Huppert, Binoche, Deneuve: Frankreichs Diven zieht es nach Berlin
Nach Isabelle Huppert und Juliette Binoche kommt nun Catherine Deneuve mit „Elle s’en va“ auf die Berlinale. Eine Hommage an ein famoses Trio.
Drei französische Diven präsentiert der Berlinale-Wettbewerb in diesem Jahr: Isabelle Huppert, Juliette Binoche und Catherine Deneuve. Sie sind die bekanntesten Schauspielerinnen des französischen Gegenwartskinos, sie haben als Teenager ihre Karrieren begonnen und mit großen Regisseuren auch außerhalb Frankreichs gedreht. Und sie sind trotzdem keine Konkurrentinnen, zu verschieden ihre Rollenfächer – Ausnahmen bestätigen die Regel.
Huppert als Nonne in „La Religieuse“, Binoche als in die psychiatrische Anstalt weggesperrte Camille Claudel im Jahr 1915, sie trauen sich was: ob nun in der Rolle der Äbtissin, die ihren Novizinnen etwas zu sehr zugetan ist oder in Gestalt der verzweifelten, ihrerseits von Nonnen versorgten Paranoia-Patientin. Und Deneuve wird in „Elle s’en va“ kaum glamouröser als bretonische Gastwirtin auftreten.
Drei ungewöhnliche Auftritte, ist das Trio doch eigentlich im Fach der eleganten Bourgeoisie zu Hause, wie sie im französischen Film noch in Reinform zu erleben ist. Deneuve mit ihrem üppig-luftigen goldblonden Haar, das sie sich dekorativ hochsteckt, gibt zum Beispiel die repräsentative Trophäe für einen reichen Gatten. Eine Rolle, die sie in „Das Schmuckstück“ (2010) ironisch unterläuft, denn sie ist stärker und gewitzter, als alle Welt denkt – am Ende leitet sie die Regenschirmfabrik ihres Mannes. Huppert, nur scheinbar zerbrechlich in ihrer durchscheinenden Blässe, spielt oft kalte Karrieristinnen wie in „Mein liebster Alptraum“ (2011) oder Neurotikerinnen, die sich und andere in den Wahnsinn stürzen. Binoche schließlich verkörpert mal die strahlende, mal die melancholische Verführerin, die sich entzieht und wieder auftaucht, geheimnisvoll, verletzlich, zuletzt in „Die Liebesfälscher“ (2010).
Sie sind in drei verschiedenen Dekaden geboren: Deneuve wird in diesem Jahr 70, Huppert 60 Jahre alt und Binoche, das Küken unter ihnen, auch schon 49. Interessanterweise hat keine von ihnen um den 40. Geburtstag herum einen Karriereknick erlebt wie ihn ihre Kolleginnen nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande immer noch beklagen. Das mag mit der höheren Wertschätzung, die die Franzosen dem Film im Allgemeinen entgegenbringen, zusammenhängen, mit der Liebe des Publikums zu seinen Diven und natürlich damit, dass in Frankreich nach wie vor sehr viel mehr Filme produziert werden als in jedem anderen europäischen Land.
Isabelle Huppert stand 1972 zum ersten Mal vor der Kamera und spielte von da an in drei bis vier Filmen pro Jahr. Trotz aller Zartheit strahlte sie aus, was die siebziger Jahre von jungen Frauen erwarteten: Intensität und Renitenz, die Männer wunderbar ergründen, respektive brechen konnten. 1977 stieg Huppert mit „Die Spitzenklöpplerin“ zum europäischen Star auf. Die Liebesgeschichte zwischen der Friseuse und einem Intellektuellen, die an sozialen Unterschieden scheitert, passte in den kulturellen Diskurs der Dekade. Und Huppert, deren Figur am Ende in der Psychiatrie landet, spielte die Rolle, die sie später immer wieder variiert hat – eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Häufig hat Huppert mit Claude Chabrol zusammengearbeitet, in historischen Dramen wie „Eine Frauensache“ (1988) als Engelmacherin im besetzten Frankreich oder zuletzt 2006 im Politthriller „Geheime Staatsaffären“, in dem sie eine unerbittliche Staatsanwältin gibt. Auch Michael Haneke hat ihr Potenzial richtig erfasst und stachelt sie zu Höchstleistungen an. Hupperts Porträt einer sexuell frustrierten Piano-Pädagogin in „Die Klavierspielerin“ gehört in all seiner abgründigen Schrecklichkeit zu den eindrücklichsten Frauendarstellungen der jüngeren Filmgeschichte. In über 100 Filmen hat Huppert bis heute gespielt, für dieses Jahr sind vier weitere Filme mit ihr angekündigt.
Als Gast in Berlin betont sie, dass sie sich von ihren Figuren gern überraschen lässt, auch von der lesbischen Äbtissin in „La Religieuse“: „Mein Charakter ist so unschuldig und unverantwortlich wie ich als Schauspielerin gegenüber diesem Stoff. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht wirklich, wie ich diese Figur darstellen soll.“ Dieses Gefühl des Überraschtseins will sie sich bei ihrer Arbeit erhalten.
Auch Juliette Binoche hat mit Haneke gedreht. In „Code – unbekannt“ (2000) wird sie, hilflos und verletzlich, in einer Metro-Szene von Jugendlichen bedrängt, und in „Caché“ (2005) ist sie die Frau an der Seite eines von Daniel Auteuil dargestellten Gatten, den seine Vergangenheit einholt. Oft drehen sich ihre Filme um Männerfiguren – wie in der Milan-Kundera-Adaption „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, mit der 1988 ihre internationale Karriere begann. Binoches großflächiges Gesicht strahlt Unschuld und Verletzlichkeit aus, darauf verließ sich auch Leos Carax, als er sie 1991 neben dem vernarbten Denis Lavant in „Die Liebenden vom Pont-Neuf“ besetzte.
Da rührt Binoche als langsam erblindende, obdachlose Malerin noch die härtesten Herzen, und immer wieder wird seither dieses Opfertum von ihr gefordert. Für Bruno Dumonts minimalistisches Porträt der zu Unrecht in die Psychiatrie abgeschobenen Camille Claudel war sie deshalb die Idealbesetzung. „Der Regisseur wollte, dass ich improvisiere“, sagt sie in Berlin. „Und die Kunst ist wirklich, nicht zu spielen, sondern einfach zu sein.“ Sie zeigt sich in einem strahlend roten Hosenanzug und vollführt Freudensprünge für die Fotografen. Pure Lebenslust. Binoche, die Berührbare.
Wenn die drei Diven im gleichen Märchen spielten, dann wäre Isabelle Huppert eine Hexe und Binoche vielleicht eine Fee. Catherine Deneuve aber herrschte als gütige Herrscherin über ein Reich, in dem fröhlich gelebt und geliebt und wenig gelitten würde. Deneuve, die mit 14 zum ersten Mal vor der Kamera stand, behauptet sich seit fünf Jahrzehnten mit gleichbleibendem Erfolg auf der Leinwand. Mit „Elle s’en va“, der ihr auf den Leib geschrieben wurde, fügt sie ihrer Serie starker Frauenporträts nun ein weiteres hinzu.
Mit den Jahren ist ihr Körper massiver, ihr Gesicht runder, ihr Habitus statuarischer geworden, ohne dass sie dabei an Eleganz und Präsenz eingebüßt hätte. Fürs physische Spiel stand sie sowieso nie, auch wenn sie 1965 in Roman Polanskis „Ekel“ eine Bulimikerin gab. Selten hat man Deneuve so derangiert gesehen, auch selten nackt. Man sieht dagegen Fragmente ihres Körpers: entblößte Schultern und Oberarme, eine Wade, ein Stück Oberschenkel, das über einem am Mieder befestigten Strumpf hervorblitzt. Dass sie ihren Körper nie zur Schau stellte und somit nicht zuließ, dass man ihr beim Altern zusieht, mag mit dazu beitragen, dass sie auch mit 70 Jahren noch unverbraucht wirkt. „Elle s’en va“ wird dem Wettbewerb späten Glanz verleihen.