Kultur: Gegen die Wände
Cool bleiben: Sylke Enders’ imponierend stimmiger Erstlingsfilm „Kroko“
Kroko hat den Todesblick raus. Augenlider auf Halbmast, das ist die Lauerposition. Dann Aufblende: Flammenwerfer, zack, und gleich wieder weg. Besser, wenn sie dich gar nicht erst anguckt. Muss man schon so blöd wie Krokos Mutti sein, um zu sagen: „Kuck mich an, wennde mit mir redest.“ Kannse haben, die Mutti. Halbmast und Aufblende: „Und, wat seh ick da?“
Eiskalt ist diese Kroko, Nachwuchsprollkönigin im Wedding. Chefin im Ring ihrer Freundinnen, naja, Freundinnen, mit denen sie klauend durch die Supermärkte zieht. Chefin zuhause, wo Mutti noch die kleine Halbschwester Cora großzieht, naja, großzieht. Und mindestens Zweitchefin in der Dummedickestarkejungstruppe, in der ihr Freund Eddie das Sagen hat. Kroko ist 16, langes dünnes blondes tödliches Gift. Kroko trägt Anoraks wie Panzer und dadrunter den solariumsbraunen Körper wie einen Kampfanzug. Und dadrunter die Seele. Musste aber ne lange Strecke gehen, um Krokos Seele zu sehen, naja, Seele.
Und dann, eines Tages, eines Nachts hat sie einen Radfahrer angefahren, zack liegt der auf der Motorhaube, und das Auto ist erstens nicht ihrs, und Führerschein hat sie auch keinen. Das Urteil: 60 Tage gemeinnützige Arbeit in einer Behinderten-WG. Wenn sie ein Bedauern gezeigt hätte, sagt die Richterin, wären es bestimmt ein paar Tage weniger gewesen. Aber da kennt ihr Kroko schlecht. Auch für dieses Urteil hat sie ihren Todesblick, nix als ihren Todesblick in ihrem jungen, toten Leben.
An dieser Stelle spätestens, nach nicht mal zehn Minuten, hätte dieser Film zum ersten Mal abbiegen können in einen schlechteren. Wie er überhaupt mehrere Stellen hat, wo er abbiegen kann in Filme, wie wir sie schon häufiger gesehen haben, irgendwann auch mit dem Todesblick, oder? Hätte abbiegen können in die rührselige Läuterungsgeschichte vom gefallenen Mädchen, das durch den Umgang mit den „Spastis“, den „Behindis“ vom falschen Wege abkommt. Und stürzt sich souverän genau in diese Gefahr. Stellt sich mitten rein zwischen die Spastis, die so anders ticken. Oder ticken sie gar nicht so anders, so direkt wie sie sind, fast so brutal direkt wie Kroko selber?
Kroko verändert sich, vielleicht, durch ihre Zwangs-Arbeit. Aber sie läuft auch gegen andere Wände. Da ist Freund Eddie, der sie ins Gesicht schlägt, dem sie die Tür zuschlägt und der weg ist, als sie wiederkommt. Da ist Krokos Mutti, die gerade mal wieder ein neues Leben anfängt, und bei sowas fliegen welche wie Kroko schnell mal raus, mitsamt, ach guck mal an, ihrem Plüschtier-Krokodil. Und 60 Stunden in der Behinderten-WG können sehr lang sein, besonders für die Sozialarbeiter, wenn man so viel Scheiße baut wie Kroko. Allerspätestens hier könnte der Film wieder mal abbiegen, hier lang in das große Elend oder da lang in den kleinen Trost. Oder geradeaus weitergehen bis zum Ende, naja, Ende.
Sylke Enders’ erster Spielfilm ist erstens schnell. Nicht huschhusch clipschnell, nein, nur schnell. Kannst auch zweitens mal lachen über Kroko und ihre und andere Leute, da hat Sylke Enders nichts gegen. Kannst dich drittens reinschummeln ohne Mühe in das verwaschene Leinwandbraun, Leinwandweiß und Rosa unter einem Himmel ohne Sonne. Denn viertens ist „Kroko“ genau. Fünftens schön, aber das wusstest du schon.
Übrigens, alles Laien. Franziska Jünger, die die Kroko so spielt, dass man Kroko wahrscheinlich nie wieder vergisst, ist im richtigen Leben Arzthelferin. Oder im falschen Leben? Nur die Behindis, irgendwann klingt das Wort fast zärtlich, spielen im richtigen Leben auch Theater in Berlin, beim Theater Thikwa. Alles Glücksgriffe, die die Brandenburger DFFB-Absolventin Sylke Enders da mit „Kroko“ getan hat. Ach was, Glücksgriffe, sowas erläuft man sich, indem man todsicher vorbeiläuft an anderem, sowas erlebt man sich. Und wenn alles perfekt zu sein scheint, so perfekt, dass man es selber fast glaubt, dann gibt man es mutig weg an Leute, die es besser wissen. Solln sie doch mal draufgucken mit ihrem Todesblick.
Delphi, International, Yorck & New Yorck
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