"Götterdämmerung" in Leipzig: Fest der Stimmen
Die Oper Leipzig vollendet ihren „Ring des Nibelungen“ mit "Götterdämmerung". Rosamund Gilmore ist zurückhaltend bis blutleer, aber die Sänger brillieren.
Nun ist er also glücklich zurechtgebogen, der „Ring des Nibelungen“ der Oper Leipzig – die erste Neuproduktion des Zyklus in Richard Wagners Geburtsstadt seit der legendären Inszenierung von Joachim Herz aus den 70er Jahren. Im Jubiläumsjahr 2013 ging’s los mit „Rheingold“, am Wochenende verging nun die Welt im finalen Brand von „Götterdämmerung“.
Herauf dämmerte dabei auch gleich ein neues Talent: Tenor Thomas Mohr legte ein fulminantes Rollendebüt als Siegfried hin. Dass einer nicht nur den ganzen Abend stark singt, sondern den Gipfel seiner Leistungsfähigkeit sogar erst kurz vor Schluss erklimmt – wann hat man das schon, gerade bei Wagner? Über vier Stunden hat Mohr die mörderische Heldenpartie bereits durchschritten, als er an dem von Hagen (Rúni Brattaberg) gereichten Gegengift zum Vergessenstrank nippt und sich sein Siegfried plötzlich wieder an alles erinnert: an Mime, Fafner, Brünnhilde. Von Kräfteschwund keine Spur, immer noch verfügt Mohr über genug Ressourcen, um die Rolle souverän, mit unerhörtem Schönklang zu gestalten. Seine Imitation des Waldvogels, kurz bevor ihn Hagen hinterrücks ersticht: ein echter Schwanengesang. Und Premierenhöhepunkt.
Christiane Libor als Brünnhilde verströmt ihre Sopranglut, ohne auszubrennen
Was viel heißt, denn das ganze Leipziger Ensemble brilliert. Rúni Brattaberg: Was für ein Hagen! Dumpf dräuend sitzt er da, niemanden trifft sein Blick, stets richtet er ihn in die Ferne. Ein Unberührbarer. Tuomas Pursios spielt Gunther als hohlen Fürsten im offenen Hemdkragen, der kaum merkt, wie windbeutelig er ist. Immerhin: sein markiger Bariton ist ihm Stütze. Marika Schönberg wandelt Gutrune zur Frau, die anrührend und in echter Liebe um Siegfried weint, Kathrin Göring ist eine feurige Waltraute und zweite Norn. Nur die Rheintöchter enttäuschen mit schiefer Intonation. Gastsängerin Christiane Libor als Brünnhilde aber kennt keine Grenzen, verströmt bis zum finalen „Starke Scheite schichtet mir dort“ ihre Sopranglut, ohne auszubrennen. Ein Rollendebüt auch für die Berlinerin. Ulf Schirmer peitscht das Orchester zu gewaltigen Klangeruptionen an und formt doch jede Stimme, jedes Detail kristallklar aus.
Bleibt die Szene. Rosamund Gilmore, Regisseurin aller vier „Ring“-Teile, hält den Ball flach. Eine hohe Halle mit Säulen, die zum Finale auseinanderbrechen, außerdem Tänzer. Ansonsten ist jeglicher Mythenmüll abgeräumt. Sympathisch, aber auch ein bisschen blutleer. Deswegen muss man nicht nach Leipzig fahren. Wegen der Sänger schon.
Erster „Ring“-Zyklus in Leipzig: 5. bis 8. Mai, zweiter Zyklus: 28. Juni bis 3. Juli
Udo Badelt