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Kurzer Moment der Einsamkeit. Luminita Gheorghiu, Star des neuen rumänischen Kinos, spielt die resolute Übermutter Cornelia, die ihren Sohn raushauen will, nachdem er einen tödlichen Unfall verursacht.
© dpa/Media Office

Gewinner des Berlinale-Bären 2013: Fürsorgliche Bestechung

Korruption im Namen der Mutterliebe: "Mutter & Sohn" gewann dieses Jahr den Goldenen Bären. Der Film des Regisseurs Calin Peter Netzer zeichnet ein Psychodrama - und ein Sittengemälde der korrupten Oberschicht von Bukarest. Mit einer überragenden Hauptdarstellerin, Luminita Gheorghiu also resolut-skrupelloser Übermutter

Als Cornelia sich am Telefon mit dem Zeugen verabredet und der Mann wissen will, wie er sie erkennt, meint sie nur: „Ich bin klein, mittelblond, 30 Jahre alt, sehe aber aus wie 60.“ Guter Spruch – zumal sie zu Beginn des Films bei ihrer Party zum 60. wie eine 30-Jährige tanzte. Und die ersten Worte, die sie in „Mutter & Sohn“ an ihren Filius richten wird, der gerade von der Polizei verhört wird, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit einen Jungen überfahren hat – die ersten Worte dieser monströs fürsorglichen, resoluten Übermutter an ihren geliebten Barbu besagen alles über das Verhältnis der beiden. „Mein Gott, Kindchen“, seufzt Cornelia. Barbu ist 35.

Diese Frau ist ungeheuerlich. Architektin, Chirurgengattin, renommiertes Mitglied der Bukarester Oberschicht. Zum Geburtstagsfest kommen die Neureichen und die alte Nomenklatura, was überwiegend dasselbe ist: Politiker, Immobilienleute, die Arztkollegen ihres Mannes, die berühmte Opernsängerin. Cornelia ist bestens vernetzt, sie hat ihr Leben im Griff. Nur einer entzieht sich, Barbu, der zeitlebens entmündigte, hypochondrische, unfähige Sohn. Er kommt nicht zur Party, er findet, die Generation seiner Mutter muss so bald wie möglich verschwinden. Recht hat her: Bei der öffentlichen Meisterklasse schubst die Opernsängerin die jungen Solisten auf dem Podium herum, übertönt sie, stiehlt dem Nachwuchs die Show. Nicht von ungefähr ereilt Cornelia ausgerechnet hier der Anruf, bei dem sie erfährt, dass Barbu einen tödlichen Unfall verursacht hat.

Auf der Stelle beginnt die Mutter, den Sohn rauszuhauen, freizukaufen. Bloß keine Haftstrafe: Cornelia lässt ihre Beziehungen spielen, schüchtert Gutachter, Kommissariate und Kreisverwaltungen ein, biegt Aussagen um, besticht den Zeugen, spannt die Verwandtschaft ein, schließt sogar ein Zweckbündnis mit Carmen, der ihr so verhassten Lebensgefährtin Barbus. Warum die Schauspielerin Luminita Gheorghiu ein Star des neuen rumänischen Kinos ist, begreift man schon in der Szene, in der sie auf der Polizeiwache das Verhörprotokoll anzweifelt. 160 soll ihr Barbu gefahren sein? Außerhalb geschlossener Ortschaften ist nur 110 erlaubt. „Schreib 110!“ Gegen die Tatkraft dieser Frau weiß sich niemand zu wehren, so skrupellos, mit eiskalt berechnendem Mutterherz geht sie ans Werk.

Wie diese Cornelia mit Smartphone, Slim-Zigaretten und vollgestopften Geldkuverts hantiert, wie sie in Luxusklamotten und teurem Schmuck den Geldadel des osteuropäischen Turbokapitalismus verkörpert, alleine dafür gebührte „Mutter & Sohn“ auf der diesjährigen Berlinale der Goldene Bär. Erst recht dafür, wie sie spät abends allein in der Küche einen Grand Marnier on the Rocks kippt – ein Moment unendlicher Einsamkeit.

Mag sein, dass Regisseur Calin Peter Netzer (siehe Interview) vor allem die Beziehung zu seiner eigenen dominanten Mutter im Sinn hatte. Aber mit dem intimen Psychodrama – in dem Bogdan Dumitrache eine seiner Barbu-Rolle angemessene schwache Figur macht – zeichnet er zugleich ein Sittengemälde der korrupten rumänischen Elite, die in protzigen Villen residiert, nagelneue Automatik-BMWs fährt, Herta Müller liest – und im subtilen Ton die Putzfrau demütigt.

Cinéma Verité mit harten Schnitten, ohne tröstlichen Soundtrack. Vom rumänischen Filmwunder ist die Rede, seit Cristian Mungiu 2007 für „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ die Goldene Palme in Cannes und den Europäischen Filmpreis gewann. Bei der Berlinale 2013 gehörte „Mutter & Sohn“ zu den zahlreichen starken Produktionen aus Osteuropa, lauter Nahaufnahmen aus fernen Nachbarländern, voller Gewalt und himmelschreiender Ungerechtigkeit. Netzers Film konzentriert sich auf Innenräume, auf Szenen im Halbdunkel, im Schutz der Nacht. Minutiös registrieren die Digitalkameras das Geschehen im Zwielicht, das routinierte Räderwerk, die Selbstgewissheit und klandestine Vertrautheit der oberen Zehntausend. Es sind zutiefst unsympathische Figuren, denen man nahekommt – gefährlich nah, bis an den Rand der Empathie.

Am Ende sucht Cornelia die Familie des toten Jungen auf, in einer armseligen Behausung am Stadtrand – Skizze einer zerrissenen Klassengesellschaft. Nicht aus Schuldbewusstsein, sondern wieder aus Kalkül: Wenn Barbu kondoliert, wenn sie die Beerdigung bezahlen und Anteilnahme demonstrieren, kommt es vielleicht nicht zur Anklage. Da sitzt sie nun mit der Mutter des Toten, zwei Frauen, die um ihre verlorenen Söhne weinen – und plötzlich sehen Cornelias Tränen nach echter Verzweiflung aus. Wer weiß, ob diese unglaubliche Frau nicht auch dem Kinozuschauer etwas vormacht.

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