Nachwuchsliedsänger mit Schubert und Strauss: Feuer und Alarm
„Neue Stimmen“: Teilnehmer der Liedmeisterklasse von Dietrich Henschel präsentieren sich im Konzerthaus.
Man könnte sich nach diesem Abend im Konzerthaus entspannt zurücklehnen: Da draußen gibt es reichlich junge Leute, die die einzigartige Tradition des Kunstliedes tauglich weiterführen, zumindest hat die Liedmeisterklasse „Neue Stimmen“, die in diesem Jahr unter der Leitung von Dietrich Henschel stattfand und auf Franz Schubert und Richard Strauss gerichtet war, gleich mehrere solcher Talente ausfindig gemacht. Etwa die 1992 geborene Sopranistin Elsa Dreisig: Sie belebt die so hochartifizielle Gattung des romantischen Kunstlieds mit natürlicher Frische – und kann zugleich eine so schräge Liederzählung wie das von Strauss vertonte Wunderhorn-Gedicht op. 36, 3 über drei Gaggeleier und drei Vögelein und drei Küsslein mit Schläue vortragen. Oder Annika Schlicht: Sie ist mit einem voluminösen, in der Tiefe faszinierend leuchtenden Mezzosopran begabt, einer sehr besonderen Stimme, die freilich eher auf die große Opernbühne als in den Liederabend drängt. Auch sie hat sich von Henschel und seinem Meisterklassen-Kompagnon, dem Liedbegleiter Manuel Lange, dazu einladen lassen, sich an einem kuriosen Werk zu versuchen – an Schuberts „Junger Nonne“ op. 43, 1. Schlichts schwere Stimme passt nicht schlecht zu der finsteren, melodramatisch schwärenden, mit emotionalen Verwerfungen umgehenden Vertonung. Denn was tut die junge Nonne? Sie denkt zurück und dann nach vorn: „Nun tobe, du wilder gewalt’ger Sturm, / Im Herzen ist Friede, im Herzen ist Ruh, / Des Bräutigams harret die liebende Braut.“
Neben diesen beiden jungen Sängerinnen haben auch die Sopranistin Monika Rydzkowski und der Bariton Sebastian Seitz eine ganze Woche mit Dietrich Henschel in Gütersloh geprobt, dem Geburtsort des 1987 gegründeten Gesangswettbewerbs „Neue Stimmen“, zu dem die Liedmeisterklasse als Ableger gehört. Und sicher, auch diese zwei verfügen über alle Möglichkeiten, mit dem schwierigen Repertoire umzugehen; Viel Zeit, Sorgfalt und ungeheuren Fleiß haben auch sie in die Ausbildung ihrer Stimme und ihrer künstlerischen Fertigkeiten gesteckt. Trotzdem bleibt man reserviert. In gewisser Weise entspricht ihre Art zwar einer bestimmten Sorte von Lied-Interpretation, genau so, wie man auch von Henschels gekünstelter, wenngleich eher inhaltsleerer Moderation nicht überrascht sein darf: „Was für ein Feuer, was für ein Witz! Dieser feurige Witz, dieses witzige Feuer!“, sagt Henschel über Strauss.
Manchmal sind ganze Liederabende so, spießig und entfremdet. Doch dürfte vor allem Rydzkowski noch am Ideal der Selbstübereinstimmung feilen, dem Ineinander von Leben und Kunst, gerade in scheinbar so einfachen Liedern wie dem „Heidenröslein“, das das Adrette, den kunstvoll erhobenen Arm nicht verträgt. Seitz indessen dürfte daran erinnert werden, dass vor ihm kein Orchester, sondern hinter ihm bloß ein beflissener Begleiter sitzt. Selten haben wir einen jungen Sänger gehört, der sich so an der Potenz der eigenen Stimme berauscht. Seinen „Erlkönig“ schreit er so sehr in den Kleinen Saal hinein, dass wir den Kopf einziehen, aus lauter Angst, er wolle uns holen.
Christiane Tewinkel