs- und Imageprospekten von der Mischung aus Wohnen, Arbeiten, innerstädtischem Grün und Kultur in der Hafencity schwärmen können. Da ist das vom holländischen Architektenstar Rem Koolhaas entworfene „Science Center mit Wissenschaftstheater“, da ist das Internationale Maritime Museum und als Schaumkrone des Mega-Projekts die Elbphilharmonie bei der Kehrwiederspitze. Ein weithin sichtbares Statussymbol.
Denn auch wenn in allen offiziellen Verlautbarungen immer wieder betont wird, wie wichtig den Stadtvätern eine Durchmischung der Hafencity ist, wird das neue Viertel werden wie die Docklands in London: ein gentrifiziertes Ghetto für Besserverdienende. Die 163- Quadratmeter-Bleibe ist hier für 990 000 Euro zu haben. Bei der Bundestagswahl hat die FDP hier eines ihrer Spitzenergebnisse eingefahren. Schöner Wohnen am Lido Westerwelle.
Wer die Straßen der Hafencity entlangschlendert, entdeckt einen Zipfel Deutschlands, in dem die Wirtschaftskrise offensichtlich nie angekommen ist: „100 Prozent verkauft“, prangt an einem Wohnblock, hinter den Glasfronten der bereits bezogenen Häuser sieht man hochwertige Interieurs, Richtung Kreuzfahrtterminal schießen weitere Neubauten in die Höhe. Das Projekt Stadterweiterung läuft blendend für Hamburg. Ob da abends in der Elbphilharmonie tatsächlich ein berühmter Maestro den Taktstock hebt, scheint zweitrangig – Hauptsache, die Optik stimmt.
Wie wäre es, wenn der neue Stadtmarketing-Leuchtturm einfach ohne den komplizierten Konzertsaal zu Ende gebaut wird? Die drei Hamburger Orchester, die nicht gerade zur Weltspitze zählen, haben ja schon das Jahrhundertwende- Schmuckkästchen der Laeiszhalle. Und wer die Berliner Philharmoniker hören will, fährt eben in die Hauptstadt – was angesichts des Preisgefälles zwischen den Metropolen unterm Strich nicht einmal teurer sein muss.
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