Berliner Museen: Geliehen? Geschenkt!
Dürfen private Sammler Druck auf öffentliche Häuser ausüben? Berlins Museumsstreit und die Kollektion Pietzsch: über das schwierige Verhältnis zwischen Sammlern und staatlichen Häusern.
Sie haben dieselben Interessen und verstehen sich doch nicht unbedingt. Auf der einen Seite ein leidenschaftlicher Sammler wie Heiner Pietzsch, der seine Gemälde schon mal als Kinder bezeichnet und ein höchst emotionales Verhältnis zu ihnen hat. Auf der anderen Seite die Museumskuratoren, die als Wissenschaftler von persönlichen Vorlieben abstrahieren müssen. Der eine möchte so viel wie möglich von dem zeigen, was ihn Zeit und Geld gekostet hat. Die anderen sollen eine Auswahl der für die Kunstgeschichte relevanten Werke treffen. Auseinandersetzungen sind also programmiert, wenn private Sammlungen in institutionelle Bestände integriert werden.
Dass im Fall der Schenkung der Surrealisten-Sammlung von Heiner und Ulla Pietzsch plötzlich Tausende auf Initiative des Verbands Deutscher Kunsthistoriker gegen die zusätzlichen Exponate für die Neue Nationalgalerie protestieren, hat zunächst andere Gründe. Vor allem wird befürchtet, dass die Stärkung der Moderne den Auszug der Alten Meister aus der Gemäldegalerie zur Folge hat. Die Kritik resultiert aber auch aus den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit, in der solche Allianzen häufig schief gingen.
Klar ist, man braucht einander. „Schon die Gründungsväter der königlichen und später Staatlichen Museen haben Sammlungen gesammelt“, sagt Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Berliner Museen. „Die Gemäldegalerie ist mit Sammlungen groß geworden, die Nationalgalerie ist mit Sammlungen gegründet worden. Berlin hat ein großartiges Erbe: Ohne Wagener, Marx, Flick, Marzona und alle anderen wäre die Nationalgalerie nicht das, was sie heute ist. Die Sammlungen sind Diamanten in unserer Krone.“
So ein Edelstein kann auch verloren gehen. Jüngster Fall in Berlin ist die Keir Collection. 2009 gingen über 1500 Objekte der hochkarätigen Privatsammlung als „langfristige Leihgabe“ an das Museum für Islamische Kunst. Vor wenigen Wochen nun wurde der Vertrag aufgelöst, über die Gründe herrscht Schweigen. Eine Klausel im Auflösungsvertrag verpflichtet das Museum und die Erben des 2011 verstorbenen Edmund de Unger dazu. Allerdings sammelte der in Großbritannien lebende Kunstliebhaber während der letzten Jahrzehnte konkret mit Blick auf die Lücken in Berlin. An einen Verkauf hat de Unger also nie gedacht. Wohl aber lässt sich spekulieren, dass der steigende Wert der Exponate bei der nachfolgenden Generation Begehrlichkeiten geweckt hat. Durch ihren Berliner „Museumsaufenthalt“ sind die Objekte nun auch ohne große Investitionen der Eigentümer wissenschaftlich bearbeitet, wurden konservatorisch adäquat aufbewahrt und im Idealfall sogar restauriert. Und sie sind nun Teil des kunstgeschichtlichen Kanons.
Die Nobilitierung spielte schon immer eine Rolle. Im Gegenzug konnten sich die Museen darauf verlassen, dass eine Dauerleihgabe als langfristige Überlassung verstanden wird, an deren Ende oft eine Schenkung steht. Dass mancher Sammler aber auch mit finanziell gelenkten Absichten in die Verhandlungen geht, wurde etwa 2002 klar, als der Bauunternehmer Hans Grothe das Bonner Kunstmuseum öffentlich vorführte: Erst zog er entgegen allen Versprechungen seine Sammlung mit Fotografien namhafter Künstler wie Andreas Gursky oder Thomas Demand zurück und ließ sie versteigern. Drei Jahre später verkaufte er auch den größten Teil der Gemälde und Skulpturen an die Sammlung Ströher. Dass diese anschließend sämtliche Exponate aus Bonn abzog und dennoch bis heute Ansprüche an das Museum stellt, sagt einiges über den juristischen Spielraum der Verträge aus. Und über das Vertrauen, das man solchen Vereinbarungen bis dahin entgegenbrachte.
Dabei geschah 2005 etwas Ähnliches: Als Udo Kittelmann, heute Direktor der Berliner Nationalgalerie, das Frankfurter Museum für Moderne Kunst übernahm, zog der Immobilienunternehmer Dieter Bock über Nacht hunderte wichtige Exponate aus dem Haus ab. Der mit Kittelmanns Vorgänger abgeschlossene Vertrag gab ihm dafür freie Hand.
Wie tief solche Enttäuschungen sitzen, dokumentiert der jüngste Streit in Bonn. Dort stolperte der Intendant der Bundeskunsthalle, Robert Fleck, über die aktuelle Anselm-Kiefer-Ausstellung, die er überwiegend aus dem Portfolio eines einzigen Sammlers bestückte: ausgerechnet dem von Grothe. Fleck wird das Haus vorzeitig zum 1. Oktober verlassen. Er habe gedacht, „es sei Gras über die Sache gewachsen“, gibt Grothe nun erstaunt zu Protokoll. Natürlich war das Verhältnis zwischen Großsammler und Institution immer schon fragil und von Einflussnahme gekennzeichnet. Peter Ludwig, der die Bestände gleich mehrerer Museen in Köln, Aachen oder Koblenz dominierte, ist ein Paradebeispiel. Aber Grothe machte wie kein anderer zuvor ein Museum zum Spielball seiner kommerziellen Interessen.
Seither ist man vorsichtiger geworden. Gerade, wenn die Position des Sammlers so stark ist, dass sie die Institution in die Rolle des dankbaren Empfängers drängt. In Berlin war dies zuletzt 2004 zu beobachten, als Friedrich Christian Flick nicht bloß seine exquisite Sammlung als Leihgabe anbot, sondern gleich auch den Umbau der Rieckhallen finanzierte. Während sich die Staatlichen Museen glücklich über die hinzugewonnenen Kunstwerke zeigten, entbrannte in der Öffentlichkeit ein moralischer Streit. Die Geschichte der Industriellenfamilie wurde diskutiert, vor allem Flicks Weigerung, in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter einzuzahlen. Der Multimillionär musste sich von Salomon Korn vom Zentralrat der Juden sagen lassen, seine Kunst wasche sein Vermögen weiß, das sein Großvater als „Blutgeld“ in nationalsozialistischer Zeit zusammengetragen habe.
Es war die lauteste und schärfste Debatte in einer Stadt, die den Sammlern zugleich unglaublich viel Kunst zu verdanken hat, wie Michael Eissenhauer als Berlins oberster Museumschef zu Recht anmerkt. In diese Reihe gehören neben der Flick Collection die Sammlungen Marx und Marzona im Hamburger Bahnhof mit Beuys, Warhol und Rauschenberg, die Surrealisten von Scharf-Gerstenberg im östlichen Stülerbau und nun auch Pietzsch. Wegen deren Kollektion fragen die deutschen Kunsthistoriker nun in ihrer Petition, ob die „Schenkungsbedingungen einer Privatsammlung Druck auf intakte Museen“ ausüben dürfen. Dabei stehen gerade die Kunsthistoriker in der Pflicht, den Wert solcher Sammlungen festzustellen, und so die Basis für Diskussionen zu schaffen.
Denn die wenigsten Privatsammler gehen enzyklopädisch vor. Der individuelle Geschmack spielt eine Rolle, ebenso das Angebot. Wer europäische Moderne sammelt, hat es heute doppelt schwer: Die meisten Meisterwerke befinden sich längst in Museen, außerdem bieten Oligarchen von Russland bis Indien mit, seit Kunst global als sichere Wertanlage gilt. Sammler wie Christian Boros oder Thomas Olbricht haben sich auch deshalb auf die jüngste Gegenwartskunst verlegt und stellen sie in eigenen Häusern aus.
Das Ehepaar Pietzsch wiederum hat sich einvernehmlich darauf eingelassen, dass seine Sammlung der Surrealisten und der Abstrakten Moderne nicht in einem eigenen Haus präsentiert wird. Im Leih- und Nutzungsvertrag von 2010 ist die ständige Präsenz eines „signifikanten“ Teils der Sammlung in den Ausstellungsräumen der Neuen Nationalgalerie festgeschrieben. Das klingt nach einem guten Kompromiss – der allerdings Potenzial für künftige Auseinandersetzungen birgt. Was und wie viel genau heißt „signifikant“? Und wer legt fest, was für die Kunst des 20. Jahrhunderts eine substanzielle Ergänzung darstellt? Auch die Sammler dürften dazu eine Meinung haben.
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