Orson Welles' "Herz der Finsternis" als Hörspiel: Expedition in den Seelen-Urwald
Orson Welles scheiterte 1939 an einer Verfilmung von Joseph Conrads Novelle. Jetzt hat der WDR aus dem Drehbuch ein beeindruckendes Hörspiel gemacht.
Es ist ein Stoff, der die Gefahr birgt, seinen Bearbeiter so zu zerstören wie seine Protagonisten. Nachdem Francis Ford Coppola 1979 Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ in „Apocalypse Now“ verwandelt hatte, war er ein vor dem Bankrott und dem Selbstmord stehender Mann. Und vierzig Jahre zuvor hatte der Versuch, die düstere Afrika-Novelle in bewegte Bilder zu überführen, bereits einen anderen Regisseur gehörig Zeit, Nerven und beinahe die Karriere gekostet. Der WDR hat es nun trotzdem gewagt und aus Orson Welles’ legendär gescheitertem Film ein Hörspiel gemacht.
Welles war 1939, dank seiner aufsehenerregenden Hörspieladaption von „War of the Worlds“ als Wunderkind gehandelt, in Hollywood angekommen. Sein Plan: „Herz der Finsternis“ zu verfilmen. Jene Erzählung, in der Conrad seine Erlebnisse Mitte des 19. Jahrhunderts im Kongo verarbeitet hatte, und die Welles mit seinem Mercury Theater bereits 1938 als tiefschwarzes Hörspiel über die Abgründe des Kolonialismus inszeniert hatte.
Welles wäre jedoch nicht Welles gewesen, wenn ihm nicht gleich für sein Filmdebüt eine Revolution des Mediums vorgeschwebt hätte. Eine komplett aus der Ich-Perspektive gefilmte, gewaltige 174-Drehbuchseiten lange Parabel auf den Faschismus plante er aus der Vorlage zu machen, in der er darüber hinaus beide Hauptrollen zu spielen gedachte und für deren lange Kameraeinstellungen die technischen Möglichkeiten erst einmal entwickelt werden mussten. Das veranschlagte Budget: mehr als eine Million Dollar. Ein Vermögen für das Studio RKO.
Ob es die Kosten oder nicht doch die heiklen politischen Wirren waren, die die Studioverantwortlichen letztendlich dazu brachten, das Projekt zu kippen, darum ranken sich Legenden. Für den Ausgang der Geschichte ist das egal. Das Drehbuch wanderte in den Schrank und fortan als Mythos durch die Filmwelt.
Humor gibt es nur in Form von Sarkasmus
Gute 80 Jahre später hat Walter Adler nun das Film- zum Hörspielskript umgeschrieben, und sich bei der Aufnahme stark an die Ästhetik von Welles Radioproduktionen anlehnt. Es schnarrt wie aus einem alten Lautsprecher, wenn die Musik aus „Citizen Kane“ – dem Film, den Welles dann stattdessen drehte – die von Robert Dölle gelesenen Regieanweisungen untermalt und Sylvester Groth als Captain Marlow tiefer und tiefer in den Dschungel und die Schwärze der menschlichen Seele vordringt.
Welles hatte das Stück wie später Coppola in seine Gegenwart verlegt. Der Arzt, der Marlow zu Beginn auf Tauglichkeit prüft, ist glühender Anhänger der Phrenologie, das Personal der Handelsposten im Urwald deliriert von der Überlegenheit der weißen Rasse, während der Elfenbeinhändler Kurtz, der als Quasi-Hitler über die Eingeborenen herrscht, an seinem von Macht korrumpierten Geist zugrunde geht.
Von Beginn an liegt eine bedrückende Schwere auf der Produktion. Groth und später auch Ulrich Matthes als Kurtz flüstern mit einer an den Film noir gemahnenden Theatralik, detailliert schildert Welles das Leid sterbender Sklaven in Erdlöchern, Witz gibt es nur in Form von Sarkasmus, wenn zum Beispiel der britische Gesandte auf dem Klavier „Rule, Britannia!“ klimpert, während er ätzende Kommentare zur Weltlage abgibt. Lediglich Elsa Kurtz, die zu Zwecken einer Romanze groß ins Drehbuch geschrieben wurde, ist am Ende ein wenig Trost vergönnt – und selbst der beruht auf einer Lüge.
Wer an einem verregneten Herbsttag in den Sog dieses so beeindruckenden wie beklemmenden Hörstücks gerät, ist nachher fertig mit der Welt. Wie gesagt: Es ist ein Stoff, der die Gefahr birgt, zu zerstören. Auch seine Hörer.
Orson Welles: „Herz der Finsternis“. Hörspiel mit Ulrich Matthes und Sylvester Groth. Der Audio Verlag, 2 CDs, 16,99 Euro
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