Jean Rondeau in Berlin: Für den Weltstar ist Musik permanentes Zweifeln
Der Cembalist Jean Rondeau war schon mit 25 Jahren ein Star der Alten Musik. Jetzt spielt er zwei Mal in Berlin.
Der Blitz trifft Jean Rondeau im Alter von fünf Jahren: Er klingt ein wenig metallisch und scharf, in Rondeaus Ohren prasselt es mehr, als dass es singt. Glücklicherweise kommt dieser Blitz aber nicht vom Himmel, sondern – ganz irdisch – aus dem Radio seiner Eltern. Rondeau ist begeistert vom wilden Klang dieses Instruments, das in diesem Moment nichts ist als einige Töne in einem Kinderkopf: Ohne Namen, ohne Bild - und gerade deshalb so faszinierend.
Das Instrument, das sich Rondeau nachhaltig einbrennt, ist ein Cembalo. Das barocke Tasteninstrument, in dem kleine Federkiele die Saiten anzupfen, bestimmt fortan sein Leben: Schon bald erhält Rondeau Unterricht, nimmt nach der Schule ein Musikstudium am ehrwürdigen Pariser Konservatorium auf. Schon zu dieser Zeit gewinnt der junge Tastenmeister einen Wettbewerb nach dem anderen.
2016 erscheint die Debütplatte des 25-jährigen: „Imagine“ vereint das „Italienische Konzert“ mit Transkriptionen aus Bachs Sonaten für Flöte, Laute oder Geige. Das Album schlägt ein wie eine Bombe, die Kritik ist begeistert: So frisch, so anpackend, so erschütternd klang der alte Bach lange nicht mehr.
Seitdem sind einige Jahre vergangen, aber die Ruhe ist in Jean Rondeaus Leben nicht eingekehrt. Nach vier Soloalben und unzähligen Konzerten ist der junge Vollbart ein Weltstar der Alten Musik. Trotzdem hat Rondeau die Ruhe weg. Im Gespräch hört er genau zu, seinen Gedanken lässt er Zeit und Raum.
So überrascht es nicht, wenn er seine Faszination an der Musik philosophisch erklärt: „Die Musik ist für mich eine Welt des permanenten Zweifelns. Wenn ich nicht mehr zweifeln sollte, habe ich ein Problem.“
Der Cembalist improvisiert im Jazz und im Barock
Zweifeln bedeutet auch, sich die Freiheit zu erhalten, weiter und anders zu denken, Neues zu schaffen. Kein Wunder, dass sich Rondeau neben der Welt des höfischen Barock das freie Spiel als musikalische Spielwiese ausgesucht hat. Seit Beginn seiner Karriere jazzt er regelmäßig auf Klavier oder Cembalo.
Auch seine Auftritte bei den diesjährigen Barocktagen an der Staatsoper unter den Linden sind entsprechend gestaffelt: Am heutigen Freitag improvisiert Rondeau im Apollosaal zu Motiven des Cembalo-Großmeisters Domenico Scarlatti, beim morgigen Recital bringt er Ausschnitte aus dem Werk der Scarlatti-Brüder Domenico und Alessandro sowie ihres Leipziger Kollegen Bach unverändert auf die Bühne.
[Staatsoper unter den Linden, Apollosaal, 8./9. November]
Das Spiel mit Alt und Neu versteht Rondeau als konsequente Fortführung seiner Arbeitsweise: „Je intensiver ich mich mit Scarlatti und Konsorten beschäftige, desto mehr kann ich aus ihrer Musik schöpfen.“ Den Anstoß für dieses Weiterdenken bot ausgerechnet das alte Repertoire.
Als Cembalist hat Rondeau in der barocken Kammermusik häufig nichts weiter als eine Basslinie, die er beim Musizieren realisieren, also nach bestimmten Regeln improvisieren muss. „Jazz und Barock“, summiert Rondeau, „sind für mich verschiedene Orte, an denen ich praktizieren kann, was mich am meisten fasziniert: Das freie Spiel.“
Rondeau macht sein eigenes Ding, auch auf Instagram
Geprägt hat Rondeaus Verständnis seine erste Lehrerin: Blandine Verlet, Schülerin des Scarlatti-Experten Ralph Kirkpatrick und selbst eine renommierte Cembalistin. Über zehn Jahre, so genau kann sich Rondeau nicht mehr erinnern, hat er mit ihr zweifach gelernt: „Sie hat mir die Liebe zur Musik vermittelt und die Mittel gegeben, sie in meinem Spiel umzusetzen.“
Rondeau macht sein eigenes Ding, man sieht es ihm an. Seine Haare trägt er häufig lang und ungebändigt, seine Wangen bedeckt ein dicker Vollbart und öffentlich tritt der wohl erfolgreichste Hipster am Cembalo schon mal im Holzfällerhemd auf.
Auch in der Vermarktung ist er Kind seiner Zeit, Rondeau bestückt unter anderem einen Instagram-Kanal. Wer erfahren will, wo er gerade unterwegs ist, findet hier zuverlässig Informationen – und natürlich: sehr viel Bart.
Man kann das als opportunistisch oder auch oberflächlich abtun, als billige Effekthascherei. Andererseits zeigt die geschickte Selbstvermarktung des „Digital Natives“ aber nur, was eigentlich längst klar ist: Kommerz und Kunst sind auch in der Alten Musik nicht voneinander zu trennen.