Neil MacGregor in Berlin: Fremdsprachen
Neil MacGregor über das Museum der Zukunft.
Nie waren Städte so international wie heute. In London, so berichtet Neil MacGregor, werden 300 verschiedene Sprachen gesprochen. Der dramatische Wandel, von dem der Direktor des British Museum erzählt, besteht nicht so sehr in der Globalisierung als solcher. Denn London war bereits um 1750 eine globale Stadt, die einzige, die regelmäßige Schiffsverbindungen in alle Welt unterhielt, von Nordamerika bis Indien. Nein, etwas anderes, Grundsätzliches wandelt sich im Zeitalter von Mobiltelefonen und Internet: „The melting pot is dead“. Nationale und ethnische Minderheiten müssen sich nicht mehr in diesem herkömmlichen, stets mit New York als Symbolstadt in Zusammenhang gebrachten Sinne integrieren. Sie können weiterhin mit ihren Landsleuten am neuen Ort, aber ebenso mit ihren Herkunftsgemeinschaften und Kulturen kommunizieren, sie bedürfen nicht der Sprache des Gastlandes, um „anzukommen“. „Die Anerkennung ihrer Identität und die Integration ohne Assimilation sind zu bedeutenden Themen der Politik geworden“, so MacGregor in der Rotunde des Alten Museums, die er in elegantem gedanklichen Bogen mit dem Vorbild des römischen Pantheons und dem Nachfolger des Round Reading Room des Britischen Museums zusammenführt.
Was bedeutet das für das Museum in einer world city wie London, wie sie als erste Stadt Venedig war und wie sie Berlin so furchtbar gerne sein möchte? Das Universalmuseum führt nicht mehr nur fremde Kulturen für eine homogene Besucherschaft vor, es wird zum Treffpunkt dieser unterschiedlichen Kulturen selbst. Im Frühjahr zeigte das British Museum eine von saudi-arabischen Institutionen reich bestückte Ausstellung zur islamischen Wallfahrt nach Mekka – und „Hunderttausende von Moslems kamen ins Museum, die zuvor nie dort gewesen waren“. Kulturen begegnen einander on equal terms, „auf Augenhöhe“.
Verschiedene Kulturen begegnen nicht nur einander, sie sind selbst Ergebnis von Vermischung. Eine westafrikanische Trommel, im Zuge des Sklavenhandels nach Nordamerika gelangt und dort von einem Indianerstamm genutzt, findet sich in London wieder, wo Hunderttausende von Nachfahren afrikanischer Sklaven in ihr ein Dokument ihrer Urheimat erkennen können, ohne dass die weiteren historischen Schichten, die sich an das Objekt angelagert haben, ausgespart würden. Es gibt kein Monopol für die Interpretation von Objekten und damit von Geschichte, sondern einzig unterschiedliche Perspektiven, Erzählungen, Narrative, wie das auf Neudeutsch heißt. Und der Ort, an dem diese Narrative aufeinander stoßen, ist die globale Stadt. Ihren Erzählungen gibt das Museum ein Forum – und sei es, in Berlin, ein künftiges Humboldt-Forum. Bernhard Schulz
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