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Daniel Barenboim dirigiert am 8. Dezember 2016 zur Eröffnung der Barenboim-Said Akademie im Pierre Boulez Saal das West-Eastern Divan Orchestra.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Barenboim-Said Akademie: Ganz bei sich

Frank Gehry hat den Pierre Boulez Saal der Barenboim-Said Akademie als wandlungsfähige Hülle des Hörens entworfen.

Ob Pierre Boulez sich näher über Architektur geäußert hat, wissen wir nicht. Immerhin hatte er mit dem eigens für ihn geschaffenen Institut IRCAM in Paris, gleich neben dem Centre Pompidou, einen Neubau zur Verfügung, an dem er die Eigenheiten zeitgenössischer Architektur hat studieren können. So halten wir uns an ein Zitat, das auf viele Lebenslagen passt, warum also nicht zur Architektur: „Wir müssen vor allem unsere Horizonte erweitern, um neue und unbekannte Welten einzubeziehen wie auch solche, an die wir gewöhnt sind."

Voilà, damit kann man getrost den Saal betreten, der seinen Namen trägt und von dem Daniel Barenboim hofft, „dass dieser Konzertsaal zu einem der besten Kammermusiksäle weltweit gehören wird“. Dazu hat die Architektur ihren Teil getan. Denn wo gäbe es einen Musiksaal, den Frank Gehry, der Meister weit in die Stadt ausstrahlender Formen, ganz zurückgenommen in die Hülle eines vorhandenen Gebäudes gesetzt hätte? Dass der Akustiker, der den Wohlklang des Saales ermöglicht, mit Yasuhisa Toyota der weltweit gefragteste Fachmann seines schwierigen Gebietes ist, zeichnet das Vorhaben zusätzlich aus. Niemand soll behaupten können, die geschwungene Empore Gehrys würde auch nur um einen Hauch den Klang mindern, der künftig durch den Raum strömen wird.

Frank Gehry hat den Saal für die gestern eröffnete Barenboim-Said Akademie pro bono entworfen, ohne Honorar, aus reiner Freundschaft. So ist Gehry doch noch einmal nach Berlin zurückgekehrt, nach dem Bankhaus am Pariser Platz, das er in den wilden neunziger Jahren entworfen hat, und der gescheiterten Beauftragung mit dem Eingangsgebäude zur Museumsinsel, für das er einen fulminanten Entwurf hingelegt hatte. Für den Boulez Saal gab es keinen Wettbewerb, den hat Barenboim im Direktgespräch zweier großer, älterer Männer an Gehry gegeben. Die Aufgabe konnte der wahl-kalifornische, eigentlich aus dem kühlen Kanada stammende Architekt des Jahrgangs 1929 nur annehmen, weil er sich hinlänglich als Schöpfer unwahrscheinlicher Raumgebilde einen Namen gemacht hat, so dass ihm die Bescheidung in der Fassadenhülle des Altbaus nicht schwer fiel. Gehrys Ausweis als Konzertsaalbaumeister hingegen ist ein stadtbildprägendes Gebäude, nämlich die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles. Dort lebt Gehry seit 1947, eigentlich jedoch in Santa Monica, wo Gehry seit 1976 einen postmodernen Eigenentwurf bewohnt.

Ein Raum, der in sich selbst Genüge findet

Wie die Disney Hall äußerlich beschaffen ist, tut hier nichts zur Sache, denn in Berlin gab es kein Äußeres zu gestalten. Im Inneren aber entpuppt sich der Meister bemerkenswert behaglich – über Hans Scharouns revolutionäres Konzept des Zuschauerraums als „ansteigende Weinberge“ hinaus kann es wohl keine Neuerfindung geben. Längst sitzen die Zuhörer vielerorts rings um das Orchester, und in Berlin setzt die ovale, auf- und absteigende, in eine schwingende Form versetzte Empore oberhalb des variabel zu bestuhlenden „Parketts“ diese Idee in höchster Anschaulichkeit um.

Das Runde muss ins Eckige. In den vorgegebenen eckigen Raum mit seinen Fenstern zur Straße hat Frank Gehry mit kühnem Schwung einen beeindruckenden runden Pierre Boulez Saal integriert, der am 4. März 2017 seine Tore für Konzerte offiziell öffnen wird. Der Rang schwebt und ist nur an vier Punkten fixiert.
Das Runde muss ins Eckige. In den vorgegebenen eckigen Raum mit seinen Fenstern zur Straße hat Frank Gehry mit kühnem Schwung einen beeindruckenden runden Pierre Boulez Saal integriert, der am 4. März 2017 seine Tore für Konzerte offiziell öffnen wird. Der Rang schwebt und ist nur an vier Punkten fixiert.
© Volker Kreidler

Gewiss, der ganz überwiegende Teil des Publikums wird im Parterre sitzen, das sich dank ingeniöser Technik in der verschiedensten Weise bestuhlen lässt: in Reihen quer zur Längsachse des Grundrisses (Modelle „Theater“ und „Arena“) oder aber leicht gekrümmt an dieser entlang („Amphitheater“) oder ganz dem Oval folgend („Music in the Round“). Auf dem Rang sind ohnehin nur maximal zwei Sitzreihen vorhanden, die hintere mit „Barstühlen“; wer’s denn mag.

Aber das ist gar nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Gehry den Raum, der nach der Entfernung aller Decken und Wände tatsächlich nur eine leere Schuhschachtel war, mit dieser wie gänzlich frei schwebend wirkenden, nur an den jeweiligen Berührungspunkten mit den umgebenden Wänden fixierten Galerie neu und anders strukturiert hat. Es ist ein Raum entstanden, der in sich selbst Genüge findet.

Nirgends ein Kompromiss mit der Denkmalpflege

Die Wände mit ihren großen Fenstern, die das frühere Ordnungsmuster der Rechtwinkligkeit bewahren und vor Augen stellen, werden als bloße Raumbegrenzung, nicht länger aber als strukturierende Elemente wahrgenommen. Gegenüber einem streng ovalen, der Form des Zuschauerraumes folgenden Behältnis haben die Seitenwände den Vorzug, dass sie in einem gewissen Abstand bleiben und den Charakter des Konzertsaales als „Bauwerk im Bauwerk“ kenntlich machen.

Alles ist in warmtonigem Holz ausgekleidet, da hat der Akustiker naturgemäß seine Hand im Spiel gehabt. Die Hauptarbeit des Akustikers liegt im Verborgenen; im Boden beispielsweise, der schalldämpfend ausgeführt ist wie auch die Wände mit ihrer Holzverkleidung; und in der Decke, die wellenförmig über dem Saal hängt und straßenseitig eingeschnitten ist, weil die vorhandenen Fensteröffnungen erhalten werden mussten, die neue (Technik-)Decke aber tiefer hängt als die ursprüngliche.

Und doch wird nirgends ein Kompromiss, ein fauler gar, mit den Forderungen der Denkmalpflege eingegangen. Gehry, der Meister computergefräster Titanmetallsegel, zeigt sich im Boulez-Saal als Holzbaumeister, als ob er in den Wäldern Kanadas zuhause wäre und nicht in der digitalen Welt seiner durch und durch perfektionierten Entwurfsmaschinerie.

Berlin kann stolz sein, dieses Bauwerk zu besitzen

Perfekt ist der Saal gleichwohl, sofern man das große Wort vor dem Hörerlebnis eines Konzert überhaupt zu verwenden wagt; perfekt jedenfalls in der Abstimmung etwa von Holz und Metall (der Geländer), der Übergänge von Einbau und erhaltener Wand, den Anschlüssen an das Treppenhaus. Das stammt von HG Merz, ist auf seine Art gelungen, nur eben im Vergleich doch recht kantig. – Man schaue einmal von unten auf die Brücke, die von der Galerie in den Treppenhauskern hinüberführt, wie fein da die Holzverkleidung wirkt und optisch überleitet in die hölzerne Decke.

Blickpunkt. Das Treppenhaus des Architekten HG Merz teilt den ehemaligen Kulissenbau der Staatsoper, links befindet sich der von ihm gestaltete Akademieflügel, rechts der Pierre-Boulez-Saal. Erhalten wurden die Stahlschiebtüren für die Kulissen.
Blickpunkt. Das Treppenhaus des Architekten HG Merz teilt den ehemaligen Kulissenbau der Staatsoper, links befindet sich der von ihm gestaltete Akademieflügel, rechts der Pierre-Boulez-Saal. Erhalten wurden die Stahlschiebtüren für die Kulissen.
©  Doris Spiekermann-Klaas
Besucher gehen am Eröffnungsabend durch die Akademie.
Besucher gehen am Eröffnungsabend durch die Akademie.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Der Boulez Saal ist gewiss nicht zum Schnäppchenpreis errichtet worden, aber er ist doch kein bisschen protzig; er wirkt so, als ob er gar nicht anders aussehen könnte, nachdem die Entscheidung zur ovalen Form mit umlaufender Galerie einmal getroffen war. Frank Gehry hat einen intimen und für seine Verhältnisse kleinen Bau geschaffen, doch der ist ein Juwel in seinem Œuvre. Berlin kann stolz sein, dieses Bauwerk zu besitzen, das so ganz bei sich ist und das, um den Namenspatron Pierre Boulez zu zitieren, „unbekannte Welten“ einbezieht „wie auch solche, an die wir gewöhnt sind“.

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