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Patti Smith in Berlin.
© DAVIDS

Patti Smith in Berlin: Frag die Engel, was hier los ist

Rocken statt reden: Patti Smith und ihre Band legen einen starken Auftritt in der Zitadelle Spandau hin, bei dem ihre frühen Songs im Vordergrund stehen. "Land" bekommt ein paar neue Zeilen - für die Protestler von Istanbul bis Kairo und für Edward Snowden.

Die erste Strophe ist noch ganz die alte. Johnny und ein anderer Junge treffen sich im Schulflur. Ein glasscherbenscharfer E-Gitarren-Akkord zuckt durch den Hof der Zitadelle Spandau, beschwört eine unheilvolle Atmosphäre herauf. Und dann hört Johnny plötzlich den Rhythmus seiner Zeit, ist verbunden mit den Menschen in Kairo und Istanbul. Die „horses, horses, horses“ kommen mit voller Bandpower hereingaloppiert, und Patti Smith treibt sie weiter in eine neue Richtung.

Denn Johnny träumt nun von Edward Snowden, der uns die Augen geöffnet hat, der Asyl sucht. „They don’t want you/But we are here/ Thinking of you“, singt Patti Smith in dieser topaktuell umgedichteten Fassung ihres 1975 geschriebenen Songs „Land“. Die neuen Zeilen fügen sich organisch in das etwas abgekürzte Stück, das sich schließlich elegant in „Gloria“ verwandelt. Es ist der Höhepunkt dieses Sommerabends, an dem auch sonst alles auf eine wunderbare Weise zusammenpasst.

Neigte Patti Smith früher gelegentlich zum Bühnenpredigerinnentum, beschränkt sie sich diesmal auf kurze Einwürfe („Trinkt zu Hause viel Wasser“, „Benutzt eure Stimme“). Nicht einmal mit einer Gratulation für den Konzertveranstalter Berthold Seliger hält sie sich auf, der mit dem kleinen Festival – zuvor spielten Depedro, Bratsch und Calexico – sein 25. Jubiläum feiert. Sie singt heute lieber und packt ihre Botschaften in die Songs. Genügend Auswahl hat sie ja.

„Ask The Angels“ macht den Auftakt und führt mit kurzen Schreien mitten ins Schlachtgetümmel. Armageddon ist nah. „And Rock and Roll is what I’m born to be“, skandiert die 66-jährige Sängerin. Tatsächlich geht es in der ersten halben Stunde überwiegend rockig zu. Die „Summer Cannibals“ rufen ihr finsteres „Eat eat“ in die Runde und zu Eddie Cochrans „Summertime Blues“ zeigt Smith klassisches Rock-Posing mit dem Lederstiefel auf der Monitorbox. „Banga“, der Titel ihres letzten, 2012 erschienenen Werks, ziert zwar in großen Lettern die Bassdrum, doch bis auf das gleichnamig Stück und das muntere „April Fool“ ignoriert Smith diese Platte. Die Songs ihrer ersten drei Alben dominieren das 80-minütige konzentrierte Set.

Patti Smith' Stimme ist immer noch kraftvoll

Mit ihren zerbeulten Jeans, dem schwarzen Sakko und dem zerwuschelten Grau- Haar sieht die Sängerin genau so aus, wie man sich eine Eminenz des kreativen Undergrounds von New York vorstellt. In ihrem preisgekrönten Erinnerungsbuch „Just Kids“ hat Smith ihre Anfangszeit in der Stadt höchst anschaulich beschrieben. Auch der spindeldürre Lenny Kaye, der sie seit ihrem ersten Auftritt begleitet, bringt etwas vom damaligen Geist auf die Spandauer Bühne. Gemeinsam haben Smith und er viele Songs geschrieben, viel durchgemacht. Ihre fast geschwisterliche Vertrautheit ist deutlich zu spüren. Als Kaye während der dubbigen „Ain’t It Strange“-Version eines seiner wenigen Soli spielt, tanzt sie vor ihm herum – wie ferngesteuert von seinem Zerren am Tremolohebel. Wenig später hängen sich beide Western-Gitarren um und schlagen synchron die Begleitakkorde von „Beneath A Southern Cross“, das sich von einem tranceartigen Kreisen zu einem donnernden Crescendo aufschwingt. Am Ende gibt es auch hier ein paar neue Textzeilen, in denen Patti Smith die Freiheit von materiellem Besitz preist.

Ihre Stimme ist immer noch kraftvoll. Mal faucht sie, mal grollt sie und ist dann wieder ganz warm. Selbst in „Because The Night“ legt Smith noch so viel Ernsthaftigkeit und Leidenschaft, als sei es das erste und nicht schon das fünfzigtausendste Mal, dass sie ihren größten Hit singt. Im Publikum kreischen zwei junge Frauen beglückt auf – für sie ist es wohl das erste Mal. Bei den Zugaben darf „People Have The Power“ natürlich nicht fehlen. Das Ohrwurmgeschenk für den Nachhauseweg. Die Gedanken schweifen noch einmal zu Ed Snowden, der gezeigt hat, wie es um diese Macht steht – und wie man sie vielleicht zurückerobert.

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