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Auf der Straße der Verlorenheit. Juliette Gréco
© dpa

Juliette Gréco zum 90.: Fesseln Sie mich

Keiner hat die existenzielle Erkenntnis, dass der Mensch mutterseelenallein ist, so sehr zur Kunstform erhoben wie Juliette Gréco. Die Chanson-Sängerin wird 90.

Traurigkeit sah nie besser aus als in Cinemascope. Das Gefühl, allein zu sein und verloren, aufgeblasen ins Überlebensgroße. In Otto Premingers Verfilmung von Françoise Sagans Lebensüberdruss-Bestseller „Bonjour Tristesse“ aus dem Jahr 1958 tanzt die von Jean Seberg gespielte Heldin in einer Bar mit einem Mann, der ihr nichts bedeutet. Alle anderen haben Spaß, aber ihr geht der Gedanke durch den Kopf, dass eine Mauer sie von der Welt trennt. Das Titelchanson singt eine statuenhaft entrückte Sängerin in schwarzer Robe, begleitet von einer Jazzkapelle.

Es ist Juliette Gréco, die damals bereits als „Muse der Existenzialisten“ gefeiert wird. „The street I walk is sadness“, verkündet sie. „My house has no address / The letters that I write me / Begin: Bonjour tristesse.“ Wer auf den Straßen der Verlorenheit unterwegs ist, dem bleibt nichts anderes übrig als seine Traurigkeit zu umarmen.

Das Pathos, mit dem hier Nichtzugehörigkeit und Niedergeschlagenheit zelebriert werden, kommt uns heute fremd vor. Doch beides ist noch immer ein Generationsgefühl. Wer 20 ist und verzweifelt, las früher Françoise Sagan, hörte später The Cure und schätzt heute vielleicht Unheilig. Aber keiner hat die existenzielle Erkenntnis, dass der Mensch mutterseelenallein ist und von Gott verlassen wurde, so sehr zur Kunstform erhoben wie Juliette Gréco.

In „J’arrive“, einem ihrer Hits, räsoniert sie zum unerbittlichen Streicher-Pizzicato über die Härten des weiblichen Sich-Zusammenreißens, gipfelnd in einen Aphorismus: „Männer weinen, Frauen duschen.“ Ein feministisches Manifest in 6 Minuten 24, woraus im Skandalerfolg „Déshabillez-moi“ die SM-Regieanweisungen einer Femme fatale an ihr Männchen wurden: „Ziehen Sie sich aus / Nur nicht auf der Stelle / Nicht zu schnelle / Begehren Sie mich / Verzehren Sie sich / Fesseln Sie mich.“

Magische Jahre im Café Flore

Juliette Gréco, am 7. Februar 1927 in Montpellier geboren, kam nach dem Zweiten Weltkrieg voller Erfahrungshunger nach Paris. Sie hatte eine kurze Gestapo-Haft hinter sich, ihre Mutter und ihre Schwester, die zur Resistance gehörten, überlebten das KZ Ravensbrück.

Ihren ersten Gesangsauftritt soll sie auf einem Tisch des Kellerclubs „Tabou“ im Existenzialisten-Quartier Saint Germain absolviert haben, der Text ihres ersten Chansons stammte von Jean-Paul Sartre. Den Philosophen hatte Gréco im Café Flore angesprochen und gefragt, „was die Dinge bedeuten, die ich in seinen Büchern gelesen habe“. Zeit der Wunder. „Es waren magische Jahre“, erinnerte sie sich in einem Interview mit der „Zeit“. „Das Verrückte war, dass jeder damals mit jedem gesprochen hat. Wirklich jeder.“

Mit ihrer schwarzen Bobfrisur, den schwarz gefärbten Augenbrauen und ihrer immer strikt schwarzen Kleidung avancierte die Sängerin zum Stilvorbild der westlichen Jugend von der Côte d’Azur bis zur Amalfiküste. Schwarz, die (Nicht-)Farbe der Existenzialisten, wurde durch sie zum Erkennungszeichen einer mondänen Melancholie. Die Gréco liebte Männer und Frauen, hatte Miles Davis als Geliebten und war drei Mal verheiratet, darunter einmal mit Michel Piccoli. Einsam fühlt sie sich trotzdem bis heute. „Das ist so, seit ich ein Kind war. Ich wollte das so. Ich mag nicht jeden“, sagt sie. Heute wird Juliette Gréco 90 Jahre alt. Félicitations!

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