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Die „Brückenköpfe“ (1991) des Künstlers Franz West stehen vor dem Heimatmuseum St. Georgen.
© Grässlin / Wolfgang Günzel

Sommerserie Kunst & Markt I: Geister im Garten

Mit ihrer privaten Kunstsammlung belebt die Familie Grässlin einen ganzen Ort im Schwarzwald. Auch die St. Georgener machen mit und stellen leere Ladengeschäfte als Ausstellungsorte zur Verfügung.

Alle schauen nach Berlin – wir meistens auch. Dabei finden sich abseits der Metropole viele sehenswerte Ausstellungen und Kunstprojekte. Manche davon stehen als Solitäre für sich, andere krempeln das Bild einer ganzen Stadt um. In unserer Sommerserie stellen wir lohnenswerte Ziele in Deutschland vor.

E s ist klar, dass gleich etwas passieren wird. In St. Georgen, wo einen die Kunst auf Schritt und Tritt verfolgt, entkommt man ihr einfach nicht. Irgendwo lauert sie einem auf. Vielleicht auf dem Spielplatz. Oder auf dem Platz vor dem Kunstraum Grässlin, wo ein in Thailand gefertigtes Auto steht, das entfernt an einen Porsche erinnert. Wo immer man in dieser Stadt auf Irritierendes stößt, stammt es wahrscheinlich von Albert Oehlen, Reinhard Mucha, Isa Genzken ,Tobias Rehberger, Heimo Zobernig oder anderen internationalen Größen. Und immer wieder überlagern sich Reales und Artifizielles so frappierend, dass ihre Grenzen für Momente komplett verwischen.

Ein Anlass dafür ist ein Schaufenster auf dem Weg vom Bahnhof zum flachen Kubus der Sammlung Grässlin. Zweistöckige Häuser, manche historisch, andere unendlich pragmatisch, säumen die Straße, ihre Geschäfte im Erdgeschoss haben oft aufgegeben. Auch jener Uhrenladen an der Ecke, in dem nicht einmal mehr die alten Wecker und gelblichen Fliegenfänger abgeräumt wurden. Denkt man zumindest, bis sich die wenig dekorative Auslage als Installation entpuppt. „Geliebte Heimat, 1985, Werner Büttner“, steht diskret auf einem kleinen Schild an der Fassade.

Die Frösche sind ein Hinweis auf den für Grässlins wohl wichtigsten Künstler

Ein produktiver Irrtum. Plötzlich beginnt auch die Nachbarschaft von Büttners eigenwilliger Sympathiebekundung zu changieren. Vielleicht ist „Mirelle’s Beauty Oase“, die in roten Buchstaben Nagelpflege und Waxing verspricht, ebenfalls das Werk hintergründig künstlerischen Humors? Und wie verhält es sich mit den unzählbaren Fröschen in einem anderen Laden? Sind das die neuen Souvenirs einer Region, die mit Kuckucksuhren berühmt geworden ist?

Blick in den Ausstellungsraum der Villa Grässlin mit Arbeiten von Heimo Zobernig.
Blick in den Ausstellungsraum der Villa Grässlin mit Arbeiten von Heimo Zobernig.
© Grässlin / Wolfgang Güntzel

Die grünen Tiere lassen sich als Zeichen lesen. Man begegnet ihnen noch ein paar Mal, und spätestens in Sabine Grässlins Wohnung, die während der Sommerausstellung in St. Georgen wie der Kubus und die Ausstellungshalle der Grässlins nach Anmeldung zu besichtigen ist, wird offenbar, wer diesen idyllischen Herrgottswinkel im Schwarzwald seinen Stempel aufgedrückt hat: Martin Kippenberger, dessen gekreuzigte Frösche noch nach seinem Tod 1997 vor allem katholische Gemüter in Wallung bringen.

Kippenberger war ein enger Freund der vielköpfigen Familie Grässlin. Ab 1981, vor allem aber in den frühen neunziger Jahren hat er sich immer wieder nach St. Georgen zurückgezogen, um hier in Ruhe zu arbeiten. Dafür sorgten Grässlins mit einem Atelier und ihrer persönlichen Unterstützung. So erklärt sich zum einen, weshalb viele wichtige Arbeiten früh in der Sammlung vertreten waren. Vor allem aber macht es nachvollziehbar, weshalb ein ganzer Ort, der auf den Ruinen eines mittelalterlichen Klosters gründet, vom Spirit der deutschen Avantgarde geküsst ist.

Kunst haben schon die Eltern Dieter und Anna Grässlin erworben. Das Paar konzentrierte sich auf deutsches Informel und kaufte zentrale Werke etwa von Jean Fautrier, Karl Otto Götz, Emil Schumacher oder Wols. Als der Fabrikant 1975 unerwartet starb, waren die Kinder auch mit diesem Erbe konfrontiert: der Frage, wie es mit der Kollektion weitergeht. Ein großer Stein von Ulrich Rückriem im Garten der Familienvilla erzählt von jener Phase, in der sich Sabine, Karola, Bärbel und Thomas auf die Suche nach ihren Künstlerpositionen machten, um selbst Akzente zu setzen. Daneben liegen drei in Leuchtfarben lackierte „Sitzwuste“ (2000) von Franz West, die den Bruch von damals mit dem Etablierten markieren: Die vier Kinder hatten ihr Thema gefunden.

"Klotz am Bein" - Der Titel der aktuellen schau ist durchaus doppeldeutig gemeint

Von da ab wurden sperrige, konzeptuelle und vielfach ironische Werke von Werner Büttner, Günther Förg, Isa Genzken, Georg Herold, Hubert Kiecol oder Meuser gesammelt und seit 1995 im Rahmen der Projekts „Räumen für Kunst“ temporär über externe Orte in St. Georgen verstreut. Dass die Ausstellung in diesem Sommer „Klotz am Bein“ heißt, ist durchaus doppeldeutig gemeint: Eine Sammlung in dieser Größenordnung mag ungeheuer wertvoll sein. Sie kostet aber auch Zeit und Geld.

„Setzen Sie sich doch!“, meint Karola Kraus, geborene Grässlin, und zeigt während einer Führung auf die bunten Aluminiumwürste im Gras. Auch das charakterisiert den Umgang der Familie mit ihrem Kunstbesitz: Er gehört zum Alltag, fließt ein und dringt über städtische Grünflächen bis in den St. Georgener Plenarsaal. Wo immer man sich in der Stadt bewegt – die wie so viele prosperierende Gemeinden der Siebziger eine öde Verwaltungsmitte aus Beton besitzt –, finden sich Spuren der Kunst. Es ehrt die Familie, dass sie die Sammlung nicht für sich allein beansprucht. Zumal die Kinder lange weggezogen sind und Karola Kraus als Museumsdirektorin ebenso gut wie ihre Schwester, die Galeristin Bärbel Grässlin, weiß, dass Kunst im öffentlichen Raum jeden Versicherer zittern lässt.

Beruhigen wird er sich angesichts der wunderbaren Ausstellungshäuser vor Ort, in der weitere Arbeiten aus der Sammlung unterkommen. Da ist die Villa, in der Anna Grässlin lebt. Seit 2006 gibt es überdies den Kunstraum, der aktuell eine Einzelausstellung von Tobias Rehberger beherbergt – samt Porsche 911 als Exempel für delegierte künstlerische Prozesse. Rehberger selbst hat die Familie Grässlin als mit Blumen gefüllte Glasvasen porträtiert, die Charakteristika der einzelnen Mitglieder symbolisieren.

Ein paar Meter weiter steht ein würfelartiges Haus, das sichtbar macht, wie eine Architektur aus Beton mit wenigen sensiblen Eingriffen selbst zum Kunstwerk werden kann. Ebenerdig verweist Andreas Slominski mit einer hölzernen Miniatur des Moulin Rouge darauf, dass hier gerade nicht Paris ist. Gegenüber im Heimatmuseum hängen Arbeiten von Christopher Williams, Joseph Beuys, John Chamberlain und Sigmar Polke zusammen mit Schwarzwälder Handwerkskunst. Was für ein schräges, schönes Familientreffen.

St. Georgen, bis Frühjahr 2015; www.samlung-graesslin.eu

Christiane Meixner

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