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Lesestoff: Gefängnisschriften von PKK-Gründer Abdullah Öcalan

PKK-Chef Öcalan sitzt seit 1999 in einem türkischen Hochsicherheitstrakt. Seine "Roadmap für Verhandlungen" mit der Regierung in Ankara ist nun auf Deutsch erschienen.

Seine Bedeutung für die Türkei, ja die komplette Region zwischen Bosporus, Kaukasus und Teheran kann kaum überschätzt werden – hinzu kommen die Millionen im Exil lebenden Kurden: Abdullah Öcalan, seit Jahrzehnten an der Spitze der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, gilt sowohl als Stratege des türkischen Bürgerkriegs als auch als potenzieller Friedensbringer. Viele Türken sehen in Öcalan einen Terroristen, viele Kurden einen genialen Visionär. In der Türkei vermuten einige, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in diesen Tagen auch deshalb so hart gegen die Demonstranten vorgehe, weil er sich bei seinen eigenen Anhängern nach den Verhandlungen der Regierung mit Öcalan als Hardliner darstellen wolle. Seit 1999 sitzt Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Dort verfasste er 2009 – parallel zu den Gesprächen mit der Regierung – Skizzen für einen Frieden. Seine Gefängnisschriften sind erst in diesem Jahr erschienen, da die Aussicht auf einen Frieden durch die Gespräche zwischen PKK und Regierung gewachsen ist. Kürzlich hatte Öcalan zu einem weltweit beachteten Waffenstillstand aufgerufen, die PKK zog sich weitgehend in den Nord-Irak zurück. Wie es dazu kam, lässt sich mit den Gefängnisschriften nachzeichnen. Öcalan versucht deutlich zu machen, dass er kein Feind des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk sei. Während gerade Kemalisten ihn seit den 1980ern bekämpfen, scheint Öcalan auf die kritischeren Geister in der säkular-türkischen Nationalbewegung gesetzt zu haben. Diejenigen, die den „tiefen Staat“ ebenso ablehnen wie den Einfluss der USA, die versucht hatten, die Region mithilfe der Militärs gegen sowjetischen Einfluss zu sichern. Da passten die kurdischen Ambitionen, zumal sozialistische, wenig. Konkrete politische Vorhersagen macht Öcalan in seinem Ausblick am Ende keine. Für ihn ist klar, dass die „Verleugnung und Vernichtung“ der Kurden gescheitert ist. Dennoch bleibt er bei etwaigen „föderalistischen Lösungen“ skeptisch. Die autonome Kurdenprovinz im Nord-Irak ist aus seiner Sicht ein Teile-und-herrsche-Projekt der alten Kolonialmächte. Von einem eigenen Kurdenstaat ist Öcalan allerdings abgerückt. Wichtigstes Ergebnis des Kampfes der PKK scheint ihm, dass die Guerilla zum Entstehen einer kurdischen Gesellschaft beigetragen habe, „die jederzeit bereit war, für ihre Freiheit und Würde aufzustehen, selbst wenn die PKK als Organisation vernichtet wäre“.

Abdullah Öcalan: Die Roadmap für Verhandlungen – Gefängnisschriften. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2013. 146 S., 9,90 €.

Hannes Heine

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