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Durchblicker. Die Türen Maurice Summen, Chris Imler, Andreas Spechtl, Michael Mühlhaus und Ramin Bijan (v. l.) lassen sich beim Texten von Zeitungsartikeln inspirieren.
© Knut Claßen

Türen-Album "ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ": Freizeit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Pop aus der Wortspielhölle: Auf ihrem vierten Album taumeln Die Türen zwischen Dada, Gaga und Genialität.

„Woooahhh!“ Ein Kleinkind brüllt mit voller Stimmkraft durch das Café Küçük Kanarya in Prenzlauer Berg. Maurice Summen muss lachen, denn der Auftritt des Schreihalses passt perfekt zu dem, was der Sänger und Vater einer Tochter gerade erklärt: „Wenn die Kleine schreit, sind dir Fragen wie ’Ist die arabische Revolution eine islamische Revolution?’ vollkommen egal. Du willst einfach nur, dass das Geschrei aufhört.“

Gesellschaftskritik, Engagement, Widerstand – all das ist mit Familie schwierig. Trotzdem sind dem 37-Jährigen diese Themen weiterhin wichtig. Er kann sie nur nicht mehr so angehen, wie noch 2007, als Die Türen ihr Album „Popo“ veröffentlichen. Darauf vermischten sie Agit-Prop-Pop, NDW-Sounds, Funk und Soul mit witzigen Texten aus Prekariatsperspektive. Das Cover war gestaltet wie eine Aldi-Tüte, und die CD sah aus wie eine Discounter-Wurstscheibe. Inzwischen kauft Summen im Biomarkt ein und führt Diskussionen über Privatschulen. Dazu kommt, dass er als Chef des Türen-Labels Staatsakt, das zuletzt mit Bands wie Bonaparte und Ja, Panik erfolgreich war, in die Position eines „Bürohengstes“ (Summen) hineinwuchs.

Das Befremden, sich plötzlich in der Bürgerlichkeit und im Kulturestablishment wiederzufinden, ist dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Sänger deutlich anzumerken, und er spart auch nicht mit Selbstkritik: „Wir sind als Revolutionäre gescheitert“, sagt er. „Wobei wir da stellvertretend für unsere ganze Generation sprechen.“ Inzwischen seien fast alle seine alten Weggefährten – selbst die punkigsten – an den „Schalthebeln der Gesellschaft“ angekommen. „Wir sind alle auf den schnöden Mammon hereingefallen. Wahrscheinlich aus Angst, aber auch weil der gesamtgesellschaftliche Kontext so komplex und undurchdringlich ist.“

Diese Entwicklung spiegelt sich auch auf dem vierten, am Freitag erscheinenden Album der Türen, dessen Sound ernster und härter ist als der des Vorgängers. Das hämmernde Klavier von Ex-Blumfeld-Keyboarder Michael Mühlhaus gibt den gnadenlosen Herzschlag vor. Die Platte startet mit einem elfminütigen Monstersong namens „Rentner & Studenten“, der sich aus einem post-punkigen Beginn zu einer Krautrock-Abfahrt im Stil von Neu! entwickelt. Zwischendurch skandiert ein Chor immer wieder den Titel des Stückes, zu dem die Band auch ein leicht nihilistisches Video gedreht hat. Auf einer Demo durch Prenzlauer Berg halten die Teilnehmer weiße Banner und Plakate hoch. Ab und zu rufen sie „Rentner und Studenten“. Ihre Forderungen verraten sie einer Reporterin: „Mehr Freizeit!“, „Das Wochenende muss bis freitags reichen.“

Never mind die Mensch-Maschine

Ausgangspunkt des Stückes war die Frage: Was beneiden wir am meisten?, erzählt Summen. Zusammen mit Bassist Ramin Bijan und Gitarrist Gunther Osburg kam er schnell auf die Antwort: freie Zeit. Rentner und Studenten sind in dieser Hinsicht privilegiert. Und so dichteten die drei einen ihrer typischen Texte, die zwischen Dada, Gaga und Genialität umhertaumeln. Die Wortspielhölle ist nie weit bei Zeilen wie „Wissen ist Macht kaputt was Euch kaputt macht“, doch im nächsten Moment kommen sie dann gleich wieder mit einem derart charmanten Pop-Schlaumeiertum um die Ecke, dass man ihnen Glückwunschtelegramme schicken möchte. Im Refrain von „Don’t Google Yourself“ singen sie zum Beispiel: „Never mind die Mensch-Maschine/Hier kommt die Such-Maschine/Sie kennt den Unterschied/Der den Unterschied macht/ Sie erfindet sich selbst/But don’t google yourself!“

Meistens wirken die Texte extrem sprunghaft, assoziativ und parolenartig. Summen nennt sie einen „Sprachmix aus Werbesprech, Internetpostings und Zeitungsfeuilletons“. Durch Cut-up-Techniken erhöhen die Türen den Abstraktionsgrad ihrer Lyrics, „denn wir wollen zeigen, wie schwer es momentan ist, etwas auf den Punkt zu bringen“. Damit bewegen sie sich in eine ähnliche Richtung wie die Diskurspop-Kollegen von Tocotronic, die sich auf ihrem letzten Album „Schall & Wahn“ (2010) auf die Position zurückzogen, „im Zweifel für den Zweifel, das Zaudern und den Zorn“ zu sein. Ausdruck von Zweifel, Ratlosigkeit und Verweigerung ist auch der Titel der Türen-Platte: „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“. Die Fans sollen sich selber einen Namen basteln, wofür dem Album Klebebuchstaben beigelegt sind. Das Artwork kann mit schwarz-weißen Klebebildchen gestaltet werden. Es gibt einen Sarg, Brüste, ein Kreuz, ein Peacezeichen auf Beinen, eine Diskokugel... Damit sagen Die Türen, die es seit zehn Jahren gibt: Leute, jetzt macht ihr mal. „Dieses Lied braucht dich!“, singt Maurice Summen denn auch in „Dieses Lied“.

Humor ist nach wie vor wichtig für die Berliner Band. Das zeigen nicht nur die Texte, sondern auch der offensive Saxofon-Einsatz, die Blumfeld-hafte Anmutung von „Aus der Mitte entspringt ein Hit“ oder der Idee, „Alles nicht so schlimm“ mittels einer Geige in eine Christus-Pop-artige Fröhlichkeitshölle zu verwandeln. Manchmal mischt sich in die Ironie Ernstgemeintes. So lautet der in euphorischer Power-Pop-Manier vorgetragene Refrain von „Pop ist tot“: „Hey, Hey, Hey! Hip-Hop wird niemals sterben/So wie Rock’n’Roll/Und der Geist von Ton Steine Scherben“. Im Gespräch betont Summen, wie viel ihm Hip-Hop und Rock’n’Roll bedeuten, und dass er seine Band zwischen den beiden Genres verortet. Von der Selbsterneuerungskraft des Hip-Hop ist er zutiefst überzeugt.

Auch Die Türen haben sich für das neue Album ein Stück weit neu erfunden. Am Schlagzeug sitzt jetzt Chris Imler (Driver & Driver, Ex-„Golden Showers“, Jens- Friebe-Band). Die Gitarre spielte Ja, Panik-Frontmann Andreas Spechtl, der kurzfristig für Gunther Osburg einsprang. Dem hatte eine Werbeagentur eine Festanstellung angeboten, was der alleinerziehende Vater nicht ausschlagen konnte. Sollten Die Türen ein weiteres Album schreiben, wäre er auf jeden Fall wieder dabei, sagt Summen. Schließlich machen er, Osburg und Bijan seit ihren münsterländischen Schülertagen gemeinsam Musik. Das lassen sie sich von der Leistungsgesellschaft nicht kaputtmachen.

„ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“ erscheint am 10.2. bei Staatsakt. Konzert: 13.4. Festsaal Kreuzberg

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