Udo Jürgens: Gegen den Wind
Schlager, Balladen, Evergreens: Der 77-jährige Udo Jürgens gibt in der Berliner O2-World ein fulminantes Konzert. Und am Ende wie immer im Bademantel mit Tee.
Aufregend, Udo Jürgens. Der Herr der tausend Lieder. Der Mann, der Verstand in den deutschen Schlager gebracht hat, die Pianopowerballade, den Bademantel, den Lindenblütentee und das rote Einstecktuch. Udo, der Große, der schon immer da war, der in mehr als 40 Karrierejahren 100 Millionen Tonträger verkauft hat, dessen selbst aufgeschriebene Familiengeschichte „Der Mann mit dem Fagott“ ein Fernsehfilm wurde, der sein eigenes Musical hat und am Montagabend in der O2-World die Derniere einer ausgiebigen und ausverkauften Tour feiert. Aufregend. Das finden auch die anderen rund 12 000 keineswegs durchweg berenteten Zuhörer und klatschen schon mal vorm geschlossenem Vorhang mit.
Der Einstieg in die nichts dem Zufall überlassende Zweieinhalbstundenshow kommt dann aus dem Off. Mit Jürgens’ alter Lampenfieber-Ballade „Nur drei Minuten“, zu deren Vers „denn draußen wartest du“ sich der Vorhang hebt. Das brünette Haar sitzt, der schwarze Dreiteiler schimmert seidig, und doch sieht Jürgens etwas abgekämpft aus. „Schenk’ mir deinen Traum“, die swingende, elegant orchestrierte Bigband-Jazz-Nummer vom aktuellen Album „Der ganz normale Wahnsinn“ will nicht abheben. Der Sound stimmt nicht, das Orchester ist zu leise, Udo Jürgens veratmet sich. Doch bei seiner charmanten Entschuldigung dafür, erst am Ende der Tour statt wie Anfang Februar geplant zur Premiere hier zu sein, hat er den Laden dann im Griff.
Er habe eine Granatenerkältung gehabt, sagt er und ernsthaft befürchtet, dass beim Ersatztermin Tausende fehlen. „Danke, dass Sie trotzdem gekommen sind. Denn Sie brauchen mich nicht, aber ich brauche Sie sehr!“ Jubel, erste Blumengebinde werden angereicht, der 77-jährige Entertainer ist bei sich angekommen. Und mutet den nach seinen Evergreens dürstenden Leuten ungerührt ein neues Lied nach dem anderen zu: die Liebesballade „Dafür brauch’ ich dich“, die Durchhaltehymne „Gegen den Wind“ oder den kabarettistischen Reggae „Du bist durchschaut“, in dem sich der Altmeister ein bisschen kritisch mit Google, Facebook und diesem ganzen anderen neumodischen Zeugs auseinandersetzt.
Musikalisch läuft die Sache längst rund. Udo Jürgens artikuliert mit seiner Singstimme viel pointierter und kräftiger als bei seinen Moderationen. Und das Pepe-Lienhard-Orchester, mit dem er seit 37 Jahren auf Tour geht, ist ein blitzsauberes Showorchester. Selbst seifig ausfallende Schlagerarrangements spielt die Truppe souverän und bei tollen jazzigen Nummern wie „Wenn ein Lied so wär’ wie du“ läuft sie samt den immer wieder nach vorne gebetenen Solisten an Tenorsaxofon oder Flügelhorn zu Hochform auf.
Inhaltlich bleibt Udo, der große Lebenserotomane und Bedeutsamkeitshuber des Augenblicks, seinem Themenkanon treu: Liebe auf Teufel komm’ raus, segel’ gegen den Wind, sprich’ nicht in Anglizismen, verlier’ mal, das bildet den Charakter – sind seine wohlfeilen, entspannt vorgetragenen und Beifall findenden Ratschläge.
Nach dem kontemplativen aber etwas witzlosen Showstopper vor der Pause, bei dem die Band Filmmusik zu stummen Szenenschnipseln aus „Der Mann mit dem Fagott“ spielt, macht Udo Jürgens hintenraus richtig Druck. Und endlich kommen auch die vom nach vorne geströmten Publikum ersehnten Medleys. Von „17 Jahr, blondes Haar“ über „Aber bitte mit Sahne“, „Griechischer Wein“ bis zum „Ehrenwerten Haus“ sind das Supernummern, allesamt gemacht für die Ewigkeit und natürlich zum Mitsingen.
Aufregend, wie sich die ganze Kraft des Schlager aus tausenden Kehlen entfaltet. Doch Udo Jürgens wäre nicht, was er ist, wenn er es beim Volksfest beließe. Die Melancholie einer sensiblen Künstlerseele färbte den Beginn des Abends und färbt seinen Schluss. Eine chansoneske Ballade im Bademantel muss noch sein. „Am Ufer aus gelebter Zeit / Da hüllt mich deine Wärme ein. / Ganz wortlos, voller Zärtlichkeit / Wie hingehauchter Sonnenschein.“ Gunda Bartels
Am 10. November gibt Udo Jürgens ein Zusatzkonzert in der O2-World.
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