RSB spielt Brahms und Mahler: Genie des doppelten Bodens
Funkelnd: Das Rundfunk-Sinfonieorchester spielt Mahlers Erste und Brahms zweites Klavierkonzert. Der Pianist Nicholas Angelich gibt sein RSB-Debüt.
Eine falsche Fährte legt Nicholas Angelich, als er das Hornmotiv der ersten Takte von Brahms’ zweitem Klavierkonzert ganz sanft und weltentrückt auf dem Klavier imitiert. Denn so geht es nicht weiter, schnell schaltet der Pianist um zu einem sehr robusten Anschlag – und trifft im Konzerthaus auf ein empfangsbereites Rundfunk-Sinfonieorchester mit Chef Vladimir Jurowski am Pult, das die Partitur ähnlich vital angeht. So treffen sich Solist und Orchester immer wieder in der Mitte, befeuern sich gegenseitig, führen ein existenzielles Drama auf – und ein intimes Kammerspiel, etwa beim Dialog von Klavier und dem sehr kantablen Cello von Hans-Jakob Eschenburg im Andante.
Ursprünglich stand Brahms’ erstes Klavierkonzert auf dem Programm, das hätte ein hübsches Doppel ergeben mit der ersten Symphonie von Gustav Mahler. Die gerade zu Ende gegangene Japan-Tour des RSB erzwang eine Änderung. Macht nichts, so wird der Saal Zeuge einer in sich schlüssigen, entschlossen zupackenden Interpretation mit Hang zum Welterklärungsgestus, die den ewig an sich zweifelnden Brahms einmal beiseitewischt. Zur Zugabe, dem ersten Stück aus Schumanns „Kinderszenen“, demonstriert Angelich seine Vielseitigkeit, setzt ein völlig anderes Gesicht auf: inwendig-versunken, jeden Ton bis auf den Grund ausklingen lassend, ihm quasi nachblickend.
Mahlers Erste, erst am Mittwoch von den Berliner Philharmonikern gespielt, ist wohl auch deshalb ein so faszinierendes Stück, weil so vieles, was die späteren Werke prägt, hier schon angelegt ist. Jurowskis Interpretation ist zielgerichteter, klarer in der Aussage und deshalb überzeugender als die von Daniel Harding mit den Philharmonikern. Wie groß er den Spannungsbogen im ersten Satz aufzieht, wie lange sich da amorphe Naturlaute zusammenbrauen, bis etwas entsteht, bis zum typisch Mahler’schen „falschen“ Durchbruch! Fraglich allerdings, ob Jurowskis Wiedereinfügung des langsamen „Blumine“-Satzes sinnvoll ist. Die unmittelbar aufeinanderprallende Bewegungsenergie der beiden erste Sätze wird dadurch unterbrochen, ohne dass wirklich Neues entsteht. Insgesamt aber ist diese Symphonie mit raubtierhafter Präzision und großem Gespür für Dramatik gespielt, prägnant und funkelnd, bis ins kleinste Intervall von Spannungsfäden durchzogen – wie in der spukhaft ins Moll gewendeten „Bruder Jakob“-Melodie des Trauermarsches. Dann der triumphale Schlusssatz, voller Doppelbödigkeit: Jurowski und das RSB arbeiten alles heraus, das bemüht Atemlose, das „Komm schon“, der eingeredete Optimismus. Grandios.