Blog zum Musikfest (5): Gegen den Strich: Teodor Currentzis
Orchester lieben oder hassen ihn, aber er erzielt erstaunliche Ergebnisse: Teodor Currentzis. Und zum Musikfest Berlin kommt der eigenwillige Dirigent passend mit Werken, die auch für ihn besonders sind.
Die einen sagen, er ist ein Genie, die anderen halten ihn für verrückt. Teodor Currentzis gehört nicht zu den Dirigenten, die Schritt für Schritt, Orchester für Orchester, einen geordneten Karriereweg gehen. Schon sein Lebensweg mutet abenteuerlich an. Den jungen Griechen verschlug es nach St. Petersburg zum Studium und dann nach Novosibirsk und Perm, wo er jeweils die örtlichen Opernhäuser leitete und parallel ein eigenes Orchester unter dem Namen Musica Aeterna aufgebaut hat. Er schwärmt davon, dass „seine“ Musiker dort genauso besessen sind wie er, am liebsten nachts um 01.00 Uhr noch proben, bis man total erschöpft der Musik wirklich auf den Grund gegangen ist. Immerhin nimmt er dort im tiefen Sibirien für Sony nun alle großen Mozart-Opern auf CD neu auf.
Er ist eine Figur wie aus einem Fellini-Film, mit eigenwilligen Dirigierbewegungen, die durch seine schlaksig-jungenhafte Erscheinung noch skurriler wirken. Orchester lieben oder hassen ihn, aber er erzielt erstaunliche Ergebnisse. Als ich vor einigen Jahren seinen Namen noch als Geheimtipp genannt bekam, flog ich nach Moskau, um seine „Wozzeck“-Premiere am Bolschoi zu sehen. Und es war erstaunlich wie bei aller Präzision des gesamten Abends die eine Szene, die das Orchester ganz allein spielt, zum Höhepunkt wurde, in einem riesigen Bogen das ganze Drama enthielt. Ich lud ihn zum Mahler Chamber Orchestra ein und gleich das erste Projekt war ein Konzert, das auch auf CD gebannt wurde: die beiden Klavierkonzerte von Shostakowitsch mit Alexander Melnikow, die fortan als Referenzaufnahme gerühmt wird.
Meetings mit ihm macht man am besten abends spät nach einer Vorstellung, tagsüber ist er eigentlich nicht ansprechbar. Und dann am besten in einem hervorragenden Restaurant, so in Madrid nach einem außergewöhnlichen „Macbeth“ von Verdi. Gerard Mortier ist einer seiner Förderer und überließ ihm seinen Beitrag zum Verdi-Jahr. Und zusätzlich zu einer eindrucksvollen Inszenierung von Dmitri Tcherniakov gelang Currentzis mit einem Orchester, das nicht zu den international bedeutenden gehört, eine ganz besondere Leistung, ausgefeilt bis ins Detail, ein immer enervierender, bisweilen fahler Klang, der das Shakespearesche Drama in der Musik stattfinden lässt.
Ein kompletter Flop war freilich seine erste Begegnung mit den Wiener Philharmonikern diesen Jänner in Salzburg: das Orchester spielte, wie es immer spielt und Currentzis dirigierte viel zu zaghaft neben her, so erklang Mozart mit einem Dauervibrato relativ lustlos und gar nicht, wie man es von ihm eigentlich gewohnt ist.
Die Chemie muss also schon passen, nun kommt er also wieder mit dem MCO, mit dem Teodor Currentzis schon einmal in Berlin im Rahmen einer „Radialen Nacht“ auftrat. In diesem ungewöhnlichen Konzertformat bespielt das Orchester das Radialsystem V an der Spree eine ganze Nacht mit kleinen und großen Ensembles, Tanz und Videokunst und Currentzis lieferte damals eine rasante „Symphonie Classique“ von Prokofjew ab, von der einem schwindlig wurde.
Und zum Musikfest passend kommt er mit Werken, die auch für ihn besondere Werke sind: die „Dramatische Kantate Phaedra“ von Britten und die Vierzehnte Symphonie von Schostakowitsch, die Currentzis schon mit dem eigenen Ensemble mit sensationellem Erfolg eingespielt hat – ein düsteres Werk über den Tod. Anfang Oktober ist er wieder in Deutschland, dann mit Musica Aeterna, und dirigiert Strawinskys „Sacre“ bei der Ruhrtriennale in Bochum, das Jahrhundertwerk, das 1913 im Skandal unterging, das scheint so recht zu passen zu diesem jungen Dirigenten, dem man auch heute jede Aufregung zutraut.
Andreas Richter