zum Hauptinhalt
Theatertier. Carmen-Maja Antoni ist seit 1976 am BE.
© Doris Spiekermann-Klaas

Schauspielerin Carmen-Maja Antoni: Frech sei der Mensch, kräftig und zäh

Carmen-Maja Antoni lässt sich vom Berliner Ensemble nicht wegdenken. Zu Besuch bei einer Schauspielerin mit sehr eigener Biografie.

Sie ist ihre eigene Fototapete. Die Schnappschüsse, die Szenenfotos, in Schwarz-Weiß, in Bunt, in Ernst, in Lachend, in Konzentriert, in Exaltiert, das sind alles ihre Rollen da über dem Bett. Mehrere hundert hat sie gespielt, sagt sie. Nur ein Privatfoto sei darunter, sagt sie. „Das da rechts mit Heiner Müller am 50. Geburtstag.“ Freudig bewegt sieht sie darauf aus. Auf dem Foto einen Meter weiter links ist ihr Blick fordernd und von kühlem Selbstbewusstsein erfüllt. So viele Gesichter und doch nur ein Gesicht: das von Carmen-Maja Antoni. Der Clownsfrau, Kumpelfrau, der Immeralten, Immerkindlichen, der „Ost-Masina“, wie sie einst genannt wurde.

Carmen-Maja Antoni ist fast 60 Jahre im Geschäft. Sie war ein Schauspielstar der DDR, schon mit zehn Jahren im Kinderfernsehen wie später auf der Bühne, und ist heute viel beschäftigte Fernseh- und Filmschauspielerin und Heroine ihrer Hausbühne, des Berliner Ensembles. Da reisen Menschen extra von auswärts an, um sie als Mutter Courage zu sehen. Vor zwei Tagen erst war Jubiläum: Die Antoni hat Brechts Courage zum 150. Mal gespielt. In der Inszenierung von 2005, die Claus Peymann ihr gewissermaßen zum 60. Geburtstag bescherte, wie sie in ihrer von Theaterleben und Temperament nur so strotzenden Biografie „Im Leben gibt es keine Proben“ (Das Neue Berlin) erzählt.

Hier in ihrer Altbauwohnung an der Schönhauser Allee vor Bildern, vor Büchern, in ihrem Leben zu stehen, das hat gedauert. Das erste Telefonat ist bestimmt schon ein Dreivierteljahr her. Da war Antonis, zusammen mit der Journalistin Brigitte Biermann verfasstes Buch neu erschienen. Da hatte die Schauspielerin im „Zeit-Magazin“ ihre mit Kritik am autoritären Stil von Intendant Peymann verbundene Kündigung beim Berliner Ensemble öffentlich gemacht. Da rauschte der Blätterwald. Und da machten es Dreharbeiten, Urlaub, die Hochzeit des Sohnes und der Unwille, dieselbe Geschichte wieder und wieder zu erzählen unmöglich, mit Carmen-Maja Antoni zu reden.

Jetzt geht es wieder. In der Küche zieht der Tee, die letzten Weihnachtsplätzchen ruhen mürb in einer Blechdose. Carmen-Maja Antoni ist jetzt 69 Jahre alt und hat zum ersten Mal im Leben Zeit. „Ich habe keine Proben mehr. Ich kann meinen Tag selbst gestalten.“ Sie strahlt. Das gab es seit 1976 nicht mehr, als die Absolventin der Potsdamer Film- und Fernsehhochschule „Konrad Wolf“ nach Stationen am dortigen Hans-Otto-Theater und der Berliner Volksbühne fest am Berliner Ensemble angefangen hatte.

„Die Leute denken immer, dass dieser Beruf Sonnigkeit besitzt“, sagt sie mit streng tönender Theaterstimme. „Das stimmt nicht, er besitzt Schwere.“ Das gilt auch für eingeführte Bühnengrößen. „Ich bin ein Zugpferd, und die werden am Theater gepeitscht, nicht gestreichelt.“ Auch ein Grund, warum sie es genießt, seit der laufenden Spielzeit nur noch Gast ihres Stammhauses zu sein – mit fünf bis sieben Vorstellungen pro Monat. Vorher waren es 20. Diese Tretmühle mache mit den Jahren atemlos und dünnhäutig, sagt Antoni. „Und ich mag Zerbrechlichkeit bei der Arbeit nicht sehr. Da will ich kräftig, großartig, ganz da sein.“ Darum habe sie eine Pause gebraucht. Von den ewigen Pflichten, vom Herumkommandiert werden, von Claus Peymann, dem sie andererseits dankbar für ihre Hauptrollen ist.

Wie das Verhältnis jetzt ist? „Okay“, sagt Antoni. „Ich bin zwar direkt und frech, aber nicht nachtragend.“ Er sei ein genialer Theaterberserker und dafür zu bewundern, dass er das BE in den schwarzen Zahlen halte, aber mit ihm zu arbeiten sei anstrengend. Als „letzten großen Theatermann“ bezeichnet sie in ihrer Biografie denn auch nicht ihre anderen Regisseure wie Heiner Müller, Peter Zadek oder George Tabori, sondern Benno Besson, den Lehrer ihrer Volksbühnen-Zeit. Der sei für ihre Entwicklung neben Schwergewichten wie Rolf Ludwig, Hilmar Thate oder Armin Müller-Stahl entscheidend gewesen. „Der hat einfach gesagt: ,Du willst singen? Los, sing!‘ Seitdem hat sie Liederabende im Repertoire. „Besson hat mich gelehrt, mein Wesen mit Frechheit auf die Bühne zu packen.“

Ihr Wesen, Antonis Eigenart. Die Zähe in der Schüchternheit, die Größe in der Kleine, die Komik im Kummer. Woher das im Berliner Nachkriegschaos hungernd und klauend aufgewachsene Künstlerkind seinen Biss und seine Spiellust hat, wird in der diskreten, mit einem respektvollen Vorwort ihres Freundes aus Volksbühnen-Zeiten Christoph Hein eingeführten Biografie immerhin in Teilen klar. Wundersam unerklärt bleibt dagegen die Gelassenheit, mit der sie ihr gängigen Frauenidealen widersprechendes Äußeres akzeptiert. Antoni lächelt milde. „Das war ein Segen für mich, so konnte ich in Ruhe Schauspielerin sein.“ Außerdem sei Anderssein immer ein gutes Prädikat. Allerdings eins, dass nichts leichter macht: „Schönheit gibt Leichtfüßigkeit, ich musste auf schweren Sohlen laufen."

Und einen schweren Wagen ziehen: den Planwagen der Mutter Courage nämlich. 300 Kilo wiegt das auf der schiefen Bühnenebene schwer regierbare Ding, was ihr einen zerrissenen Meniskus und einen Bandscheibenvorfall bescherte. „Wenn ich die Courage noch mit 70 spielen soll, brauche ich allmählich lebenserleichternde Maßnahmen“, grinst sie. Trotzdem zweifelt Antoni nicht, dass die Courage ihre Lebensrolle ist. Auch wenn sie die Zuschreibung „Brecht-Schauspielerin“ wegen der darin steckenden Gefahr in einer Ausschließlichkeitsschublade zu landen, zuerst gar nicht mochte.

Die Kriegsmarketenderin, die Kriegsmutter ist ihr trotz unzähliger Bühnenrollen, trotz „Rosa Roth“ mit ihrer Freundin Iris Berben, trotz der Strittmatter-Verfilmung „Der Laden“, trotz den „Krause“-Filmen oder Kinofilmen wie „Der Vorleser“ oder „Das weiße Band“ ans Herz gewachsen. Warum? „Die Courage ist über die Jahre einfach eine tolle Tante geworden. Eine Frau, die sich durchbeißt, wie es sie in jedem Krieg gibt. Der Text ist in mir und durch mich gewachsen, das ist eine tiefe, wichtige Arbeit geworden.“ Sie habe ja noch Helene Weigel gekannt, erzählt Antoni. „Früher war das ihre Courage, aber jetzt ist es meine.“ Das spüren die Leute, deswegen jubeln sie der kleinen Frau mit dem schweren Gang nach der Vorstellung im Stehen zu. Ohne Proben leben, keine neue Produktion annehmen, das will Carmen-Maja Antoni in dieser Spielzeit durchhalten. Angebote für danach sammelt sie schon. „Es gibt noch alte Schachteln, die ich nicht gespielt habe. Da bin ich ganz offen.“

Lesungen: Berliner Ensemble, 3.2., 20 Uhr; Egon-Erwin-Kisch-Bibliothek, Frankfurter Allee 149, Lichtenberg, 6.2., 19 Uhr

Zur Startseite