Kultur: Ganz knapp
Endlich: alle Schriften von Alfred Flechtheim
Seit einigen Jahren fällt der Name Alfred Flechtheims im Zusammenhang mit den Nachforschungen zu NS-enteigneter Kunst aus jüdischem Besitz. Flechtheim, geboren 1878 im westfälischen Münster, Kunsthändler erst mit einer Galerie an Düsseldorfs Nobelmeile Königsallee und nach dem Ersten Weltkrieg zusätzlich am Lützowufer in Berlin, verlor nach 1933 sukzessive seine ganze Privatsammlung, durch Konkursverfahren und zur Aufbringung der „Reichsfluchtsteuer“ für Frau und Familienangehörige. Er selbst war rechtzeitig nach London emigriert, wo er allerdings 1937 tödlich erkrankte.
Immerhin ist Flechtheim durch diese Umstände ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt. Noch 1987 klagte der Düsseldorfer Museumsdirektor Hans Albert Peters, der Flechtheim erstmals eine Ausstellung widmete: „Die Vertreter des Ungeistes löschten so nachhaltig die Erinnerung an Flechtheims Gestalt und Leistung aus, dass er fast völlig vergessen erscheint.“ Zu dieser Leistung gehört allerdings nicht nur sein legendäres Geschick als Händler und Vermittler insbesondere der französischen Moderne von Picasso bis Léger, aber auch der deutschen Zeitgenossen von Klee bis Hofer, sondern auch sein schriftstellerisches Talent. Endlich liegen nun die „Gesammelten Schriften“ des Weltmannes Flechtheim vor: unter dem Titel „Nun mal Schluss mit den blauen Picassos!“ und damit den saloppen Stil der Zeitschrift „Querschnitt“ zitierend, der der so überschriebene Aufsatz über den Spanier entnommen ist. Den „Querschnitt“ verlegte Flechtheim während beinahe der ganzen kurzen Lebenszeit der Weimarer Republik als „Magazin der aktuellen Ewigkeitswerte“.
Flechtheim, der visuell in jenem beständig und auch beim „Schriften“-Band als Titelbild verwendeten Foto aus seiner Berliner Galerie überliefert ist, wo er lässig und zugleich gespannt seitwärts blickt, war ein Stilist von Graden. Das gilt nicht nur für seine knappen Katalogtexte zu den Künstlern, deren Werke er ausstellte, handelte und eben auch sammelte, sondern zugleich für seine großartigen Beobachtungen auf Reisen, die er im „Querschnitt“ veröffentlichte. Getreu dem Motto der Zeitschrift, „Der positive Wert des Snobismus ist der Wille zum Anderssein“, schaute Flechtheim von oben herab, aber mitnichten blasiert vernebelt auf deutsche Zustände. „Ein Strand mit einem Flaggenwald“ heißt es über das Ostseebad Bansin, einen Lieblingsort der Berliner, „schwarz-weiß-rot, Kriegsmarineflaggen, Hakenkreuzfahnen, eine Flaggenparade, die den Berliner Stahlhelmtag an Glanz übertrifft“. Das war bereits 1927, zu den angeblich besten Zeiten der Republik! Im Jahr darauf, im Feuilleton „Ostpreußenfahrt“, dann allerdings ein anderer Ton: „Und drüber ein Himmel mit Wolkenstimmungen, wie ich sie nie sah. Ich kenne in Europa, Finnland ausgenommen, kein Land von der Schönheit der Einsamkeit der Masurischen Seen.“
In diesem Spannungsfeld von Intellekt und Emotion bewegte sich Flechtheim. Und er war kein unkritischer Verfechter der französischen Kunst, wie ihm beständig vorgeworfen wurde. Anlässlich seiner Ausstellung der Kunst seit Cézanne 1929 schrieb er: „Wie in Deutschland jedes Fräulein Klavier spielt und in England jede alte Schachtel Romane schreibt, malt in Frankreich jeder Concierge und jeder pensionierte Beamte, jeder Bourgeois, der nichts zu tun hat und nicht in der Lage ist, selbst Bilder zu kaufen.“ Seines Urteils war Flechtheim sicher. Léger war der zeitgenössische Künstler, den er am stärksten förderte. Von ihm behielt er das Hauptwerk „Les Noces“ von 1911, das er im folgenden Jahr erworben hatte, bis zum englischen Exil, wo er es nur Wochen vor seinem Tod dem französischen Staat vermachte. Es zählt heute zu den Spitzenstücken des Pariser Centre Pompidou. Die Herausgabe der Schriften dieses großen Kunst- und mehr noch Kulturvermittlers war überfällig. Bernhard Schulz
Rudolf Schmitt-Föller (Hrsg.): Alfred Flechtheim. Gesammelte Schriften. Weidle Verlag, Bonn 2010, 276 S., 23 €.
Bernhard Schulz
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