Christian Petzold: Flüchtlinge, Findlinge
Der erste Deutsche im Berlinale-Wettbewerb: Christian Petzolds DDR-Drama „Barbara“ erzählt von einer Ärztin mit Fluchtplänen und ihrem undurchsichtigen Kollegen.
Bei den zwei Findlingen auf dem Strand soll sie aus dem Hohlweg treten, die Ärztin Barbara Wolf, nachts zur verabredeten Zeit. Und das Hundertmarkbündel wasserdicht verpackt dabei haben, schließlich geht es nach Dänemark übers Meer. Als es dann so weit ist, nach äußerlich dramatischen Ereignissen, mehr aber nach allerfeinsten Implosionen im beruflichen Beziehungsgefüge, liegen da auch die beiden Findlinge, irgendwie beruhigend, an avisierter Stelle im Sand. Nicht sehr groß. Und nicht sehr verschieden groß. Nah zueinander gelegen. Aber nicht zu nah.
In ähnlicher Distanz, so scheinbar unbewegbar in ihren jeweils eigenen Welten sind auch Barbara (Nina Hoss) und Andre (Ronald Zehrfeld) zueinander situiert in Christian Petzolds „Barbara“. Da ist die 1980 in die DDR-Provinz versetzte Berliner Ärztin, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und deren Privatsphäre und auch körperliche Unversehrtheit nun mit brutal bürokratischer Regelmäßigkeit vom örtlichen Stasi-Mann (Rainer Bock) und seinen Leuten verletzt wird. Und da ist Andre, der Chefarzt des kleinen Kinderkrankenhauses, der selbst wegen eines ärztlichen Kunstfehlers, für den er nur als Vorgesetzter verantwortlich war, ein paar Jahre früher aus Berlin verbannt worden ist auf den neuen, höchst peripheren Posten. Oder ist das nur eine billige, glatte Legende, um Barbaras steinernes Herz zu erweichen – Andre gegenüber und irgendwie vielleicht doch noch gegenüber dem Arbeiter- und Bauernstaat DDR?
Nicht, dass Christian Petzold dieses Findlingsbild strapazieren würde; in seinem Film wird bis auf eine schöne Aufmerksamkeit des Zuschauers gar nichts strapaziert. „Barbara“ versetzt, unter weitgehendem Verzicht auf gewisse Grobdeutlichkeiten, vielmehr in jenen zwischen Trance und Überwachheit changierenden Zustand, in dem sich damals wahrscheinlich die DDR am besten aushalten ließ. So wie man lernt, über jenen doppelten Boden zu gehen, der aus Sätzen gemacht ist – Sätzen, die zur möglichst unmerklichen Abwendung voneinander oder auch Sätzen, die von Vorsicht zu Vorsicht bis in die Liebe führen können.
Barbara liebt einen smarten Wessi namens Jörg (Mark Waschke), der ihr Weststrumpfhosen und Westkonfekt zu hitzigen Rendezvous im mecklenburgischen Wäldern mitbringt oder ins Interhotel. Er will sie rüberbringen in das vielgelobte Land – und hat doch von Barbaras äußerer und innerer Welt keine Ahnung. Als Liebesbeweis bietet er ihr einmal sogar an, in die DDR überzusiedeln. „Ich kann doch auch hier mit dir glücklich werden.“ Darauf sie: „Du spinnst. Hier kann man nicht glücklich werden.“ Solche Fundamentalmissverständnisse schaffen leere Räume zwischen Menschen; da ist das gute, alte Misstrauen, mit dem man sich alltäglich auszustatten gelernt hat, gar nichts gegen.
Sparsam und genau im Reden sind die Leute in Petzold-Filmen, so sparsam und genau wie die Inszenierung selbst. Und überwiegend kontrolliert und kühl, so kontrolliert und kühl wie der Ausgangspunkt dieser Inszenierung selbst. Erst als eine Seelenwärme aufkommt wie Wind, eine Wärme, die zu den Farben dieses Sommers passt, erst als sich denn doch eine Romanze zusammenköchelt wie eine Ratatouille, pendelt das Geschehen ins überdeutlich Ungelenke. Alles wird gut für alle, und furchtbar überraschend ist es nicht. Hauptsache, die Flucht gelingt, wie in Alfred Anderschs „Sansibar oder der letzte Grund“. Dort fährt auf dem Boot auch nur mit, wer es am dringendsten braucht.
„Barbara“ ist ein schöner, aber kein großer Film von Christian Petzold. Was ihn kleiner macht als etwa „Gespenster“ oder auch „Yella“, ist eine Festumrissenheit, die nicht nur die Schauspielerführung und die dramaturgischen Mittel, sondern die Geschichte selbst einschließt. Nirgends ein schwindlig machendes Rätsel, das den ganzen Film umfasst, nirgends jenes Gefühl, zu fliegen, bloß weil man – scheinbar zärtlich – den Boden unter den Füßen weggezogen bekommt. Es gibt nur jenes Rätsel der Nähe zueinander, das die Findlingsfiguren selbst auflösen müssen. Eine „Novelle“ nannte Christian Petzold seine Geschichte gestern auf der Pressekonferenz, in Abgrenzung zu den „Treuhandromanen“, mit denen die DDR derzeit sonst so abgewickelt wird. Ja, eine Novelle; und wie in einer realistischen Novelle geht hier alles restlos auf. Das mag ein Gewinn fürs polithistorische Thema sein, für Petzolds Kino aber ist es ein Verlust. Ein kleiner.
12.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast) und 21.30 Uhr (Toni), 13.2., 20 Uhr (Haus der Berliner Festspiele)
Der nette Kollege mit der anrührenden Leidensgeschichte – auch bloß ein Spitzel?
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