Philip Kerr ist tot: Feuer in Berlin, Mord in Petersburg
Der britische Krimi- und Kinderbuchautor Philip Kerr ist mit 62 Jahren gestorben. In Deutschland wurde er vor allem mit den Abenteuern seines Detektivs Bernhard Gunther bekannt. Ein Nachruf.
Das Ende der Weimarer Republik, eine fiebrige Zeit. Aufruhr und Angst liegen über Berlin. Friedrich, ein 13-jähriger Gymnasiast ist überall dabei, wo etwas passiert. Er besucht die Uraufführung der Erich-Kästner-Verfilmung „Emil und die Detektive“ im Alhambra-Lichtspielhaus in Berlin-Wedding und steht am Abend des 30. Januar am Brandenburger Tor, als der gerade ernannte Reichskanzler Adolf Hitler mit einer Fackelparade gefeiert wird. Friedrich, dessen Vater mit Kästner befreundet ist, verabscheut die Nationalsozialisten, doch dann reckt er „mitgerissen von der allgemeinen Aufregung“, den rechten Arm hoch und schreit „Sieg Heil!“
Das Kinderbuch „Friedrich der große Detektiv“, das im letzten Jahr herauskam, ist eine Hommage an Erich Kästner und eine so akkurat recherchierte Studie über den Sturz ins Barbarentum, dass sie sich streckenweise wie eine Reportage liest. Philip Kerr kehrte mit der Geschichte an den Beginn seiner Karriere zurück. Der schottische Schriftsteller, der 1956 in Edinburgh geboren wurde und in Birmingham Jura und Rechtsphilosophie studiert hatte, schrieb Ende der achtziger Jahre mit „March Violets“ (deutscher Titel: „Feuer in Berlin“) den ersten Teil seiner in der Ära des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit angesiedelten Berlin-Noir-Trilogie.
Die Idee dazu kam Kerr, als er darüber fantasierte, was Raymond Chandler wohl geschrieben hätte, wenn er nicht in Los Angeles, sondern in Berlin gelebt hätte. Kerrs Held, der Privatdetektiv Bernhard Gunther, ist ein großer Lakoniker, der wie Philip Marlowe auch im größten Schlamassel nicht seinen Galgenhumor verliert. Den Polizeidienst hat er verlassen, als Hitler an die Macht kam, aber später muss er auf Befehl von Reichssicherheitschef Reinhard Heydrich einen Serienmörder jagen, der fünf junge Frauen umgebracht hat.
Kerr ebnete den Weg für Volker Kutschers Berlin-Krimis
Die beklemmend kalte Atmosphäre erinnert an den Fake-Realismus des Romans „Vaterland“ von Robert Harris, mit dem Philip Kerr oft verglichen wurde. Die Berlin-Noir-Krimis, die unter anderem mit dem französischen Prix Mystère de la critique ausgezeichnet wurden, ebneten den Weg für Volker Kutschers Historienromane um den Kriminalkommissar Gereon Rath, die gerade als Fernsehserie unter dem Titel „Babylon Berlin“ Furore machen.
Vor seinem Durchbruch als Krimiautor war Kerr in der Werbeagentur Saatchi & Saatchi beschäftigt, „wo jeder an einem Roman arbeitete außer denen, die zum Lunch gingen“. Fünf Bücher, die er im postmodernen Stil von Martin Amis schrieb, wollte kein Verlag drucken. Kerr verehrte Eric Ambler und Graham Greene und sah sich „in der Tradition des politischen europäischen Romans“.
Seine Kinder inspirierten ihn zum Genrewechsel
Nach drei Büchern stoppte er 1991 die Bernhard-Gunther-Serie, um ab 2006 das Leben seines Protagonisten noch einmal in zehn weiteren Bänden fortzuspinnen. Seine in der Zwischenzeit veröffentlichten Wissenschaftskrimis trugen ihm den Ruf ein, der „britische Michael Crichton“ zu sein. Der im Russland der Jelzin-Jahre spielender Krimi „Dead Meat“ wurde von der BBC als Dreiteiler namens „Grushko“ (deutscher Titel: „Mord in St. Petersburg“) mit Brian Cox in der Hauptrolle verfilmt.
Kerr war mit der Schriftstellerin Jane Thynne verheiratet, die drei gemeinsamen Kinder inspirierten ihn beim Genrewechsel zum Kinder- und Jugendbuch. Seine siebenteilige Fantasy-Reihe „Die Kinder des Dschinn“ wurde zum internationalen Bestseller. „Die meisten meiner Bücher spielen in der Vergangenheit, aber sie reichen in die Gegenwart“, sagte der Schriftsteller in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“. „Es ist verlockend zu glauben, dass die Geschichte vergangen ist, doch das ist falsch. Wir werden über Jahrhunderte noch mit den Folgen des Hitlerfaschismus leben müssen.“ Philipp Kerr starb am Freitag. Er wurde 62 Jahre alt.
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