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Stephen Stills, Graham Nash und David Crosby in der Max-Schmeling-Halle.
© DAVIDS

Crosby, Stills & Nash in Berlin: Felsen in der Brandung

Neil Young war schon da. Jetzt haben Crosby, Stills & Nash in Berlin das Publikum begeistert. Patti Smith, Leonard Cohen, Bob Dylan kommen bald: Rock ist die beste Art, das Alter zu meistern.

Es war ein Moment tiefer Irritation, als bei Neil Youngs Waldbühnenauftritt vor vier Wochen plötzlich eine junge blonde Frau mit Koffer zwischen den Musikern herumwanderte und eine Ballade illustrierte, die von einer verloren umherstreifenden jungen Musikerin erzählt, „A Singer Without A Song“. Neil Young? Mit so einem Altmännerkitsch? Verlieren wir denn auf Dauer alle den Geschmack und Verstand, ist das Naturgesetz?

Dann war der Spuk auch schon vorüber, und Neil Young und Crazy Horse blitzten und donnerten durch ein Konzert, an das man sich erinnern wird. Leonard Cohen bringt solche Mädchengeschichten unendlich viel eleganter, es ist ja auch sein Thema, immer gewesen. Erotik als Gottesdienst, und umgekehrt: Gottsuche als Libido. Ihn begleiten seit Jahren zwei englische Musikerinnen, die „sublime Webb Sisters“, wie er sie nicht aufhören kann anzusagen und zu verehren, wenn er mit ihnen auf der Bühne steht. Der Unterschied liegt darin, dass sie singen, ihre Instrumente auspacken und nicht nur Dekorationszwecken dienen.

Cohen ist von all den Helden der bisher noch in jede Gegenwart verlängerten Vergangenheit der Älteste, er geht auf die achtzig zu. Am 17. Juli ist er uns in der O2 World versprochen. Was ist da nur los? Eric Clapton war vor ein paar Wochen in der Stadt, Patti Smith spielt am Dienstag in der Zitadelle Spandau, Kris Kristofferson kommt im September in den Admiralspalast. Bob Dylan gibt Ende Oktober im Tempodrom gleich zwei Konzerte. Torschlusspanik?

Dagegen spricht schon die Art und Weise, wie die alten Meister vor dem geneigten Publikum ihrer Arbeit nachgehen; die Tickets sind ja auch nicht ganz billig. Da herrscht Respekt auf beiden Seiten. Man ist gemeinsam so weit gekommen, hat die Welt ja doch ein bisschen verändert, und es hat sich ein allgemeines Bewusstsein dafür entwickelt, dass Rockmusik ein Qualitätstandard ist. Als die Haare lang, die Zeiten rebellisch und Feindbilder (Nixon! Vietnamkrieg!) einfacher zu zeichnen waren, ging es nicht allein um das musikalische Handwerk.

Längst sind die Posen erledigt, die Klamotten nicht mehr so wichtig – der Kern hat sich herausgeschält. Da ist Leonard Cohen wieder ein gutes Beispiel. Jahrzehntelang hat er nach dem passenden musikalischen Ausdruck für seine Verse gesucht. Und spät hat er seinen Sound gefunden. Auch Neil Young macht das anschaulich, zumal wenn er mit Crazy Horse spielt: Das klingt im allerbesten Sinn solid und, gemessen an seinen eigenen Maßstäben, seriös. Ernsthaft.

Die Lieder sind wie Proviant für einen langen Lebensweg

Ende des 18. Jahrhunderts schrieb ein englischer Prediger die christliche Hymne „Rock of Ages“. Frei übersetzt: der Fels der Ewigkeit, des Heils. Rockmusik zielt auf das Feste, die schlauen Rolling Stones haben es in ihrem Bandnamen. Rock, wie Neil Young und die anderen ihn interpretieren, ist der Fels in der Brandung. Früher waren sie selbst die Brandung, schlugen hohe Wellen. Heute geben sie Halt. Clapton hat sein neues Album etwas unglücklich „Old Sock“ genannt. Live müffelt seine Musik nicht.

Zum ersten Mal erleben wir, dass Komponisten und Interpreten zusammen mit ihren Werken und Hörern einen Lebenszyklus durchlaufen. Als der Rock ’n’ Roll erfunden wurde, war das nicht vorgesehen. Elvis Presley und so viele andere – Buddy Holly, Janis Joplin, Jimi Hendrix – hielten sich daran und starben früh.

Graham Nash ist 71, David Crosby 72, Stephen Stills erst 68, aber nicht mehr so gut auf den Beinen. Seine Gitarrensoli aber bringen immer noch jene Härte, die den kalifornischen Harmoniegesang dieser Männer erst richtig zum Klingen bringt und in die Höhen treibt.

Freitagabend, Max-Schmeling-Halle. Da sind sie jetzt, die anderen drei Woodstock-Fahrer. Das Rock-Hirn denkt sich Neil Young irgendwie dazu, auch wenn Crosby, Stills, Nash & Young wirklich Geschichte sind. Der dicke Crosby erinnert an Obelix und ist dem Tod schon mehr als einmal von der Schippe gesprungen. Er bewegt sich wenig und hat eine Stimmkraft wie ein Orkan. Er singt sein berühmtes „Almost Cut My Hair“ mit unglaublicher Inbrunst. Lächelnd. Alles noch dran, das Silberhaar bis auf die Schultern.

Blick nach vorn. Patti Smith spielt am Dienstag in Spandau.
Blick nach vorn. Patti Smith spielt am Dienstag in Spandau.
© picture alliance / dpa

Die Freunde eröffnen das erste von zwei Sets mit „Carry On“. Genau. Weitermachen. Ein bisschen rostig rumpelt der „Marrakesh Express“. Aber das spukige „Déjà vu“ haut einen vom Stuhl (wenn die Ordner es zuließen, die stoppen jeden Tanzversuch sofort). Ja, „we have all been here before“. Als junge Menschen haben sie Lieder geschrieben, die Jahrzehnte später erst richtig aufgehen. Proviant für einen langen Lebensweg.

Graham Nash macht die Ansagen und erteilt charmant die eine oder andere Geschichtslektion. Er hat die feine Stimme. Er hämmert in die Tasten und holt den alten Protestsong „Chicago“ heraus, bei dessen Refrain sich Obama bedient hat : „We can chaaaaange the world.“ Für den Präsidenten, dessen Heimatstadt Chicago ist, haben jetzt sie eine neue Zeile: „Don’t ask Obama to help you ...“. Verlasst euch besser auf euch selbst.

Stephen Stills steht etwas abseits und stellt sich heldenhaft ikonischen Songs wie „Love The One You’re With“, „Suite: Judy Blue Eyes“. Rock ist ein Weg, in Würde zu altern. Graham Nashs Sohn arbeitet als Tourmanager hinter den Kulissen, David Crosbys Sohn sitzt am Klavier. Die definitive Generationenversöhnungshymne hat Nash schon in den Sechzigen geschrieben, „Teach Your Children.“ Da singt die Halle mit. Es ist ein warmes Glücksgefühl. Man kann darauf warten.

Backstage bestätigt sich der Eindruck: Alt sein ist eine Entscheidung, ob und vor allem wie. Graham Nash plaudert über seine demnächst erscheinende Autobiografie: „Toller Typ, wenn man das alles so liest. Der wär ich gern gewesen.“

Rüdiger Schaper

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