Russland & Deutschland: Gefährliche Freunde
„1000 Jahre Russen und Deutsche“: eine Ausstellung im Historischen Museum Moskau beleuchtet die wechselhafte Beziehung der beiden Länder, die in ihrer Geschichte friedlich Handel miteinander trieben, Kriege gegeneinander führten und wieder Frieden schlossen. Im Oktober kommt die Schau nach Berlin.
Wenn Russen und Deutsche miteinander über Geschichte sprechen, kommt unweigerlich der Zweite Weltkrieg aufs Tapet. Die deutsche Seite betont Schuld und Verbrechen, die russische Seite bevorzugt das epische Moment, die Schicksalhaftigkeit, zumal das Glück des Überlebens inmitten von Tod und Verderben.
Die Instrumentalisierung der Geschichte ist Sache der offiziellen Politik. Die Beschwörung des „Großen Vaterländischen Kriegs 1941 – 1945“ – wie er in Russland seit jeher heißt –dient seit den bleiernen Jahren Breschnews unverändert als Legitimation des politischen Systems. Dass die Ausstellung „Russen und Deutsche. 1000 Jahre Geschichte, Kunst und Kultur“ im Staatlichen Historischen Museum zu Moskau dasselbe tut, ist daher eine Enttäuschung. Die Ausstellung, als Gemeinschaftsunternehmen des Historischen Museums – mithin des russischen Kulturministeriums – mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erarbeitet, soll bei ihrer zweiten Station im Neuen Museum Berlin ab 6. Oktober ein anderes Gesicht zeigen, hieß es vorab bei einer Pressekonferenz in der Russischen Botschaft Unter den Linden.
So eng war die Zusammenarbeit dann doch nicht, dass eine identische Ausstellung zustande kam. Es mögen dieselben Objekte sein, die gezeigt werden; wie sie aber miteinander verknüpft werden, das bleibt Sache der jeweiligen Verantwortlichen. Das Moskauer Museum präsentiert Geschichte nicht als Geflecht von Ursachen und Wirkungen, sondern häuft lediglich Fundstücke an.
So wird der Zweite Weltkrieg, wie es heißt, in einer „einprägsamen Inszenierung“ beschworen, die die Zerstörung der spätmittelalterlichen Handelsmetropole Nowgorod zum Thema hat. Das unscheinbare Papier aber, das die Unterschriften der beiden Außenminister Ribbentrop und Molotow trägt, mit dem Schicksalsdatum des 23. August 1939 versehen – dieses welthistorische Papier hängt viele Meter entfernt unscheinbar hinter Glas in einem der in die Museumssäle eingebauten Ausstellungswürfel. Gleich daneben der Vertrag von Rapallo 1922, mit dem die beiden Verlierer des Ersten Weltkriegs ihre außenpolitische Isolation durchbrechen wollten. Als ob dieses Papier auf einer Stufe stünde mit dem Plan zur Aufteilung Europas, den die beiden Diktatoren in Kreml und Reichskanzlei zum Entsetzen ihrer Nachbarländer aushandelten!
Kein Wort zum Hitler-Stalin-Pakt, und das Geheime Zusatzprotokoll – nach der gemeinschaftlichen Besetzung Polens in einem veritablen Grenz- und Freundschaftsvertrag nochmals verfeinert – ist gleich gar nicht ausgestellt. Das ist eine äußerst ärgerliche Fehlstelle. Denn beide Seiten müssen sich der Wahrheit stellen, dass sie in der Vergangenheit einander niemals näher waren als in diesem Augenblick übelster Gewaltpolitik.
Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 war die Folge des Teufelspakts. Wenn denn der Krieg auf dem Boden der Sowjetunion der Dreh- und Angelpunkt des deutsch-russischen Verhältnisses ist, müsste man hier anfangen, im Auge des Sturms, der über Europa hinwegfegte. Und von da aus zurückgehen, zur zarten Anbahnung von Rapallo zwischen den Revolutionären in Russland und den Sachwaltern der weithin verhassten Republik von Weimar. Und dann zurück zum Ersten Weltkrieg, der die miteinander verschwägerten Herrscherhäuser der Hohenzollern und der Romanows gegeneinander führte, weiter zurück zur Auflösung einer Freundschaft, die auf Fürstenebene seit der gemeinsamen Überwindung Napoleons 1813 bestanden hatte. Und und und.
Blickt man noch weiter zurück, stößt man auf den Handel, der beide Seiten zu einer Zeit verband, da man von „den“ Deutschen ebenso wenig sprechen konnte wie „den“ Russen. Da gab es die Hanse; aus der Stralsunder Nikolaikirche stammt mit dem Chorgestühl der Russlandfahrer um 1360 eines der bezauberndsten Objekte der Ausstellung. Russische Pelzjäger und -händler sind darauf dargestellt, die die begehrte Ware dann über die Ostsee sandten. 1486 gaben Kölner Goldschmiede dem großartigen Tabernakel der Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Kreml den figürlichen Schmuck seiner zwölf Aposteln. Auch das ein bemerkenswertes Zeugnis, hatten die Moskowiter doch gerade erst die mongolische Fremdherrschaft abgeschüttelt. Nun öffneten sie sich dem Westen.
Friedliche Handelsbeziehungen, kriegerische Kolonialisierung.
„Die ,Botschaft’ der Ausstellung wird sein“, heißt es in dem von Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Preußenstiftung unterzeichneten Ausstellungskonzept, „dass die Kontakte zwischen Russen und Deutschen – die schrecklichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts ausgenommen – überwiegend positiv und produktiv sowie außerordentlich befruchtend für die beidseitigen Entwicklungen waren.“ Gewiss, Handelsbeziehungen gab es in alle Richtungen, das verbindet ganz Europa zu allen Zeiten und in alle Himmelsrichtungen. Spezifisch für das deutschrussische Verhältnis war indes der Drang in die jeweils entgegengesetzte Richtung. Deutscherseits resultierte daraus die Ostkolonisation, bis in Gegenden, die später zum Russischen Kaiserreich zählten. Bis 1918 verlief dort die Grenze der deutschrussischen Nachbarschaft.
Schon im 17. Jahrhundert goss der Nürnberger Hans Falk in Moskau Glocken und Kanonen für den Zaren. Bald darauf war es Peter der Große, der das „Fenster zum Westen“ aufstieß und sich in seiner aus der Newa-Mündung gestampften Hauptstadt eine Kunstkammer und eine Akademie von deutschen Gelehrten einrichten ließ, den Gottorfer Riesenglobus inklusive. So kommt die Ausstellung von Hölzchen auf Stöckchen und reiht aneinander, was irgendwie das Adjektiv „gemeinsam“ verträgt.
Gewiss, ein Überblick über 1000 oder de facto auch nur 600 Jahre ist schwierig, wenn nicht ein Ding der Unmöglichkeit. Wie erhellend hingegen die Einengung auf einen begrenzten Zeitraum sein kann, hat vor vier Jahren die Ausstellung „Macht und Freundschaft. Berlin – St. Petersburg 1800 – 1860“ der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gezeigt, in deren Mittelpunkt die dynastischen Beziehungen zwischen Hohenzollern und Romanows standen.
Ähnlich fruchtbar müsste es sein, die stark ideologisch eingefärbten Beziehungen zwischen den Weltkriegen auszubreiten, angefangen mit den geheimen Reichswehr-Manövern in Sowjetrussland. Das kommt zwar in der Moskauer Ausstellung vor, in der ein nicht übermäßig zahlreiches, dafür aber erkennbar interessiertes Publikum sich in jedes Exponat vertieft. Doch dienen all die eindrucksvoll ausgewählten Objekte eher als Beispiele für eine Vielheit, die nirgends fasslich wird.
Am Ausgang des Museums blättert eine Bedienstete im Ansichtsexemplar des Katalogs. Für 3600 Rubel, umgerechnet 90 Euro, bekommt der Leser zwei kiloschwere Bände mit 1100 reich bebilderten Seiten in die Hand gewuchtet, deren Lektüre gewiss all das nachliefert, was die Ausstellung selbst nicht unmittelbar mitteilt. Hilfreich wäre es, einen Kurzführer anzubieten, für den kleineren Geldbeutel ebenso wie für die begrenzte Zeitspanne eines Museumsbesuchs. Damit nicht nur die Fachwissenschaft etwas von der breit angelegten Kooperation hat, sondern auch das Normalpublikum beider Länder, das sich den Reichtum der nachbarlichen Geschichte erst wieder erschließen muss.
Moskau, Historisches Museum, Revolutionsplatz, bis 25. August. Anschließend Berlin, Neues Museum, 6. Oktober – 12. Januar 2013. Katalog und Essayband im Michael Imhof Verlag, in russischer Sprache 3600 Rubel.
Bernhard Schulz
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