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Wayne Shorter zum 80. Geburtstag: Gesang der Freiheit

Von Art Blakey über Miles Davis zum eigenen Quartett: Mit seinem Saxofon hat Wayne Shorter ein halbes Jazz-Jahrhundert mitgeprägt. Und immer war sein Ton auf Anhieb zu erkennen.

Wie viele Musiker gibt es, die beanspruchen können, mit allen Wassern des modernen Jazz gewaschen zu sein und zugleich himmelweit über ihnen zu schweben? Die handwerkliche Fähigkeit, sich den verschiedensten Stilen anzupassen, korrespondiert allzu oft mit einer gewissen Persönlichkeitsschwäche. Wayne Shorter aber braucht insbesondere auf seinem Sopransaxofon nur einen einzigen Ton zu spielen, und die unverwechselbare Farbe, die er mit seiner oboenhafte Schärfe hinzufügt, taucht jede Umgebung sofort in ein neues Licht. Joni Mitchells Songs waren nicht mehr dieselben, als ihnen Shorter auf dem Doppelalbum „Don Juan’s Reckless Daughter“ (1977) ein paar süße Sirenentöne eintupfte, und da waren die Jazzelemente, die ihre Folkursprünge allmählich transzendierten, noch im Hintergrund.

Was erst, wenn sich Shorter, der damals schon ein halbes Leben im Olymp hinter sich hatte, in den Vordergrund bewegte und seine ganze Virtuosität ausspielte, in der sich äußerste Sparsamkeit mit Anfällen rauschhafter Verschwendungslust paart. Weather Report, die Fusionband, die er 1970 zusammen mit dem Pianisten Joe Zawinul gründete, stocherte anfangs noch gewaltig in den Feuern eines elektrischen Miles Davis, die sie selbst mitgeschürt hatten. Aber auch, als Weather Report glatter und tanzbarer wurden und eine federnde Eleganz sich vieler Stücke bemächtigte, behielt er seine Ecken und Kanten, das hart Zupackende und das sich kieksend Überschlagende – eine Souveränität, die ihm bis heute kaum jemand streitig macht.

Sein aktuelles, nun auch schon über zehn Jahre bestehendes akustisches Quartett, an dem mit Bassist John Patitucci, Pianist Danilo Perez und Schlagzeuger Brian Blade stilprägende Musiker deutlich jüngerer Generationen beteiligt sind, definiert nach wie vor mit, was zeitgenössischer Ensemblejazz sein kann. Shorters im Frühjahr erschienenes Live-Album „Without A Net“ (Blue Note) lebt davon, dass Komposition und Improvisation, Struktur und Prozess sich dabei die Waage halten.

Kein Stück – nicht einmal die um das klassische Bläserquintett Imani Winds erweiterte 23-minütige Suite „Pegasus“ – wird einfach aufgeführt. Jedes Mal geht es darum, einen festgelegten Kern neu zu entziffern und zu umspielen. Schroffheiten wechseln sich ab mit träumerischen Weiten, und auch die zerfasersten Momente werden von einem gemeinsamen Atem im Zaum gehalten. Wenngleich Shorter dabei auf eine über Jahrzehnte erprobte Sprache der Stakkato-Kaskaden, Wirbel und Schnörkel zurückgreift, bleibt diese Musik doch immer beweglich und überraschend. Aber wie anders sollte es bei jemandem sein, der fast ein ganzes Jahrhundert saxofonistischer Erinnerungen in sich trägt?

Wayne Shorter, am 25. August 1933 in Newark, New Jersey, geboren, hat von den letzten Ausläufern des Swing bis zum Free Jazz so ziemlich jedes Vokabular aufgesogen und seinem Stil anverwandelt. Mit 15 Jahren hörte er bei Lester Young noch, wie gesanglich ein Tenorsaxofon klingen kann. Mit 18 Jahren lauschte er Charlie Parkers Bebop-Girlanden im Birdland. Und mit Mitte 20, die 50er Jahre neigten sich ihrem Ende zu, begann er nach einem kurzen Engagement mit dem Pianisten Horace Silver mit Sonny Rollins und John Coltrane zu spielen, bevor er bei Art Blakeys Jazz Messengers einstieg.

Schon in diesem Hardbopkontext war Shorter eine Entdeckung. Der Ruhm aber kam erst, als er sich dem einflussreichsten aller Miles-Davis-Quintette anschloss, mit Herbie Hancock am Klavier, Ron Carter am Bass und Tony Williams am Schlagzeug. Dort führte er zusammen mit Miles den modalen Jazz in immer freiere Gefilde. Wie weit das gehen konnte, dokumentiert die im vergangenen Januar erschienene 3-CD-Box „Miles Davis Quintet – Live in Europa / The Bootleg Series Vol.2“ (Columbia) mit atemberaubenden Festivalaufnahmen aus dem Jahr 1969 und einem Auftritt bei den Berliner Jazztagen auf DVD.

Es sind dies Gipfel eines kraftvoll nervösen, hochenergetischen Abstraktionswillens, der doch immer kurz vor der totalen Formzerstörung halt macht. Mit der Unterstützung von Jack DeJohnette und Chick Corea (und natürlich einem überragenden Miles Davis) zeigt Shorter, was aus den wilden Tenorsaxofonkürzeln des zwei Jahre zuvor gestorbenen John Coltrane womöglich hätte werden können.

Shorters physische Präsenz ist mit 80 Jahren ungebrochen – in seinem Beruf eine Ausnahme. Sie lässt sich nur erklären durch eine vernünftige Lebensweise, den freundlichen Gleichmut des Nichiren-Buddhisten, die ihn auch Schicksalsschläge wie den frühen Tod seiner Tochter aus zweiter Ehe und später den Absturz ihrer Mutter beim TWA Flug 800 verwinden ließ. Oder schlicht durch das, was Shorters Musik durch alle Verwandlungen hindurch ausmacht: Demut.

Arte zeigt am heutigen Sonntag die Shorter-Dokumentation „The Language of the Unknown“ von Guido Lukoschek (23.20 Uhr). Im Herbst kommt Shorter mit seinem Quartett zu mehreren Konzerten nach Europa. Am 8. November spielt er in Essen, am 9. November in Köln.

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