„Saint Amour“ auf der Berlinale: Gérard Depardieu brilliert als Bauer und Weintrinker
Auf der Berlinale ist Gérard Depardieu in der Agrarkomödie „Saint Amour“ zu sehen. Ein groteskes, poetisches, sentimentales Roadmovie. Auf dem Festival lobt er Putin und hackt auf französischen Komödienmachern herum.
Sie wären gerne Kühe. Alle drei. Geht aber nicht, sind ja Männer, die werden nicht trächtig. Sie können nur Bullen sein, sind aber eher Ochsen – bis sie dann doch noch zu Bullen werden. Tja, Kraut- und Rüben-Metaphern wie diese kommen dabei raus, wenn eine Komödie auf der Pariser Landwirtschaftsausstellung beginnt.
Grüne Woche im Spielfilm, darauf kann auch nur das französische Regieduo Benoît Delépine und Gustave de Kervern kommen, das auf der Berlinale zuletzt 2010 für seine kuriose Komödie „Mammuth“ im Wettbewerb gefeiert wurde. Darin brillierte Gérard Depardieu als Schlachter in Rente, der auf Motorradtour in seine Vergangenheit geht. Nun ist er Altbauer Jean, der im Morgendämmer vor der Messehalle steht und seinen Preisbullen Nebukadnezar striegelt, mit dem er den Sieg zu erringen gedenkt. Sohn Bruno, gespielt von Benoît Poelvoorde, der zuletzt als Gott in der Satire „Das brandneue Testament“ zu sehen war, ist wegen was anderem hier. Zusammen mit einem Kumpel geht er auf „Weinreise“ durch die Halle und schluckt, was Loire und Languedoc hergeben. Am Ende folgt der Katzenjammer.
"Papa, ich bin nicht schön“, heult er in einem Moment lichter Selbsterkenntnis, als ihn die Frauen abblitzen lassen. Das will Vater Jean nicht so stehen lassen und schleppt den frustrierten Filius, der zudem auch der Landwirtschaft verlustig zu gehen droht, mit auf eine echte Verkostungsreise. Per Taxi, dessen Fahrer Mike (Vincent Lacoste als Pariser Milchbubi) das wunderliche Trio komplettiert.
"Das Leben ist eine Furche"
Und los geht das groteske, poetische, sentimentale Roadmovie, das zu allerlei Vollräuschen, sexuellen Bruchlandungen und männlichen Demaskierungen führt. Sehr überzeugend, mit welch reduzierten Mitteln und würdevollem Charisma Depardieu den um mehr Nähe zu seinem Sohn ringenden Jean spielt. Dem Nebenerwerbswinzer glaubt man sogar vom Drehbuch etwas angestrengt auf Ackerbau und Viehzucht gemünzte Lebensweisheiten wie „Das Leben ist eine Furche, die nicht immer gerade verläuft“. Benoît Poelvoorde, dessen Bruno erwägt, die Landwirtschaft zugunsten eines Postens als Verkäufer im Gartencenter aufzugeben, ist ihm ein überaus würdiger Sparringspartner – das notgeile, sich ungeliebt fühlende arme Würstchen, wie es im Buche steht.
Zärtlich hässlich gezeichnete Kerle
Erstaunlich, wie liebevoll die Regisseure ihr verlorenen Kindern gleichendes Männertrio zwischen Frauenfiguren etablieren, die die Lage durchweg souveräner im Griff haben. Wie zärtlich hässlich sie die Kerle zeichnen. Und mit welcher Souveränität sie absurde Twists in der Story behandeln. Die witzige Episode mit Schriftsteller Michel Houellebecq etwa, der einen spinnerten Pensionswirt mimt. Und vor allem die Begegnung mit Vénus (Céline Sallette). Sie ist die schöne Erlöserin, die alle drei Männer von ihren emotionalen Gebrechen befreit. Ihre lebensspendende Fruchtbarkeit vor Augen, möchten sie alle Kühe werden. Oder wenn das nicht geht, dann Väter. Denn weit mehr als vom familiären Konflikt erzählt „Saint Amour“ von der Liebe. Zwischen Vätern und Söhnen und Vätern und Bullen.
20.2., 10 Uhr (HdBF), sowie 12 Uhr und 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 21.2., 22.15 Uhr (Berlinale-Palast)
Auf der Pressekonferenz: Weder Wein noch Wodka
Also was denn nun, Wein oder Wodka? Gerade noch wurde über französische Naturprodukte, speziell die flüssigen, geschwärmt und Gérard Depardieu hatte sich sogar einen Satz entlocken lassen, wie geschaffen fürs Poesiealbum eines Winzers: „Man muss gewisse Weinrouten kennen, um das Leben zu kennen“. Doch nun hat plötzlich – die auslösende Frage lag ja nahe – das Thema gewechselt, und der Weinliebhaber dort vorne auf dem Podium bekennt sich noch zu ganz anderen Gefühlen. Seine Romanze mit Russland solle zu Ende sein? Kein Gedanke. Und von wegen Romanze. Depardieu nennt es gar „Liebe“, versichert, dass er sich „sehr russisch“ fühle und es stimme auch, dass er Putin und das russische Volk sehr bewundere. Und dagegen mögen sie in Frankreich wettern: „Ich weiß, was ich sehe und erlebe.“
Depardieu: Der wortgewaltigste Mann auf dem Podium
Natürlich gab es zur Pressekonferenz von „Saint Amour“ weder Wein noch Wodka, sondern wieder nur Mineralwasser, aber Depardieu, ohne Zweifel der raumgreifendste und wortgewaltigste Mann auf dem Podium, kam auch so gut in Fahrt. Hielt mit seiner Meinung über den Stand der französischen Filmkomödie nicht hinterm Berg. Sie ist nicht sehr hoch, die Filme erinnern ihn mehr an Fernsehkomödien, voller Effekthascherei, was für Kinder. Also das Gegenteil des von ihm hier vorgestellten Films, auch eine Komödie, aber eine, wie der große Gérard sie mag, voll echter Situationskomik und Wahrheit. Allerdings, er könne das nur anhand der Dreharbeiten beurteilen, selbst sehen wird er den Film erst bei der Gala im Berlinale-Palast.
"Ich lerne meine Rollen nie"
Das Drehbuch gelesen hat er übrigens auch nicht, sondern lieber improvisiert: „Ich lerne meine Rollen nie.“ Nun gut, das musste er zurücknehmen, für den Cyrano de Bergerac, gerade auch im Theater, musste er schon lernen, für den Tartuffe ebenfalls. Aber mittlerweile habe er so viele Filme gemacht, dass er keine Geschichten mehr erzählen, sondern einer Welt angehören wolle. Wozu braucht man da ein Drehbuch.
Und noch etwas hat er über sich verraten: „Ich kann nicht unfreundlich sein.“ Das sei in Bertoluccis „1900“ sein Problem gewesen, diesen unsympathischen Sozialisten darstellen zu müssen. Blöd, nervend könne er schon sein, aber unsympathisch. Nie!