Kultur: Festspiele Mecklenburg-Vorpommern: Verweile doch! - 90 Konzerte in 50 verschiedenen Spielstätten
Es ist fast eine "Es-war-einmal-Geschichte": 1993 konnte die Familie derer von Maltzahn einen Stammsitz ihrer Sippe in Mecklenburg erwerben: Ulrichshusen. Zu diesem Zeitpunkt war das Schloss schon lange kein Kleinod norddeutscher Renaissance-Architektur mehr.
Es ist fast eine "Es-war-einmal-Geschichte": 1993 konnte die Familie derer von Maltzahn einen Stammsitz ihrer Sippe in Mecklenburg erwerben: Ulrichshusen. Zu diesem Zeitpunkt war das Schloss schon lange kein Kleinod norddeutscher Renaissance-Architektur mehr. Nur die Grundmauern standen noch, als sich die Familie daran machte, aus der Ruine wieder einen Adelssitz zu machen - und ein Kulturzentrum in der dünn besiedelten Müritzsee-Gegend. Schon im Winter 1994 nahmen die Maltzahns Kontakt mit den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern auf, im Juli desselben Jahres konnte Yehudi Menuhin den "Konzertsaal" in der provisorisch hergerichteten Scheune neben dem Schloss einweihen. Der Erfolg gab Burgherren und Festivalmachern einen zusätzlichen Motivationsschub, und so wurde das Wasserschloss zum Herz der Festspiele, die nun schon in der elften Saison allsommerlich klassische Musik in den ländlichen Raum zwischen Schwerin und Usedom bringen.
Vorbild war die Mutter aller deutschen Sommerloch-Veranstaltungen, das Schleswig-Holstein-Musik-Festival. Und natürlich gehört auch in Mecklenburg-Vorpommern der allgegenwärtige Justus Frantz mit seiner Philharmonie der Nationen zu den Stammgästen. In einem Landstrich, der nicht gerade als Hort klassischer Musikpflege bekannt ist, darf man nicht davor zurückschrecken, das Publikum mit Populärem zu ködern - zumal wenn 80 Prozent der Einnahmen aus Kartenverkäufen und Sponsoring bestritten werden müssen. So gibt es denn auch diesmal neben Jazzkonzerten mit Gunter Emmerlich und der Semper House Band Skurriles wie die "Picknick-Pferde-Sinfoniekonzert" betitelten Galas auf dem Landgestüt Redefin, wo nach einer Pferdevorführung "in historischen Kostümen" Lorin Maazel mit dem Philharmonie Orchestera oder das Berliner DSO unter Kent Nagano in der Reithalle aufspielten.
Einen eigenen Akzent setzt das Festival, das zwischen Anfang Juni und Ende September mittlerweile 90 Konzerte in 50 verschiedenen Spielstätten anbietet, mit der Reihe "Junge Elite": Sie bietet Preisträgern diverser Wettbewerbe die Chance für einen sommerlichen Auftritt in der Provinz - dank der moderaten Preise zumeist vor vollen Sälen. Und denjenigen unter den Nachwuchsprofis, die den Festivalmachern dabei am besten gefallen, winkt seit 1997 der Allianz-Musik-Preis, immerhin dotiert mit 20 000 Mark.
Diesmal fiel die Wahl auf das englische Belcea String Quartett, das sich mit Beethovens monumentalem Opus 130 bedankte. Nicht gerade leicht Kost, doch die vier jungen Musiker, die sich beim Studium am Londoner Royal College of Music zusammengefunden haben, packten die Besucher in der Konzertscheune vom ersten Takt an durch ihr ebenso mit- wie hinreißendes Spiel. So darf Kammermusik immer klingen: Ganz tief waren die vier Musiker im Probenprozess in Beethovens Spätwerk eingetaucht und hatten für jedes Detail einen eigenen Ton, eine spannende interpretatorische Lösung gefunden, von der ergreifend innig gestalteten Cavatina bis zur konsequent musikgeschichtlich "nach vorn" gedachten Schlussfuge. Die Lust, mit der sie ihre Erkenntnisse an die Hörer brachten, ließ den schwergewichtigen Beethoven zu einer sommernachmittagstauglichen Offenbarung werden.
Das Belcea String Quartet war allerdings nicht die einzige Attraktion dieses Ulrichshusener Musiktages: Umrahmt wurde der bejubelte Auftritt der Allianz-Preisträger durch ein komplettes Konzertprogramm der nicht minder gefeierten Jungen Deutschen Philharmonie unter Lothar Zagorsek, die neben Mozarts Konzert für zwei Klaviere auch noch die Uraufführung eines sehr klangsensibel gearbeiteten Werks des spanischen Komponisten Jose Maria Sanchez Verdu und Max Regers berauschende, jugendstilig wuchernde "Romantische Suite" präsentierten. Doch die Stimmung in der Scheune war so gut, die Musiker so mit Begeisterung bei der Sache und - nicht zuletzt - der Pausenspaziergang rund um die im Abendsonnenschein erglühende Wasserburg so erhebend, dass selbst Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsendient Harald Ringstorff bis zum Schluss des vierstündigen Konzertmarathons blieb.
Gut zwei Autostunden liegt Schloss Ulrichshusen von Berlin entfernt, in einem gar nicht so platten Landstrich, den die meisten Hauptstädter nur als Durchrasestrecke Richtung Ostsee kennen. Bis jetzt!
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