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Mit den Händen sprechen. Bernard Haitink in einer Aufnahme von 2004.
© picture alliance / AP Photo

Bernard Haitink und die Berliner Philharmoniker: Freunde fürs Leben

Vor genau 50 Jahren debütierte Bernard Haitink bei den Berliner Philharmonikern. Eine Begegnung mit dem 85-jährigen holländischen Dirigenten vor dem Berliner Jubiläumskonzert mit Werken von Bruckner und Mozart

Es war eines dieser Angebote, die man nicht ablehnen kann. Bei einem Empfang in Amsterdam, der 1962 für die gerade im Concertgebouw gastierenden Berliner Philharmoniker gegeben wurde, engagierte Philharmoniker-Intendant Wolfgang Stresemann den Holländer Bernard Haitink für drei Konzerte. Es ging zwar „nur“ darum, in der übernächsten Saison den großen Pianisten Claudio Arrau bei einem Zyklus sämtlicher Beethoven-Klavierkonzerte zu begleiten – aber wenn es um ein Debüt bei den Berliner Philharmonikern geht, feilscht man nicht ums Repertoire. Erst recht nicht, wenn man erst wenige Jahre im Job aktiv ist wie der 33-jährige Holländer.

Seine Musikerkarriere begann Bernard Haitink als Violinist, auch wenn er parallel zum Instrumentalstudium Dirigierkurse bei Ferdinand Leitner besucht hatte. Beim Niederländischen Rundfunkorchester, wo Haitink als Stimmführer der zweiten Geigen angestellt war, konnte er erste Erfahrungen mit dem Taktstock sammeln. 1956 sprang er dann kurzfristig – und todesmutig – für den erkrankten Pultstar Carlo Maria Giulini beim Concertgebouworkest ein. Mit sensationellem Erfolg. Daraufhin machte ihn erst das Rundfunkorchester zu seinem Chef und 1959 dann das Concertgebouw.

Kein Wunder, dass die Berliner den Shootingstar kennenlernen wollten. Vor genau 50 Jahren, am 12. März 1964, leitete Bernard Haitink in der frisch eingeweihten Philharmonie Beethovens „Leonore“-Ouvertüre sowie die Klavierkonzerte Nr 1. und Nr. 5. Tagesspiegel-Kritiker Werner Oehlmann, ein glühender Fan Claudio Arraus, schrieb: „Dass Bernard Haitink als begleitender Partner am Dirigentenpult dem Solisten gewachsen ist, sagt alles über seine Leistung.“ Voll Angst war der Gast aus den Niederlanden vor das Spitzenensemble getreten – und wurde zu seiner Erleichterung freundlich aufgenommen. „Was natürlich zuallererst an der Persönlichkeit von Claudio Arrau lag“, fügt Bernard Haitink sofort hinzu – und wirkt dabei überhaupt nicht aufgesetzt bescheiden.

Die Ehre, einmal bei den Berliner Philharmonikern auftreten zu dürfen, wird manchem Künstler zuteil. Den wahren Ritterschlag aber bringt erst die Wiedereinladung. Mit Bernard Haitink wollten die Musiker erneut arbeiten. Was er beim zweiten Mal dirigierte, ob er sich schon bestimmte Werke wünschen durfte, weiß er nicht mehr. „Ich erinnere mich nur, dass ich erstmals einen wirklichen Kontakt zum Orchester fühlte, als ich später für Giulini einsprang.“ Auch in Deutschland also wurde der italienische Maestro unfreiwillig zu Haitinks Karrierehelfer.

Über 150 Programme hat Bernard Haitink in den fünf Jahrzehnten dirigiert, die diese außergewöhnliche künstlerische Freundschaft nun schon besteht. Wobei Bernard Haitink die Konstante darstellt – von den Musikern, denen er 1964 begegnete, ist längst keiner mehr aktiv als Philharmoniker. „Damals saßen fast nur deutsche Musiker im Orchester. Mittlerweile ist die Zusammensetzung absolut international – und dennoch bleiben es die Berliner Philharmoniker. Weil die jungen Musiker heute so intelligent sind, dass sie sich in die Tradition einfühlen können.“ Für sein Jubiläumskonzert – das zugleich eine Nachfeier zum 85. Geburtstag des Dirigenten am 4. März ist – hat sich Bernard Haitink zwei seiner Lieblingsstücke ausgewählt: Anton Bruckners „Romantische“ sowie Mozarts „Jenamy“-Klavierkonzert, bei dem Emmanuel Ax sein Partner ist.

Hans Scharouns bahnbrechendes Konzertgebäude gefiel dem Holländer auf Anhieb. Dass die Besucher nicht nur im Rücken des Dirigenten sitzen, sondern ihm teils auch direkt ins Gesicht schauen, war Haitink schon aus Amsterdam vertraut. Bei Konzerten ohne Chor werden dort die Sitzplätze auf dem steil ansteigenden Podium nämlich auch an die Zuhörer verkauft. Den spiritus rector der Philharmonie, Herbert von Karajan, dagegen hat Haitink bei seinem Debüt 1964 nicht zu Gesicht bekommen. Und auch später entstand kein näherer Kontakt zum Chef der Berliner. „Ich war einfach zu scheu, mich ihm zu nähern. Eine verpasste Chance, die ich heute natürlich bedauere.“

Mit den Musikern dagegen klappte die Kommunikation auf dem Podium wie hinter den Kulissen reibungslos – was auch am guten Deutsch des Niederländers lag. „In der Schule war ich eigentlich ein hoffnungsloser Fall“, erinnert er sich. „Das einzige Fach, in dem ich mich anstrengte, war Deutsch. Weil ich einen tollen Lehrer hatte, der mich motivierte.“ Als Übungslektüre nahm er sich Thomas Mann vor: „1954 steht, glaube ich, im Buchdeckel meiner Ausgabe von Doktor Faustus.“

Während der Proben redet Haitink nur so viel wie nötig. Lieber lässt er die Hände sprechen. „Ich versuche immer, dass die Musik wirklich strömt und dass die Musiker den Sinn der Musik spüren“, so sein Credo. Simon Rattle, der seinen Kollegen schon in Teenagertagen bewunderte, als Haitink von 1967 bis 1979 Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra war, sagt heute über ihn: „Wenn Bernard Haitink mal wieder bei den Philharmonikern zu Gast war, spielt das Orchester noch in der Woche darauf entspannter, räumlicher und ausdrucksstärker.“

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