"Rolling Stone": General McChrystal rockt ab
Längst reicht das 1967 von Jann Wenner gegründete Magazin mit seinen Reportagen über die Musik hinaus. Der "Rolling Stone" als politische Waffe.
Als der Reporter des „Rolling Stone“ aus dem Armeehelikopter springt, der ihn zu einem amerikanischen Vorposten im vietnamesischen Dschungel gebracht hat, ist gerade nichts los. Die Soldaten haben sich in ihre Unterstände verzogen, andere schimpfen in der Sonne, die Hitze nervt, die Insekten nerven und der Feind nervt auch. Nichts Neues im Tristen. So gibt es für Michael Herr und einen Fotografen eigentlich keinen besonderen Grund, ausgerechnet hierher gekommen zu sein. Der Helikopter gab ihnen einen „Lift“, wie es damals hieß, zu einer Militärbase, die er sowieso anfliegen musste. Besser, als in Saigon rumzuhängen, war ein Ausflug an die Front allemal.
Später wird Herr den Vietnamkrieg „Rock -’n’- Roll-Krieg“ nennen. Und das hat nicht nur mit der Musik von Jimi Hendrix und Jefferson Airplane zu tun, die aus kleinen Transistorradios plärrt und den Einsatz in Vietnam für viele GIs zum psychedelischen Trip macht. Als der kommandierende Offizier, ein Oberst, von der Ankunft der Journalisten erfährt, geht es los. Er will zeigen, was er drauf hat. Seine verschwitzte Uniform strafft sich über der Brust, während die Männer der eben noch träge dösenden Einheit losballern, dass die Bäume nur so splittern – Journalisten und Militärs, das ist eine explosive Mischung.
Mit seinem Buch „Dispatches“ hat Michael Herr Geschichte geschrieben. Es platzte 1977 ins Schweigen einer traumatisierten amerikanischen Veteranengeneration hinein und zeigte, wie viel Verrücktheit in dem Krieg gesteckt hatte. Ein Jahr lang war Herr für ein Magazin in Fernost unterwegs gewesen, das normalerweise Rockbands wie Led Zeppelin auf Tour begleitete.
Oh, vom „Rolling Stone“ sei er, hörte er oft, cool. Was auch hieß, dass man so einen nicht ernst nahm. Led Zeppelin und so. Aber Herr hörte genau hin, er sog die mit Kraft- und Fäkalausdrücken durchsetzte Soldatensprache auf, als seien es Songzeilen. Nun hat wieder einer genau hingehört, was ein Soldat, ein hochrangiger zumal, zu sagen hatte. Und es ist der Sound, der Stanley McChrystal, Karriereoffizier, Nato-Oberbefehlshaber in Afghanistan, sein Amt gekostet hat. „Wie bin ich nur so verarscht worden, dass ich zu diesem Dinner gehen muss“, sagt er und fügt hinzu, dass er sich lieber in den Hintern treten lasse, als dort hinzugehen. Sein Gastgeber? „Ein französischer Minister“, erklärt ein Mitarbeiter, „it’s fucking gay.“
Für den „Rolling Stone“ sind solche Sätze das, was einen Rocksong gut macht. Die Welt ist kein Sonntagsspaziergang, der von Klängen Debussys untermalt wird. Es soll zur Sache gehen, nichts ist so korrekt wie falsche Grammatik und Fluchen. Längst reicht das 1967 von Jann Wenner gegründete Magazin mit seinen Reportagen von der Jagd auf Drogenbaron Pablo Escobar oder von der mexikanischen Grenze über die Musik hinaus. Es ist ein Gesellschaftsjournal geworden, das sich gelegentlich mit Vehemenz ins Politische stürzt.
So flackert in der aktuellen Skandal-Story von Michael Hastings der kritische Geist des New Journalism von Hunter S. Thompson, Tom Wolfe, Guy Talese auf. Hierzulande versucht der Axel-Springer-Verlag mit der deutschen Ausgabe des „Rolling Stone“ ebenfalls politischer zu werden. Aber ein General ist darüber noch nicht gestolpert.
Kai Müller
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