Kultur: Frost und Trost
Erwärmte Seelen: „Snow Cake“ mit Sigourney Weaver und Alan Rickman
Ein distinguierter Brite (Alan Rickman), gerade aus dem Gefängnis entlassen, kommt im winterlichen Hinterland Kanadas an. In einer Raststätte lernt er ein Mädchen kennen, nimmt sie als Anhalterin mit – und baut einen Unfall, der tödlich für sie endet. Weil er ein braver Mann ist, besucht er die Mutter (Sigourney Weaver), eine Autistin mit Hygienefimmel. Er freundet sich mit ihr an und quartiert sich bei ihr ein. Gleichzeitig zettelt er eine Affäre mit der Nachbarin (Carrie-Anne Moss) an, so etwas wie das leichte Mädchen der Kleinstadt. Die Beziehung zu den beiden Frauen verhilft ihm zu einem neuen Blick auf die Welt.
Ja, es soll tatsächlich Plots geben, die noch tollkühner sind. Aber, hey, wer wird denn haarspalterisch sein? Bei Marc Evans’ „Snow Cake“ ist anderes wichtig – vor allem die Schauspieler.
Als die vergangene Berlinale „Snow Cake“ in den Stand des Eröffnungsbrimboriumsfilms erhob, waren die Kritiker mit dieser Adelung nicht einverstanden – und stutzten den Film auf eine angemessene Größe zurecht. Im rezensentischen Alltagsgeschäft sieht die Sache etwas anders aus: „Snow Cake“ ist ein Film, der eine zweite Chance verdient. Das liegt vor allem an Alan Rickman. Er verleiht seiner Rolle eine Gravität, die allein durch seine ironische stiff upper lip gemildert wird. Im Zusammenspiel aus Ernst und trockenem Humor treten die Verwerfungen seiner Figur deutlich zutage. Ein Politiker würde sagen: Hier müssen verkrustete Strukturen aufgebrochen werden. Und tatsächlich – als die Winterkälte weicht, schmilzt auch sein Gefühlsfrost. Eine Botschaft, die auch in kalten Seelen ein Lichtlein leuchten lassen sollte.
Allerdings gibt es da noch Sigourney Weaver. Und die hat leider die Seiten getauscht: Sie wirft sich nicht wie sonst in den Kampf gegen die Aliens – sie spielt selber einen. Zumindest wirkt sie als „redselige Autistin“, stets mit halboffenem Mund und fuchtelnden Armen, wie ein Wesen nicht von dieser Welt. Ihr Anblick bereit das zweifelhafte Vergnügen dessen, was Psychologen als „stellvertretende Scham“ bezeichnen: Man leidet für sie. So stehen sich nun zwei Schauspieler gegenüber, deren Leistungen unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Freude an „Snow Cake“ wird daher anhand einer Frage entschieden: Lässt man sich von Sigourney Weaver davon abbringen, den Blick auf Alan Rickman zu heften – oder nicht?
Capitol, Colosseum, Cinemaxx Potsdamer Platz, Kurbel, OV im Cinestar SonyCenter, OmU Hackesche Höfe und Yorck
Julian Hanich
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