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Soll den Rundfunkchor neue Impulse geben: Gijs Leenaars
© Hans van der Woerd

Rundfunkchor Berlin: Jubiläums-Konzert: Freiheit in Oberschöneweide

Im ausverkauften Funkhaus Nalepastraße feiert der Rundfunkchor sein Jubiläum. Der mit „Liberté“ betitelte Abend besticht durch glänzende Akustik und einem atmosphärischen Aufführungsort.

Sein 90. Gründungsjubiläum feiert der Rundfunkchor Berlin im Funkhaus an der Nalepastraße. Seine halbe Existenz lang hatten die Profisänger hier ihre Heimat, zusammen mit vier weiteren Ensembles, die im DDR-Radio für die Musik zuständig waren. Über 3000 Menschen arbeiteten einst in Oberschöneweide, heute ist das Gelände am Spreeufer halb Ruinenlandschaft, halb Abenteuerspielplatz für Medien-Start-ups. Aus dem wuchernden Grün ragt intakt nur der Komplex mit den Sendesälen heraus, entworfen Anfang der 50er Jahre von Franz Ehrlich in einer Mischung aus Bauhaus-Verehrung und sowjetischem Nachkriegsklassizismus.

Auf halber Treppe zur Etage der Aufnahmestudios nimmt das Schnitzler Quartett Platz, um Schostakowitschs Opus 110 zu spielen. Das samstägliche Event ist restlos ausverkauft, gedrängt lauscht das Publikum, nur wer nahe genug steht, kann auch den von Jochen Sandig und Hans-Werner Kroesinger animierten Bewegungschor sehen. Im fünften Quartettsatz schreiten einige Chormitglieder die Stufen herab, bahnen sich – stumm, die Augen auf ein Fernziel gerichtet – den Weg durch die Menge. Kunstwille durchbricht Mauern: ein starkes Symbolbild für die deutsche Einheit, die dem Rundfunkchor eine Rückkehr in sein Stammhaus bescherte, den RBB-Bau an der Masurenallee.

Der Monstersound der „Touring Organ“

Im kleinen Sendesaal geht die Stehparty weiter, unter Simon Halseys Leitung singen sechs Chorsolistinnen eine Passage aus Christan Josts „Angst“, bevor rätselhafte Klänge in den großen Sendesaal hinüberlocken. Cameron Carpenter sitzt dort an seiner „Touring Organ“, einem Meisterwerk der Elektronik, das gesampelte Töne aus den besten Instrumenten der Welt in einem uferlosen Monstersound wiedergeben kann. Olivier Messiaens „Dieu parmi nous“ wird schier erdrückt unter Carpenters virtuoser Klangwucht, in Francis Poulencs „Stabat mater“ aber weiß sich der Exzentriker zurückzunehmen, umspielt die Solistin Iwona Sobotka und den Rundfunkchor mit farbenreichen, fantasievoll registrierten Klängen.

Meditation mit einer Nationalhymnen-Kompilation

40 Minuten dauert der Abbau der Wunderorgel, draußen ist es frisch geworden, in naher Ferne leuchtet die Rummelsburger Bucht im Abendsonnenschein. Wer sich anschließend von David Langs „the national anthems“ Wiedererkennungsfreuden erwartet hatte, wird enttäuscht: Der Komponist hat lediglich die Texte der Nationalhymnen aller in der UN vertretenden Länder kompiliert. Melodisch taugen seine bewusst simplen Sprechgesangrepetitionen allenfalls zur melancholischen Meditation. Wie raffiniert klingt dagegen die Schlichtheit in Poulencs „Figure humaine“! Mit Ernst Peppings „Im Anfang war das Wort“ endet der „Liberté“ betitelte Abend. Mit einem Gebet an diesem weltlichen Ort, diese Freiheit nimmt sich Gijs Leenaars, der neue Chefdirigent, dann doch. Also einmal noch die perfekte Akustik genießen – und den vollen, dichten, leuchtenden Klang dieser wunderbaren Sängertruppe.

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