zum Hauptinhalt
Harte Schule. Neun Monate lang musste Jan Kollwitz bei einem japanischen Meister immer die gleichen Becher drehen.
©  Thilo Rückeis

Jan Kollwitz: Gefäße für die Ewigkeit

Jan Kollwitz ist Keramiker – und Urenkel von Käthe Kollwitz. Sein Handwerk hat er in Japan gelernt. Jetzt zeigt er seine Arbeit in Charlottenburg - in dem Museum, das seiner Urgroßmutter gewidmet ist.

Ein bisschen sind ihm die Knie weich geworden wegen der Urgroßmutter. Ob er sich mit ihr vertragen würde? Für eine Sonderausstellung im Kuppelsaal des Käthe-Kollwitz-Museums hat Jan Kollwitz seine Schalen, Krüge und Tassen aufgebaut, vorsichtig, eine nach der anderen. Es sind kostbare Stücke aus gebranntem Ton, japanische Keramik. Dann, als alles fertig war, hat er festgestellt: ja, es passt. Er und sie. Seine Kunst und die Bildhauerei von Käthe Kollwitz. Sogar erstaunlich gut. Nun stehen Jans Exponate neben Käthes Skulpturen. Eine hüfthohes bauchiges Gefäß antwortet auf die runde, geschlossene Form der „Mutter mit zwei Kindern“ von 1932/36. Beide strahlen Ruhe aus.

Dabei sind sich die beiden nie begegnet, der Urenkel und die große Bildhauerin. Käthe Kollwitz starb im April 1945. Jan wurde fünfzehn Jahre später in Berlin geboren. Sie lebte mit ihrem Mann, dem Arzt Karl Kollwitz, seit den 1890er Jahren in Prenzlauer Berg. Jan ist im Südwesten der Stadt, in Zehlendorf, aufgewachsen. Alle biografischen Spuren der Urgroßmutter in Berlin sind verschwunden. Ihre Wohnung in der damaligen Weißenburger Straße (heute Kollwitzstraße 56a) wurde 1943 zerstört. Genauso wie das Haus des Sohnes in Lichtenrade, wo sich die Familie mit den vier Enkeln immer wieder getroffen hat. Urenkel Kollwitz hat als Erinnerung nur noch Schwarz- Weiß-Bilder von diesen Besuchen.

Was es gibt, sind öffentliche Orte. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bestimmte für die Neue Wache Unter den Linden eine Pietà der Bildhauerin als Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Eine Mutter hält ihren verstorbenen Sohn im Schoß. Käthe Kollwitz verlor ihren zweiten Sohn und den ältesten Enkel in den beiden Weltkriegen. Die Originalplastik ist für die Gedenkstätte um ein Vielfaches aufgeplustert worden, was bis heute umstritten ist.

Und dann ist da ja noch der Kollwitzplatz, 1947 nach der Künstlerin benannt. Hier steht eine große Skulptur, geschaffen von Gustav Seitz nach einem Selbstporträt der Bildhauerin. „Nach der Wende war ich sehr froh, auf dem Kollwitzplatz das Denkmal zu sehen und dort die Präsenz der Urgroßmutter zu spüren“, sagt Jan Kollwitz. Dass die bronzene Urgroßmutter vor nicht allzu langer Zeit Spätzle abbekam, weil sich auf ihr alle Wut im Schwaben-Streit um den Kiez entlud, hatte der 53-Jährige im fernen schleswig-holsteinischen Klosterdorf Cismar, dort, wo er eigentlich lebt, auch mitgekriegt. Sein Sohn hatte ihm ein Foto davon gemailt, empört. Jan Kollwitz lächelt nur milde darüber – wie ein Zen-Meister.

Das Feuer, die Anstrengung, die Gefäße für die Ewigkeit - all das hat etwas sehr Archaisches

Er hat etwas ganz Sanftes und in sich Ruhendes, und man fragt sich, ob das schon immer so war. Oder ob er nicht nur die traditionelle Keramik-Kunst, sondern auch die dazugehörige asiatische Lebenseinstellung verinnerlicht hat. In den 80er Jahren hat er bei einem Lehrer in der japanischen Stadt Echizen gelernt, das Handwerk stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die Gefäße werden per Hand geformt, dann kommen sie bei mehr als 1300 Grad in einen großen Ofen. Die umherfliegende Asche vom Kiefernbrennholz verschmilzt mit den tönernen Objekten und wird bei dieser enormen Hitze zu einer glänzenden Glasur. Je nachdem, wo die Gefäße im Ofen standen, weiter vorne, weiter oben, verfärbt sich die Oberfläche rötlich, bläulich oder grünlich. Nur einmal im Jahr schmeißt Jan Kollwitz in seiner Werkstatt in Cismar den Ofen an. Eine Woche dauert es, bis er ihn komplett mit den noch unfertigen Stücken gefüllt hat. Der Brennvorgang dauert vier Tage und vier Nächte. Alle zwei Minuten müssen drei bis vier Scheite durch eine Luke hineingeworfen werden. Seit 25 Jahren macht er das so. Ein Freund hilft. Den sogenannten Anagama-Ofen hat ein eingeflogener japanischer Fachmann errichtet. Das Feuer, die körperliche Anstrengung, die Gefäße für die Ewigkeit – all das hat etwas sehr Archaisches.

Bevor Jan Kollwitz Keramiker wurde, war er Schauspieler. Er hat in Fernsehfilmen mitgespielt, etwa in der ZDF-Produktion „Thronfolger“ als Kronprinz Friedrich von Preußen an der Seite von Günter Strack und Maria Schell. Und er stand in Moabit auf der Bühne der Berliner Kammerspiele, dem dienstältesten Jugendtheater der Stadt, 1999 aufgelöst. Doch die Schauspielerei war ihm zu unbeständig. Er wollte etwas mit den Händen machen. Bildhauerei. Aber dann wäre er immer mit dem Vorbild Käthe verglichen worden. Noch dazu, wo er ihr wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Er begann eine Lehre bei Horst Kerstan in Kandern am Rand des Schwarzwalds. Dort ist er erstmals in Kontakt mit japanischer Keramik gekommen. Doch Jan Kollwitz wollte das Handwerk von der Pike auf studieren, büffelte japanische Vokabeln und machte sich per Transsibirischer Eisenbahn und Schiff auf den Weg nach Asien. „Wenn schon Abenteuer, dann richtig“, sagt er heute. Er wollte sich auf die Suche nach einem Lehrmeister machen. Doch die warten nicht gerade auf Zöglinge aus Europa. Immer wieder stieß er auf verschlossene Türen. Er musste hartnäckig bleiben. Hatte aber ein gutes Vorbild vor Augen.

Nur das, was man selbst herausgefunden hat, vergisst man nicht wieder

„Mit 20 hatte ich die Tagebücher meiner Urgroßmutter gelesen. Ich war beeindruckt, wie sie ihr Leben geführt hat“, sagt er, „eine Künstlerin mit Berufsverbot, die in ihrer Wohnung weitergearbeitet hat.“ 1933 war Käthe Kollwitz auf Druck der Nationalsozialisten gezwungen gewesen, aus der Preußischen Akademie der Künste auszutreten, sie verlor ihren Posten als Leiterin der Meisterklasse für Grafik und ihr Atelier. Man kann es Zufall nennen, Schicksal, Fügung, aber Käthe war es schließlich auch, die Jan Kollwitz ans Ziel brachte. Gleich bei seiner Ankunft in Japan hatte er nämlich eine Kunsthändlerin aus Tokio kennengelernt. Und die hatte zwei Zeichnungen der deutschen Künstlerin in ihrem Wohnzimmer hängen. Ausgerechnet. „Als sie meinen Namen hörte, interessierte sie sich plötzlich dafür, was ich vorhatte.“ Über eben jene Geschäftsfrau kam dann auch der Kontakt zu seinem zukünftigen Lehrmeister zustande. Der ließ ihn nicht nur lange zappeln, sondern stieß ihn auch während der Ausbildung immer wieder vor den Kopf. Eine harte Schule. Neun Monate lang hat Meister Yutaka Nakamura den Schüler nur die immer gleichen Becher drehen lassen. Er sollte selbst alle Kniffe und Tricks entdecken. „Nur das, was man selbst herausgefunden hat, vergisst man nie wieder“, erklärt er das pädagogische Konzept. Lebendig kann Jan Kollwitz erzählen von seiner Zeit in Japan und begeistern für sein Handwerk. Während der kompletten Ausstellungsdauer ist er im Museum und beantwortet Fragen. Das ist ihm wichtig – und japanische Tradition.

Käthe-Kollwitz-Museum, Fasanenstraße 24, bis 15.12., täglich 11–18 Uhr

Zur Startseite