Kultur: Fünf Freunde und das Tal der Tränen
Sie gelten als Wortführer ihrer Generation, denn sie haben den Rock’n’Roll neu erfunden: Mit „Room on Fire“ veröffentlichen The Strokes heute ihr zweites Album
Es gebe nur eine CD, heißt es. Eine einzige CD, die die Plattenfirma vorab herumschickt, damit sich Pop-Journalisten ein Bild machen können. Nacheinander. Deshalb muss es schnell gehen. Keine Zeit, die Musik langsam in den eigenen Alltag hineinfließen und von ihm Besitz ergreifen zu lassen – zack, zack, zack. Vielleicht gerade richtig für eine Band, bei der man nur 15 Sekunden brauche, um ihr Potenzial zu erkennen, wie gesagt wird. So lange jedenfalls soll Labelchef Geoff Travis benötigt haben, um die New Yorker Rock-Entdeckung The Strokes unter Vertrag zu nehmen. Er saß an seinem Telefon in England, während ihm jemand von Amerika aus das Demo-Tape der fünfköpfigen Band vorspielte. Das Ergebnis: Ihr Debütalbum „Is this it“ (2001) wurde 2,5 Millionen Mal verkauft und leitete ein Rock’n’Roll-Revival ein, dessen Protagonisten fast immer aus New York stammen und ein „The“ vor ihren Namen setzen: The Vines, The White Stripes, The Datsuns, The Libertines oder The Rapture. Ihre Musik ist schnell, einfach und wahr. Kein Markenphänomen. Obwohl alle genau das aus ihr machen wollen.
So ist „Room on Fire“ (BMG), das zweite, heute erscheinende Album der Strokes, lange vor seiner Veröffentlichung zur „wichtigsten Platte des Jahres“ geworden. Über Monate kursierten Gerüchte, sie würden das Werk nie fertig bekommen. Nicht nur tourten sie unentwegt, obwohl ihr Repertoire nicht mehr als 15 Songs umfasste. Auch nachdem sie dem wenig bekannten Produzenten ihres bahnbrechenden Debüts den Laufpass gegeben hatten, kamen sie im Studio nicht weiter. Nigel Godrich, der Soundzauberer von Radiohead, erwies sich als Fehlgriff. Sie wollten nicht hören, erklärt Gitarrist Albert Hammond Jr., dass Godrich einen guten Sound erst in der Abmischung zusammenbasteln würde. Sie wollten diesen Sound sofort. So trennte man sich von dem Szenestar und ließ Gordon Raphael wieder ran.
Der sorgte wie beim Erstling für jenes ruppig-scheppernde Klangkostüm aus Unisono- Gitarren und umstandslos herausgeknüppelten Beckenschlägen, das nichts versteckt. Nicht das leicht angestrengte Pathos von Sänger Julian Casablancas, nicht die jugendliche Unbedarftheit. Beim ersten Hören springen einem sofort die vielen Achtelnoten ins Ohr – ein endloser Morsecode und ein bisschen dürftig, zu zahm dafür, dass sich hier die Wiedergeburt eines Lebensgefühls ausdrücken soll, dem die Welt zu klein ist. „I wanna be forgotten“, nölt Casablancas, „And I don’t wanna be reminded.“ Eben erst berühmt geworden, will der 25-jährige Sänger schon wieder in Vergessenheit geraten.
Aber immer, wenn man ihn und seine Mitstreiter doch nur für eine überschätzte Schrammelband halten will, steht plötzlich eine Melodie im Raum, eine schmale, erhabene Gitarrenlinie, auf die man nicht gefasst war. Sie taucht das ganze Stück in ein anderes Licht – und lässt die musikalische Raffinesse des Quintetts aufblitzen, dem der Ruf vorauseilt, dass seine besten Ideen nicht seine eigenen sind.
Auf Fotos sehen die „New York Boys“ wie Nachkommen der legendären East-Village- Bohème aus und klingen auch so: Television, Patti Smith und vor allem Velvet Underground sind ihre Vorbilder. Sie tragen zerschlissene Jeans und Jacken, Turnschuhe und lange Haare und küssen sich – heftig und auf den Mund als Zeichen ihrer verschworenen Loyalität.
In den Augen vieler Rock-Puristen sind die Strokes trotzdem nur eine verwöhnte Bürschchen-Band, die in der Upper East Side aufgewachsen ist und vom Familienvermögen zehrt. „Es kann keine guten Rockbands aus Manhattan geben“, lästert ein Rivale im „Spiegel“, „weil normale Menschen es sich überhaupt nicht leisten können, da zu wohnen.“ Der Vater des Sängers gründete die renommierte Model-Agentur Elite, der Vater des Gitarristen ist Albert Hammond, der mit „It Never Rains In California“ einen seiner zahlreichen Hits landete. Die beiden Söhne trafen sich als Kinder im Schweizer Edel-Internat Le Rosey bei Lausanne, in das nicht selten schwer erziehbare Sprösslinge aus reichem Hause abgeschoben werden, und sie liefen sich erneut als Teenager in Manhattan über den Weg. Da hatte Casablancas mit seinen Mitschülern Nikolai Fraiture (Bass), Fabrizio Moretti (Schlagzeug) und Nick Valensi (Gitarre), die ebenfalls wohlhabenden Verhältnissen entstammen, bereits eine Band gegründet. Er schrieb erste Songs, indem er sich Nirvana-Platten anhörte und sie zu notieren versuchte. „Ich wollte dahinterkommen, was einen Song wirklich umwerfend macht“, berichtet Casablancas einmal. „Jedesmal, wenn ich glaubte, einen Künstler verstanden zu haben, suchte ich mir einen anderen, dessen Werk ich akribisch studierte. Ich schaute mir sogar Songs an, die ich nicht leiden konnte. Denn irgendwas würden auch die mir beibringen.“
Entgegen der Legende interessierte sich lange niemand für Casablancas’ Kompositionen. Seine Kumpels und er hielten sich mit Kellner-Jobs über Wasser, arbeiteten in Frozen-Joghurt-Shops oder Plattenläden, während sie ihren Garagen-Sound kultivierten. Und sie würden es vermutlich heute noch tun, wenn nicht ein paar Dinge zusammengekommen wären vor drei Jahren. Die Britpop-Euphorie um Bands wie Blur und Oasis hatte sich verflüchtigt, immer stärker wandte sich Rockmusik theatralischen Breitwandformaten zu. Da wirkte ein Lied wie „The Modern Age“ mit seinem aufs Nötigste reduzierten Verve wie ein Weckruf. Die Strokes waren wieder ein guter Grund, an ein Dasein des ewigen Augenblicks zu glauben, an Gefühle, die keinen Aufschub vertragen und auch nicht veralbert zu werden brauchen, um in der Pop-Welt zu bestehen.
Mit „Room on Fire“ sind die Strokes sich treu geblieben. Elf energische Songs, die zusammen etwas über eine halbe Stunde beanspruchen. Wenn es – auch von ihnen selbst – den Wunsch gab, kunstvoller zu werden, dann haben sie diesem Ansinnen zum Glück widerstanden. Denn mögen ihre Songs auch nur zwei oder drei grandiose Einfälle enthalten, mitreißend sind sie.
Er vermisse das Leben, das seine Musik hervorgebracht habe, sagte Casablancas einmal. Und sein Kollege Fraiture gestand, wie schön es sei, wenn alles wieder so wie damals wäre, „als es nur uns fünf im Probenraum gab und wir an Songs arbeiteten, von denen wir glaubten, dass sie besser als die vorigen waren. Das war alles, was wir erreichen wollten.“ Pop, das ist die Kunst, nicht zu viele Ideen zu haben.
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