Ungarn: Final Cut: der kulturelle Kahlschlag in Ungarn
Kunst, Theater, Film: Wie die rechtskonservative Regierung in Budapest trotz vieler Proteste die Kultur zur Propaganda umbiegt
Wie sagte Gábor Gulyas, der Direktor der Kunsthalle in Budapest? „Das hat es in den letzten 100 Jahren nie gegeben: dass der Staat den eigenen kulturellen Institutionen sogar noch weniger Geld gibt, als sie für die pure Aufrechterhaltung ihres Betriebs benötigen. Und dass er es ihnen überlässt, den Rest selber zu erwirtschaften.“ Gulyas’ Worte könnten derzeit aus dem Munde nahezu jedes Chefs einer staatlich finanzierten Kultureinrichtung in Ungarn stammen. Ihnen allen wurden die Budgets im Lauf dieses Jahres um bis zu einem Drittel gekürzt. Die Folge: Theater schließen, die Filmindustrie steht still, Museen und Bibliotheken arbeiten auf Sparflamme. Sogar dem Nationalen Kulturfonds, der engagierte Künstlergemeinschaften unterstützt, die sonst keinerlei Förderung erhalten, wurde das Budget mehrfach gekürzt.
Die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán will die Kultur loswerden – als teures, überflüssiges Unding. 2012 wird die Lage noch dramatischer: Der Kulturetat soll um rund ein Sechstel auf 169 Milliarden Forint (etwa 550 Millionen Euro) fallen. Viele in Ungarn sind der Überzeugung, dass der kraft- und konzeptionslos agierende Kulturstaatssekretär Géza Szöcs die Schuld an dieser Kahlschlagpolitik trägt, der einschneidendsten Entwertung der Kultur seit dem Systemwechsel 1989. Tatsächlich aber steckt hinter dem, was bei den meisten Kulturschaffenden das Horrorbild der Liquidierung heraufbeschwört, vor allem ein neues, auf erschreckende Weise gewandeltes Konzept. Statt auf klassische Förderung setzt die Regierung auf propagandistische Großprojekte, wobei die wichtigsten Institutionen straff von neu eingesetzten Regierungsbeauftragten geführt werden. Am deutlichsten ist diese Entwicklung in der Bildenden Kunst, beim Theater und beim Film erkennbar.
Einer der großen Träume der Regierung: Der Platz, auf dem in Budapest der Teilnehmer des Aufstands von 1956 gedacht wird, soll sich in ein monströses Museumsviertel verwandeln. Dafür wurde ein bereits kurz vor der Realisierung stehendes Projekt gestoppt. Lászlo Baán, Direktor des Museums der Schönen Künste, wollte sein Haus für die Sammlungen unterirdisch erweitern – wie das viele Museen weltweit erfolgreich tun. Der Staat wäre nur mit umgerechnet 500 000 Euro an den Gesamtkosten von rund 13 Millionen beteiligt gewesen. Man kann sich den Frust des Museumschef vorstellen, als die neuen Pläne bekannt wurden – zumal mit Baán selbst als verantwortlichem Regierungsbeauftragten.
Dabei ist das Museumsviertelprojekt weder inhaltlich noch finanziell ausgereift. Die Regierung will es nur mit etwa 100 000 Euro anschieben, für die restlichen 32 Millionen hofft man auf die EU. Und weil die Regierung die Sammlungen der nationalen und internationalen Klassiker fusionieren will, werden flink – zum 29. Februar 2012! – die Nationalgalerie und das Museum der Schönen Künste zusammengelegt. Prompt trat der Direktor der Nationalgalerie, Ferenc Csák, zum Jahresende zurück. Dem Regierungsbeauftragten Baán blieb es überlassen, die „Zusammenlegung der seit 1957 nach sowjetischem Muster erfolgte Trennung der Institutionen“ als „historische Wiederherstellung der Gerechtigkeit“ zu verkaufen. Dabei hatten sich die Ungarn bei der Trennung der Museen damals am Beispiel Österreichs orientiert.
Wirbel gibt es auch um ein anderes offizielles Großvorhaben: die 15 staatlicherseits bestellten Bilder, mit denen die historische Millenniumssammlung von 1896 ergänzt werden soll. Die damaligen Künstler – unter anderem Mihály Munkácsy und Gyula Benczúr – setzten sich mit glänzenden und grausamen Ereignissen der ungarischen Geschichte auseinander. Nun sollen zeitgenössische Maler die wichtigsten Momente der vergangenen 150 Jahre veranschaulichen, mit Bildern zum Stückpreis von umgerechnet 5000 Euro. Das Geld dafür besorgte Imre Kerényi, als Beauftragter des Ministerpräsidenten für das Gemäldeprojekt zuständig, aus dem Etat des Verwaltungs- und Justizministeriums.
Unmut wegen der Bilder, die die Prunkausgabe der neuen Verfassung illustrieren und später im Parlament oder beim Staatspräsidenten ausgestellt werden sollen, gab es von Anfang an. Umstritten ist etwa Kerényis Order, den Ereignissen vom 23. Oktober 2006 – nach anhaltenden Demonstrationen gegen die alte Regierung kam es zum Zusammenstoß zwischen berittenen Polizisten und den rechten Protestierern – ein Extrabild zu widmen.
Katalin Jánosi, die Enkelin des Ministerpräsidenten und Märtyrers des Ungarn-Aufstands Imre Nagy, nennt das gesamte Vorhaben „absurder als absurd“. Das Bild über die feierliche Neubeisetzung ihres Großvaters solle offenbar eine neue sozialistisch-realistische Kulturwelle etablieren. Das die Künstler demütigende Propagandaprojekt erinnere sie überhaupt an die Zeiten des stalinistischen Diktators Mátyás Rákosi. Außerdem organisierten unabhängige junge Künstler eine Gegenausstellung als Reaktion auf den „von der Partei bestellten visuellen Ungarn-Horror à la Kerényi“.
Der Kulturskandal des Jahres war jedoch eine Theaterpersonalie. Am 1. Februar, so hat es der Budapester Oberbürgermeister István Tarlós verfügt, wird der für seine rechtsradikale politische Haltung bekannte György Dörner den seit 1998 amtierenden Direktor des Neuen Theaters, István Marta, ablösen. Da half es nichts, dass das Findungsgremium Dörners Bewerbung grobschlächtig und undurchdacht fand und sich mit sechs zu zwei Stimmen für die Weiterbeschäftigung Martas aussprach. Die politische Entscheidung war unumstößlich. Gegen die Ernennung Dörners, der die Positionen der offen rassistischen und antisemitischen Partei MIEP vertritt, protestierten Theaterleute, die sozialistische Partei und die Grünen. Die Folge: Dörner ernannte den MIEP-Vorsitzenden István Czurka zum Intendanten des Theaters.
Die Proteste gegen diese weitere Personalentscheidung hatten immerhin Erfolg. Oberbürgermeister Tarlós hat seinen rechten Mann gebeten, von der Bestallung Csurkas abzusehen. Der Widerstand war allerdings auch beträchtlich gewesen. Eine eigens gegründete Bürgerinitiative „Es kann nicht sein, dass ...“ hatte eine Petition unter dem Titel „Ungeheuerlichkeit“ gestartet und über 10 000 Unterschriften gegen Dörner gesammelt. Mehr noch: Zahlreiche Autoren und Inhaber der Urheberrechte der Stücke, die Dörner künftig spielen will, sperren ihre Werke. Auch international hagelte es Proteste dagegen, dass staatlich finanzierte Einrichtungen extremistischen Ideologen offenstehen sollen. István Tarlós dagegen hält an Dörner fest – und wundert sich darüber, dass der Fall ein derart massives Echo auslöst.
Und wie wirkt die seit Mai 2010 amtierende nationalkonservative Regierung unter Viktor Orbán in die Filmpolitik hinein? Erst sperrte sie der staatlichen Filmförderung die Mittel, dann ernannte sie vor knapp einem Jahr den ehemaligen Hollywood-Produzenten Andrew G. Vajna – seine Gegner nennen ihn einen Offshore-Mogul – zum Regierungsbeauftragten. Zugunsten von Vajnas Politik der „Erneuerung der nationalen Filmindustrie“ hat das Parlament unterdessen die Rechtsgrundlagen zur völligen Eliminierung der Filmförderung geschaffen.
Diese Aufgabe übernimmt künftig der üppig mit Lottomitteln ausgestattete Ungarische Filmfonds. Wann der tatsächlich die Produktion von Kinofilmen unterstützen wird, steht jedoch in den Sternen. Die Kommission, der auch Vajna angehört, kann sich bisher für kein Drehbuch erwärmen. Und für die Fertigstellung von Spielfilmen hat sie sich schon mal die Endkontrolle gesichert: Das Recht auf den Final Cut hat in Ungarn der Staat.
Géza Csákvári, geboren 1975, arbeitet als Kulturjournalist und Filmkritiker für die Tageszeitung „Népszabadság“. – Übersetzung aus dem Ungarischen von Elisabeth Grabow.
Géza Csákvári