Christof Loy mit Janaceks „Jenufa“: Frauenfrage, Frauenklage
Christof Loy debütiert mit Janaceks „Jenufa“ an der Deutschen Oper.
Auch wenn das Elterngeld zur Gleichberechtigung von Müttern und Vätern wenig beiträgt, das Ehegattensplitting weitere Ungerechtigkeiten schafft und Familien ohne Kitaplatzbedarf demnächst mit einem Betreuungsbonus belohnt werden sollen: Wir Frauen haben viel erreicht. Wir dürfen arbeiten, was wir wollen, wir dürfen lieben, wen wir wollen, wir dürfen in schöner Regelmäßigkeit über Führungskräftequoten diskutieren, und keiner fragt mehr, ob der Lebensentwurf X oder Y mit den heiligen weiblichen Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist oder nicht.
Selbst die gute alte Oper profitiert inzwischen von diesem sich verändernden Bild. Zwar werden ihre Libretti und Partituren bleiben, was sie sind, nämlich zu 99 Prozent von Männern ersonnen. Regisseurinnen aber gibt es einige wichtige, und ihr Blick auf die vielen verlassenen Mägdelein, die Hexen, Wasserleichen und fatalen Damen des Repertoires spiegelt nicht nur den besagten gesellschaftlichen Umschwung, sondern hat auch die Wahrnehmung etlicher männlicher Kollegen geschärft. Prompt drängen die Agathen, Elsas, Aidas, Maries, Manons und Melisanden der vergangenen Jahrzehnte mit Macht aus ihren Opferrollen. Die Musik als subversivste aller Künste haben sie ohnehin meist auf ihrer Seite.
Wenn Christof Loy, 49, in seinem Berlin-Debüt mit Janaceks „Jenufa“ nun von all dem nichts wissen will, dann kann das zweierlei bedeuten: Entweder er und sein Team (Dirk Becker für die Bühne, Judith Weihrauch für die Kostüme) sind in einer Weise zeitfühlig und sensorisch begabt, dass sie – apropos Elterngeld oder Ehegattensplitting – die anstehende Rolle rückwärts in Geschlechterfragen hiermit auf den Punkt bringen. Dann stellte diese Inszenierung eine bittere Diagnose. Seht her, bald wird das Frauenheil à la Jenufa wieder darin bestehen, sich lieber nicht unehelich schwängern zu lassen oder, wenn doch, möglichst unter die nächste Haube zu schlüpfen – und falls beides nicht gelingt, dann gibt es sicher irgendwo eine böse Stiefmutter, die den sündigen Balg geräuschlos um die Ecke bringt. Solch praktische Frauensolidarität existierte bereits Ende des 19. Jahrhunderts, wie Gabriela Preissovas 1890 in Prag uraufgeführtes Schauspiel „Ihre Stieftochter“ zeigt, auf das Janaceks Oper 1904 zurückgreift.
Am Bitteren aber ist diese „Jenufa“ wenig interessiert. Mehr an schönen Bildern wie aus dem mährischen Heimatkundemuseum; und an einer Personenregie, die behauptet, es ginge in der Oper mindestens so realistisch zu wie im Fernsehen.
Deshalb die zweite Möglichkeit: Loy und sein Team huldigen an der Deutschen Oper einem Werktreuebegriff, der sich alle Legitimationsfragen fein vom Leib hält. Warum das Manische in Janaceks Musik sichtbar machen, wenn es als abstrakte Lösung durchgeht, das Ganze vor wechselnder Landschaftstapete in einer Art white cube zu spielen, einer cinemaskopbreiten Kate mit Tisch und Stuhl, Marienkerze und Schneegestöber? Warum die Brutalität des Geschehens als brutal zeigen, wenn es genügt, dass die Küsterin, Jenufas Stiefmutter, zum Kindsmord mal kurz mit dicker Tasche die Bühne verlässt? Und warum die Dorfgemeinschaft als verlogen entlarven, wenn es so viel netter ist, die Frauen in Blümchenkleider zu stecken und die Männer in Hosenträger?
Wohlgemerkt, es geht nicht darum, sein Heil im üblichen Ekeltheater zu suchen und Säuglingsleichen an die Wand zu werfen. Es geht um die Frage, was uns diese musikalisch-soziale Milieustudie nach über 100 Jahren noch zu sagen hat. Am Ende ist im Text viel vom „Erlöser“ die Rede, und Loy lässt Jenufa im Fromme-Helene-Kostüm an der Hand des braven Laca (der sich der Gefallenen angenommen hat) ins Schwarze gehen, ins Nichts. Schwächer kann eine Aufforderung zum Nachdenken übers Hier und Jetzt und Morgen kaum ausfallen.
Besetzt ist diese bejubelte Premiere famos: Hanna Schwarz gibt die alte Buryja mit teeriger Schwärze im Alt, Joseph Kaiser als Kindsvater Steva kann nicht nur toll tanzen, sondern sich auch glaubhaft selbst zerfleischen, Will Hartmann wird die geschmeidigeren Töne des Laca gewiss noch für sich entdecken, und Nadine Secunde und Martina Welschenbach bilden als Bürgermeistersgattin und -töchterlein ein revuereifes Gespann.Jennifer Larmore lauscht der Küsterin erstaunlich lyrische, kantable Facetten ab und verzichtet – von der Regie gleichwohl zur Gevatterin Tod stilisiert – auf alles übliche Furienpathos, bleibt deswegen aber auch etwas blass. Ihr steht eine Jenufa von geradezu aufreizender Naivität und Gutherzigkeit zur Seite. Michaela Kaune setzt das stimmlich hoch respektabel um, mit winzigen Schärfen nur; darstellerisch jedoch wünschte man sich von ihr mehr als flehende Blicke und ringende Hände.
Auch Donald Runnicles am Pult des Orchesters der Deutschen Oper bleibt bei allem Engagement einiges schuldig: differenziertere Farben, weniger Dauerforte, mehr Seelentimbre. Wie sagt Jenufa im zweiten Akt? „Ich habe mir das Leben so anders vorgestellt.“ Das bleibt auch nach diesem Abend ihr und unser gutes Recht.
Wieder am 8., 10. und 16. März
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