Leonard Cohen: Fünfzehn Jahre für ein Halleluja
Späte Zugabe: Leonard Cohen kehrt im Triumph auf die Konzertbühne zurück - in Dublin, der Stadt der Dichter.
Der Poet. Der Prophet. Der Entertainer. Der vornehme Herr, der sich nach drei Stunden mit den Worten verabschiedet: „Drive home safely, friends. Don’t catch a summer cold. And God bless you!“
Da ist nun jede Silbe wahr. Manch einer ist weit gereist, um diesen Mann bei seinem ersten Konzert auf europäischem Boden nach so unwahrscheinlich langer Zeit noch einmal zu erleben. Es ist empfindlich kühl in Dublin auf dem Freigelände beim Royal Hospital Kilmainham, und wenn es einen Gott gibt, und sei er irisch-katholisch und gegen die EU-Verfassung, dann müssen ihm – von einem alten Herrn zum anderen – an diesem Freitagabend die Ohren geklungen haben. Als Tausende aufspringen und Leonard Cohens „Hallelujah“ mitsingen. Da werden sie eins: der Poet, der Prophet und der Entertainer.
Was für eine lange und gute Geschichte, Leonard Cohens Rückkehr. Über fünfzehn Jahre war er nicht aufgetreten, hatte sich in ein kalifornisches ZenKloster zurückgezogen, und die zwei Alben, die der Eremit vom Mount Baldy Anfang des neuen Jahrtausends vorausschickte („Ten New Songs“, „Dear Heather“) klangen wie bitter brüchige Parodien seiner selbst. Man hatte ihn abgeschrieben, in den verdienten Ruhestand. Einmal musste es vorbei sein mit der Liebesnot, dem Gottesschmerz, der Weltverfluchung dieses Mannes, der von Frauen sang wie ein vor Lust zerrissener Jüngling mit grauem Haar und leicht gebücktem Gang.
Das Versprechen der ewigen Adoleszenz, das der Rock ’n’ Roll ausstreut, hatte ihn über die Jahrzehnte arg mitgenommen. „Songs of Leonard Cohen“, seine erste Platte, die mit „Suzanne“, datiert von 1968. Stets auf der Suche nach dem vollkommenen Sound für seine Verse, war die Popmusik Cohens größte und zuweilen unglücklichste Liaison. Und vor ein paar Jahren gab es diese in der Popbranche nicht seltenen Berichte, dass eine ehemalige Managerin mit mehreren Millionen Dollar von Cohens Konten untergetaucht sei.
Auch das gehört zu der langen Geschichte, deren gutes Ende mit Cohens ersten Konzerten im Mai in seiner kanadischen Heimat seinen Anfang genommen hat. Das Internet spielt ja auch ein bisschen Gott, indem es vieles gibt und vieles nimmt: die Überraschung zum Beispiel. Cohen-Blogs und Youtube-Kostproben ließen auf ein Wunder hoffen. Da war der lange Verschollene nicht wiederzuerkennen, oder plötzlich ganz bei sich. „Waiting for the Miracle“. Den Song bringt er als Zugabe, da haben die Dubliners das Wunder schon selbst erfahren. Leonard Cohen ist so gut wie nie. Und er spielt an die drei Stunden. Die Stimme ist fest, modulationsreicher, er singt mit geschlossenen Augen und leicht durchgedrückten Knien. Er singt. Er murmelt nicht, er singt mit zarter Weisheit „Dance Me to the End of Love“, „Bird on the Wire“, „Who by Fire“. Die Band trägt den Poeten von Hymne zu Hymne. Er ist so beglückt von der Begleitung, dass er nach jedem kleinen Solo die Musiker aufs Neue vorstellt. Das geschieht an diesem Abend, der aus der Erinnerung für die Erinnerung geschaffen ist, ein Dutzend Mal.
So beschwingt ist der Herr im dunklen Anzug und mit Hut, den er jedes Mal abnimmt, wenn er sich vor seinen Instrumentalisten verbeugt: vor Javier Mas, dem spanischen Meister der akustischen Saiten, vor Dino Soldo, dem Saxofonisten, dem E-Gitarristen Bob Metzger, dem Schlagzeuger Rafael Gayol, dem Pianisten Neil Larsen und Roscoe Beck, dem Bassisten und Bandleader. Wie viele wunderschöne, flüsterweiche Backgroundsängerinnen hat er schon neben sich gehabt, keine waren wie diese: Sharon Robinson, die Produzentin der letzten beiden Alben, und Charley und Hattie, die Webb Sisters aus England, sie singen wie zwei von Luzifer ausgeliehene Engel. „Doo-dam-dam“, so tönen sie minutenlang, und Cohen fleht sie an, nicht aufzuhören, dabei lächelt er verzückt und leise libidinös und sagt, dies sei der „Schlüssel zu den Geheimnissen des Lebens“. Doo-dam-dam. Endlich Entertainer!
Im März wurde Leonard Cohen in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame aufgenommen, Lou Reed hielt in New York die Laudatio. War er doch immer mehr ein Bänkelsänger, der so viele Pop- und Rockmusiker beeinflusste, so hat er jetzt mit bald 74 Jahren doch noch den letzten Schritt gemacht. Auch wenn er eher wie ein Rockmusiker auftritt, er ist nicht Nick Cave oder Tom Waits (die ihm auch einiges zu verdanken haben). Aber er rockt doch! Cohen rockt! Er geht aus sich heraus! Bei Leonard Cohen braute sich schon immer eine spezielle Mischung zusammen, Sex and God and Rock ’n’ Roll.
Man kann es gar nicht oft genug sagen. Cohens Töne waren noch nie so musikalisch. Sogar die neueren Brummelverse entfalten Musikalität. Bei „Take this Waltz“, jenem Song, den er dem spanischen Dichter Federico García Lorca widmet, tanzt das Auditorium im Dreivierteltakt zwischen den Reihen, die humorlos-strengen Ordner verlieren zum ersten Mal den Überblick. Dreimal sagt Cohen, wie glücklich er sich schätze, in Dublin, der Stadt der Dichter, auftreten zu dürfen. Er rezitiert sein „A Thousand Kisses Deep“, so tief, sonor und erschütternd bis ins Mark, dass Oscar Wildes „De profundis“ anklingt – und all die anderen irischen Weltpoeten; Joyce, Yeats. Auch an Shaw kann man denken, wenn man am anderen Morgen auf dem Dubliner Flughafen ein Zitat aus „Pygmalion“ am Gate entdeckt, in großen Lettern : „Der Unterschied zwischen einer Dame und einem Blumenmädchen ist nicht, wie sie sich benimmt, sondern, wie sie behandelt wird.“
Cohen begegnet seinen Fans mit einer Höflichkeit, die an Ironie grenzt. Das schließt den Poeten, den Propheten mit ein. So kann man die Geschichte auch erzählen wie einen biblischen Mythos. Als wäre er ein Seher des Alten Testaments – Cohens Judentum war von jeher katholisch gefärbt, ehe er sich buddhistisch orientierte –, kommt er aus der Versenkung wieder, aus der Wüste und der Selbstverlorenheit, und seine Worte entfalten mehr Gewalt als je zuvor.
„Democracy is coming to the USA“, skandiert er im Marschrhythmus, das Lied ist bald zwanzig Jahre alt. Damals schon sang er vom „spirituellen Durst“ der Amerikaner, und dass von dort das Beste und das Schlimmste kommt. Dem religiösen 21. Jahrhundert, in dem wir uns unbehaglich einrichten, hat Cohen von jeher die Leviten gelesen; nur empfand man es früher als Spleen, wenn er mit dem Glauben rang. „And Jesus was a sailor/when he walked upon the water (...) All men will be sailors then /until the sea shall free them“, heißt es in „Suzanne“. Für sie hängt er noch einmal die Gitarre um. Er schafft es, diese ins Mythisch-Mystische gewachsene Susanna im Bade still konzentriert zu besingen, ohne mit ihr den großen alten Kitsch auszuschütten, der sich um diesen Song gelegt hat wie Seetang um ein gesunkenes Schiff.
Es verspricht nichts Gutes, wenn Cohen vom Kommenden kündet, „The Future“; auch dies ein Lied der Zeitenwende nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens und dem Fall der Mauer. Wenn er den Horror des 20. Jahrhunderts zurückfordert, denn: „I’ve seen the future, Baby, it is murder.“ Von so einem Grabredner kann man nur träumen, mit diesem lustigen Hut und diesem Lächeln, das die Seele berührt und von Song zu Song immer weiter in die Ferne rückt. Weil es zu schön ist, muss jetzt das Ende kommen, die swingende Abschiedsnummer, „Closing Time“. So könnte es bis zum Morgengrauen aufhören.
„First we take Manhattan, then we take Berlin.“ Das Dublin-Konzert ist eine Sensation, dieses Lied wird zum Triumph. Auch wenn es geschwindelt ist. Leonard Cohen tourt weiter durch Europa, doch der Auftritt in der Waldbühne wurde gestrichen. Bisher ersatzlos.
Rüdiger Schaper
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