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Selbstbildnis von Adolph Menzel, 1853.
© Stiftung Stadtmuseum

200. Geburtstag von Adolph Menzel: Genie durch Fleiß

Adolph Menzel wollte kein Hofmaler sein. Er blieb Bürger. Und zeigte alles: Reiche, Arme, Schöne, Schiefe.

Theodor Fontane gratulierte seinem Freund Adolph Menzel zum 70. Geburtstag 1885 mit einem Gedicht: „Ja wer ist Menzel? Menzel ist sehr vieles / Um nicht zu sagen alles.“ Es folgt eine endlose Aufzählung von Gegenständen, wahllos durcheinander, die Menzel gezeichnet und gemalt hat in seinem langen Leben. Menzel, vor 200 Jahren am 8. Dezember 1815 in Breslau geboren und seit 1830 in Berlin ansässig, ist der Zeuge des 19. Jahrhunderts schlechthin. Er hat die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848 miterlebt, die Restauration, die Krönung Wilhelms I. zum preußischen König 1861 und zehn Jahre später dessen Ausrufung zum Deutschen Kaiser, er hat Wilhelm überlebt und dessen tragischen Sohn und wurde im hohen Alter vom Enkel Wilhelm II. mit Ehren überhäuft.

Und doch war Menzel alles andere als ein Hofmaler. Er hat die späte Rangerhöhung, die ihn zur „kleinen Exzellenz“ verniedlichte und ihm den Schwarzen Adlerorden samt Adelsprädikat einbrachte, wohl genossen, doch im Bewusstsein, dass die Hofleute keine Ahnung von seinem Werk hatten; und er hat sich, mit einem Gemälde wie dem „Ballsouper“ von 1878, als unbestechlicher Beobachter erwiesen, dem keine menschliche Schwäche entging. In diesem Sinne war Menzel ein Bürger, mochte er sich auch nie über die bürgerliche Revolution äußern, deren bitteres Scheitern er erlebt und in der „Aufbahrung der Märzgefallenen“ 1848 zu einem der herausragenden Gemälde des Jahrhunderts geformt hatte. Das Bild blieb unvollendet und hat das Atelier erst an Menzels Lebensende verlassen.

Darüber ist oft genug geschrieben worden; Menzel ist seit weit über 100 Jahren einer der vertrautesten Künstler überhaupt. Was früheren Generationen die „Geschichte Friedrichs des Großen“ von Franz Kugler war, die der fleißige Menzel illustrierte, waren einer jüngeren Zeit die luftig-leichten Interieurs des „Balkonzimmers“ (1845) des Beinahe-Impressionisten und ist uns Heutigen der unerbittliche Realist. Menzel stellte alles und alle dar, weder hoch noch niedrig, schön oder hässlich ließ er als Auswahlkriterien gelten.

Kein Werk aus einem Guss

„Menzel ist sehr vieles.“ Man tut gut daran, Fontanes Aussage nicht auf die Gegenstände von Menzels unerschöpflicher Neugier zu beschränken. Sein Œuvre zerfällt in mehrere Teile, die zusammenzudenken nicht leichtfällt. Nach der Brotarbeit der Friedrich-Zeichnungen – und 436 Lithographien zu dessen „Armee in ihrer Uniformierung“ – kam die Zeit der Friedrich-Historienbilder, die wiederum in das aus hunderten Einzelstudien zusammengefügte Krönungsbild von 1861/65 münden. Zugleich verschafft sich Menzel Entlastung mit den wundervollen, nur vermeintlich spontan gemalten Interieurs, meist in braun-gelben Farbakkorden. Auch die berühmte Ansicht der „Berlin-Potsdamer Eisenbahn“ von 1847 zählt dazu: Sie kündigt das neue Dampfzeitalter an, von dem auch das beschauliche Preußen erfasst wird. Das Gemälde, eines der wichtigsten der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, ist trotz seines spontanen Aussehens wohl komponiert, worauf jüngst Werner Busch in seiner profunden Menzel-Monografie (C.H. Beck Verlag, 309 S., 58 €) aufmerksam machte.

Und dann – ein erneuter Bruch – lässt Menzel die Preußenseligkeit hinter sich und malt 1871 die „Abreise König Wilhelms zur Armee am 31. Juli 1870“, eine Szene vom Beginn des deutsch-französischen Kriegs. Darin spielt nicht der Kaiser die Hauptrolle, sondern eher ein Zeitungsjunge im Vordergrund, wenn das Interesse des Malers nicht gar den vom Wind gezausten Fahnen an der Hauswand Unter den Linden gegolten hat.

Adolph Menzel wird zum „Maler des modernen Lebens“, wie ihn der Dichter Charles Baudelaire forderte. Ganz aus seinem Œuvre heraus fällt das riesige „Eisenwalzwerk“ von 1875, ein Auftragsbild für den Bankier Adolph von Liebermann – ein Onkel des Malers –, wobei das Sujet vom Künstler vorgeschlagen wurde. Hier wie auch sonst macht sich Menzel Hunderte von Skizzen, um jedes Detail wahrheitsgetreu darstellen zu können. Ähnlich zeigt sein „Ballsouper“ Menzels Lust an feinen, kleinen Bosheiten. Auch seine Arbeitsweise wird hier wieder deutlich, das Hinaufsteigen auf einen erhöhten Aussichtspunkt, von dem aus er die Szene überblickt.

Ein Bürger durch und durch

Die vielfigurigen Alltagsszenen, wahre Wimmelbilder, sind allerdings in Paris angesiedelt oder auf der „Piazza d’Erbe in Verona“. Das war 1884 sein letztes Ölgemälde, danach hat Menzel bis zu seinem Tod 1905 nur noch gezeichnet, ohne dass dies auch nur die geringste Einbuße an künstlerischem Vermögen bedeutet hätte. Höchstens macht sich eine gewisse Altersmilde der Darstellung bemerkbar.

Menzel hat ein riesiges Werk hinterlassen; die Berliner Nationalgalerie hütet einen Nachlass von 6000 Zeichnungen. Menzel hob alles auf, und in dieser Wertschätzung noch der beiläufigsten Skizze spiegelt sich sein unvoreingenommenes Verhältnis zur Wirklichkeit. „Alles Zeichnen ist nützlich und Alles zeichnen auch!“, hat er in seinen späten Tagen auf eine Umfrage geantwortet, ein nur im Deutschen mit seiner Groß- und Kleinschreibung verständliches Wortspiel. Seine Gemälde sind weiter verstreut, verkaufte er doch in den letzten Jahren manches, das er zuvor im Atelier zurückbehalten hatte und keinem Besucher je zeigen wollte. Wie eben die „Märzgefallenen“, die nach 1849 alles andere als opportun waren.

War Menzel ein Revolutionär? Politisch sicher nicht; er war ein Bürger durch und durch. War er es künstlerisch? Die Frage, lange mit „Nein“ beantwortet, ist knifflig. Seine Modernität ist ein Novum in der deutschen Kunst seiner Zeit. Fontane schrieb auch zu Menzels 80. Geburtstag ein Gedicht, ein Distichon; er hat es dem Künstler aber nicht geben wollen: „Talente: Spielzeug für Kinder. / Erst der Ernst macht den Mann, / Erst der Fleiß das Genie!“ Das ist, so vieles er auch war, der ganze Menzel.

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